Ein einzelner Schauspieler steht auf der Bühne. Die Zuschauer können ihm in die Augen sehen. Dominik Puhl spielt sich in „All das Schöne“ mit Leichtigkeit durch denkbar schwere Themen: Erwachsenwerden, Sinn des Lebens, Suizid. Wer diese Inszenierung oder eine der vielen anderen besonderen Produktionen auf der Werkstattbühne miterlebt hat, ist leicht davon zu überzeugen, dass dieser besondere Ort erhalten werden muss. Ähnlich geht es Menschen, die im Konstanzer Münster die Aufführung einer monumentalen Bruckner-Sinfonie miterleben konnten.
Im Sinne dieser Menschen hat der Konstanzer Gemeinderat entschieden, als er dem Theater und der Südwestdeutschen Philharmonie harte Einschnitte erspart hat. Wer in der Debatte kaum eine Rolle spielte: All die vielen Konstanzer, die weder ins Theater noch zum Philharmonie-Konzert gehen – und doch für all das mitbezahlen. Die, ohne dass sie nach ihrer Meinung dazu gefragt wurden, der Stadt mit ihrem Geld aus der finanziellen Misere helfen. Vielen von ihnen dürfte der Ratsbeschluss sauer aufstoßen.
Zur Erinnerung: Die Stadt Konstanz gibt viel mehr Geld aus, als sie hat – 15 Millionen Euro pro Jahr. Vor über einem Jahr hat der Gemeinderat deshalb eine Art Pakt beschlossen. Neun Millionen Euro werden über höhere Einnahmen gedeckt, sechs Millionen Euro bringt die Verwaltung durch Einsparungen ein. Die neun Millionen kommen. Das Wohnen wird – für alle! – durch die höhere Grundsteuer noch teurer. Betriebe müssen mehr Gewerbesteuer abführen. Touristen bezahlen die Bettensteuer. Autobesitzer höhere Park- und Eltern höhere Kita-Gebühren. Bürger, Touristen und Wirtschaft haben geliefert.
Die Verwaltung und der Gemeinderat lösen den anderen Teil des Pakts nicht ein. Sie sparen nicht nur, sondern geben munter nicht vorhandenes Geld aus. Für jede neue Aufgabe sollen neue Stellen her. Als alle längst wussten, dass es finanziell knapp ist, hat sich Konstanz den de-facto-Aufbau einer Berufsfeuerwehr und das Projekt Smart City geleistet. Die Verwaltung hat das alles vorgeschlagen, der Gemeinderat macht in aller Regel willig mit.
Der Gemeinderat war munter mit dabei beim großen Geldausgeben
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass der Gemeinderat der Verwaltung in Sachen Kultur-Kürzungen die Gefolgschaft nun verweigert hat. Die meisten wussten wohl, dass sie so viele Chancen zum Sparen – man könnte auch sagen: zur Vertragserfüllung gegenüber der Stadtgesellschaft – verpasst haben, dass man vielleicht nicht gerade dort zugreifen sollte, wo es weh tut. Bei den freien Kulturschaffenden, bei den Sportvereinen, beim Schwimmunterricht waren die Skrupel kleiner oder der Wahltag weiter weg.
So bleibt der Eindruck, dass man nur laut genug sein muss, um sich durchzusetzen. Die Mitarbeiter von Theater und Philharmonie haben sich in Szene gesetzt und die Stadträte geradezu überrumpelt.
Theaterleute brüllen einem Stadtrat ins Wort. Wo bleibt der Respekt?
Als Achim Schächtle von der FDP daran erinnerte, dass der Gemeinderat der ganzen Stadt verpflichtet ist, waren sich Theaterleute nicht zu schade, ihm mit Buh-Rufen ins Wort zu brüllen. Ist das das versprochene Gegengewicht zu Polarisierung, Populismus und Respektlosigkeit? Hatte das Theater nicht in der vergangenen Spielzeit das Motto „Respekt ist zumutbar“?
Wenn sich ein Chefdirigent und eine Theaterintendantin feiern lassen wie Popstars, wenn sie als Führungskräfte der Stadtverwaltung für Partikularinteressen eintreten, ist das dann gesellschaftliche Verantwortung? Fragt das aktuelle Theatermotto nicht „Wer entscheidet Zukunft“?
Wenn empört so getan wird, als würde jetzt das ganze Theater geschlossen und die komplette Philharmonie abgewickelt, obwohl beiden Einrichtungen zusammen immer noch über neun Millionen Euro Jahr allein von der Stadt geblieben wären, ist das noch seriös? Hat sich die Philharmonie nicht eine die ganze Stadt umspannende Losung gegeben, „Wir für Euch“?
Es wurde klar: Wer leise ist, findet nur schwer Gehör
Theater und Philharmonie mögen für den Moment als Gewinner aus der Debatte hervorgehen, aber viele andere sind Verlierer. Unterlegen sind all die Leisen mit ihren Anliegen. Kulturbürgermeister Andreas Osner verspricht gerade ihnen in seinen Reden immer Gehör. Vergangenen Donnerstag brachte er im Gemeinderat dazu den Mund nicht auf.
Verloren haben auch all die Anliegen, für die die Betroffenen kein Spießrutenlaufen für Stadträte im Rathaus-Innenhof veranstalten, von genügend Ressourcen im Kampf gegen Kindeswohlgefährdung bis zur Barrierefreiheit in städtischen Gebäuden. Ins Hintertreffen geraten ist neben OB Uli Burchardt auch Finanzchef Ulrich Schwarz, der, anders als sein Vorgänger Hartmut Rohloff, keine große Überzeugungskraft zu haben scheint.
„Sport und Kultur kann man nicht gegeneinander ausspielen“ – was für ein Unsinn!
Wenn er politisch weiterhin ernst genommen werden will, muss der Gemeinderat nun einen besseren Sparvorschlag über mindestens eine Million Euro jährlich machen. Es wird nicht gelingen bei Stadträten, die behaupten, man könne Sport und Kultur nicht gegeneinander ausspielen und kurz darauf ganz schmerzfrei Bodenseeforum oder Smart Green City gegen die Kultur auszuspielen.
Wie geht es nun weiter? Es ist nicht auszuschließen, dass der vermeintlich so mutige Gemeinderat die Stadt, der er verpflichtet ist, handlungsunfähig gemacht hat. Ein Szenario ist, dass das Regierungspräsidium künftig per Vorgabe entscheidet, wie Konstanz das Geld ausgibt, das die Bürger, die Unternehmen, die Gäste und ganz massiv auch die anderen Kommunen im Land erwirtschaften. Dann würde wohl mit dem Rasenmäher gekürzt. Und die Stadträtinnen und Stadträte hätten sich nicht die Hände schmutzig gemacht.
Auf den ersten Blick mag es also nach einem Sieg für die Kultur (oder besser: für ein bestimmtes Segment von Kultur) aussehen. In Tat und Wahrheit ist aber gar nichts gewonnen. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee zu überlegen, ob „All das Schöne“ nicht auch im Kula, im K9, in einer Schulaula oder an einer der Hochschulen seinen Zauber entfalten könnte. Denn klar sollte sein: Solche Momente braucht diese Stadt.