Herr Teipel, am heutigen Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Worauf verzichten Sie?

Ich verzichte in der Regel nicht nur auf eine Sache, sondern versuche, bewusster zu leben. Ein Freund von mir ist ein Vorbild. Er besuchte in der Fastenzeit jeden Tag einen kranken Freund im Krankenhaus. Das ist viel sinnvoller, als auf Schokolade und Alkohol zu verzichten – aber das mache ich auch. Wichtig ist mir in diesen Tagen, intensiver geistliche Literatur zu lesen. Für mich ist die Fastenzeit also eher eine Zeit für etwas als ohne etwas.

Was gewinnt man, wenn man doch bewusst auf etwas verzichtet?

Man lernt sich nochmal neu kennen: Wo geht meine Sehnsucht hin, wovon bin ich abhängig, was fehlt mir? Ich glaube, viele Menschen wissen sehr gut, was ihnen gut täte, sie tun es aber nicht unbedingt. Eine solche Zeit, in der sich auch andere Menschen umstellen, kann das stärken.

Als Priester verzichtet man auch bewusst auf eine Partnerschaft, auf Familie. Ist das noch zeitgemäß?

Ich verzichte nicht auf Familie. Ich habe eine Familie und bin mehrfach Patenonkel. Ich lebe nicht beziehungslos, habe aber keine so exklusive Beziehung wie in einer Partnerschaft oder mit eigenen Kindern. Das spüre ich durchaus als Verlust.

Im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteurin Kirsten Astor bespricht Michael Teipel die großen Herausforderungen der katholischen Kirche ...
Im Gespräch mit SÜDKURIER-Redakteurin Kirsten Astor bespricht Michael Teipel die großen Herausforderungen der katholischen Kirche genauso wie die ganz eigenen Zweifel und Sehnsüchte. | Bild: Hanser, Oliver

Warum tut sich die katholische Kirche immer noch so schwer damit, den Zölibat loszulassen?

Ob man zölibatär leben muss, um Priester sein zu können, wird immer wieder diskutiert. Der Pflichtzölibat wurde erst vor rund 900 Jahren eingeführt. Für mich persönlich erlebe ich diese Lebensform als passend. Der Zölibat hält wach, weil man sich nicht in die eigene Beziehung zurückziehen kann; man ist auf das Außen ausgerichtet, das ist auch eine Chance. Der Zölibat ist aber kein Grundgesetz. Ich glaube an die Aussagen im Glaubensbekenntnis und da steht nichts vom Zölibat. Er ist, wie auch die Weihe für Frauen, zugleich eine kulturelle Frage.

In Afrika und Teilen Asiens wäre das Frauenpriestertum eine riesige Herausforderung. Hier in Europa verstehen sehr viele gläubige Frauen und auch Männer nicht, warum man nicht weiter ist. Da sich die katholische Kirche aber als Weltkirche versteht, ist es vermintes Gelände. Ich beneide den Papst nicht, dessen Hauptaufgabe die Bewahrung der Einheit ist. Die Frage ist wohl, ob es verschiedene Formen geben kann, ohne dass die Einheit der Kirche in Frage gestellt wird. Ich persönlich bin für vieles offen.

Die Kirche ist ohnehin im Umbruch, bei der Kirchenentwicklung 2030 werden Pfarreien zusammengelegt, Ämter neu verteilt. Das bringt der Kirche sicher Vorteile, aber viele Menschen sehen noch nicht, was sie davon haben.

Wir befinden uns schon länger in einem Entwicklungsprozess. Die Kirche, wie ich sie als Jugendlicher erlebt habe, gibt es nicht mehr: Eine Kirche, ein Pfarrer, ein Kindergarten – das war einmal. Es leben auch nur noch wenige Leute ihr ganzes Leben lang an einem Ort. Hier muss sich Kirche verändern und öffnen. Menschen, die einen Gottesdienst besuchen, aber nie angesprochen werden, fühlen sich nicht zugehörig. Wir müssen hinhören, was Menschen brauchen, die keine hineingeborene Verbindung zu Kirche haben.

Das könnte Sie auch interessieren

Wie kann diese Öffnung aussehen?

Ich denke, wir brauchen einen Ort, an dem jeden Sonntag ein Gottesdienst für Familien angeboten wird. Dann müssen Eltern nicht jede Woche suchen, wo sie in die Kirche gehen können, ohne ihre Kinder eine Stunde lang still zu halten. Wir brechen das bisherige Ortsprinzip etwas auf und erweitern das Angebot mit Schwerpunkten für die Jugend oder für Erwachsene. Bislang bedienen wir eine Gruppe in allen Kirchen, aber alle anderen Gruppen kaum. Künftig müssen wir Angebote präziser machen und damit insgesamt mehr Menschen ansprechen.

Was sagen Sie Menschen, die Angst haben, durch die Veränderungen die Beziehung zu ihren Pfarrern zu verlieren?

Einerseits muss man sich von alten Strukturen lösen, aber andererseits darf nicht jeden Sonntag ein anderer Priester aus der Sakristei kommen, dann wird Kirche beziehungslos – auch für uns Priester. Deshalb brauchen wir weiterhin eine gewisse örtliche Zuordnung und Vertrautheit, aber nicht nur. Bewährtes wird nicht aufgegeben, sondern durch Neues ergänzt.

In seiner Freizeit beschäftigt sich Michael Teipel gern mit Kunst.
In seiner Freizeit beschäftigt sich Michael Teipel gern mit Kunst. | Bild: Hanser, Oliver

Warum haben Sie sich für das Priesteramt entschieden, obwohl Sie damals Sport und Geschichte studierten?

Kurz gesagt: Berufung. Ich habe damals stark gespürt, dass ich etwas ändern muss. Ich hatte eine große innere Unruhe und merkte, dass dies mit der Idee zusammenhängt, Priester zu werden. Dabei bin ich auch erschrocken, weil ich selbst andere Pläne hatte. Unter anderem wollte ich eine eigene Familie haben. Das hat mich schon gefordert, aber ich hatte gute Begleitung. Unsere Gemeindereferentin hat mir Druck genommen und gesagt, sie wisse auch nicht, welcher Weg der richtige für mich ist, aber um das herauszufinden, müsse ich ein Stück des Weges gehen. Ich habe unter anderem bei einem Praktikum gute Erfahrungen gemacht und gespürt: Der Weg könnte zu mir passen.

Haben Sie trotzdem manchmal Krisen und Zweifel?

Ja, natürlich. Jeder fragt sich doch immer wieder, ob er auf dem richtigen Weg ist. Aber derzeit empfinde ich meinen Weg als richtig, dieser Beruf passt zu mir. Er ist sehr erfüllend und ein großes Geschenk, denn er bietet die große Bandbreite von Kontakten, mit kleinen Kindern genauso wie mit alten Menschen. Wir begleiten sie bei den schönsten und den traurigsten Erlebnissen. Ich habe punktuelle Begegnungen, darf manche Menschen aber auch länger begleiten.

„Mein Beruf ist sehr erfüllend und ein großes Geschenk“, sagt Pfarrer Michael Teipel.
„Mein Beruf ist sehr erfüllend und ein großes Geschenk“, sagt Pfarrer Michael Teipel. | Bild: Hanser, Oliver

Gab es in Ihrer Familie Pfarrer, die Ihr Vorbild waren?

Ja, es gab Geistliche in meiner Familie, das hat mich auch zum Nachdenken gebracht. Ich hatte eine Krise, als ich gehört habe, dass auch mein Großvater am Seminar war. Da kam der Gedanke: Wenn er geblieben wäre, gäbe es mich nicht. Das Nicht-Weitergeben von Leben auf diese Weise ist auch mit meinem Beruf verbunden. Dennoch ist es für jeden Menschen wichtig, fruchtbar zu sein. Zum Glück erlebe ich mein Leben als fruchtbar, ich darf Leben ermöglichen, nur eben anders als Vater und Mutter. Das versöhnt mich damit.

Welche Charaktereigenschaften schreiben Sie sich selbst zu?

Ich bin interessiert, in vielerlei Hinsicht. Und mir wird zugesagt: Du wirkst so ruhig. Das ist oft hilfreich – auch wenn es in mir drin oft ganz anders aussieht. Ganz wichtig sind mir Freundlichkeit und Wohlwollen. Ich nehme leider wahr, dass das in unserer Gesellschaft nicht mehr so wertgeschätzt und gelebt wird. Es wird viel geschimpft und das Negative betont. Ich finde es richtig, kritisch zu sein. Aber wenn die Bereitschaft fehlt, den anderen verstehen zu wollen, wird Zusammenleben schwierig.

Das könnte Sie auch interessieren

Wie möchten Sie die Gemeinden hier prägen, was wollen Sie verändert haben, wenn Sie Konstanz irgendwann wieder verlassen?

Meinen Stempel aufzudrücken, ist gar nicht mein Ansinnen. Ich sehe mich eher in der Rolle des Ermöglichers. Dabei geht es nicht um mich, sondern mir ist wichtig, dass Menschen mit Jesus Christus in Verbindung kommen, den Schatz des Glaubens entdecken und als Halt erleben. Die Verbindung von Gottesliebe und Nächstenliebe ist dafür entscheidend, das sind zwei Seiten des Gleichen.

Ich empfinde es als wertvoll, dass ich zu Gott im Gebet kommen kann und gestärkt werde, wenn ich Menschen in belastenden Situationen begleite. Mit dieser Stärkung gehe ich wieder zu den Menschen, das ist wie ein Pendel. Wenn ich in Konstanz etwas erreichen möchte, dann ist es mein Ziel, Menschen und besonders Jugendliche so zu fördern, dass auch sie diese Erfahrung machen können, in der Nächstenliebe Sinnvolles zu tun und dabei selbst Sinn zu erfahren.