Schon lange bevor der Gemeinderat überhaupt zusammentritt, ist die Diskussion überall. Und die Ouvertüren werden an vielen Orten gespielt. Zum Beispiel am Mittwochabend, am Tag vor der Sitzung. Im Konzil ist die Atmosphäre aufgeladen, als die Südwestdeutsche Philharmonie ausgerechnet Beethovens Fünfte anstimmt, die in ihren Grundzügen so fiebrige Schicksalssinfonie. Kein Wunder: 70 Musiker auf der Bühne und 800 Zuhörer im Saal wissen – am nächsten Abend wird es ernst.

Zum Beispiel aber auch in den E-Mail-Postfächern von Stadträten. Dort stauen sich Zuschriften aus ganz Deutschland, die im Rahmen einer offensichtlichen eigens anzettelten Kampagne einen angeblichen beabsichtigten Kahlschlag am Theater im Vorgriff schon mal anprangern. Oder dann im Innenhof des Rathauses, auf dem Weg zum Ratssaal und auf den Zuschauerplätzen haben sich Menschen versammelt, die die anstehende politische Entscheidung in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Sache beeinflussen wollen.

Zugleich bauen Theater Konstanz und Südwestdeutsche Philharmonie für die Vertreter der Bürgerschaft einen Betrachtungswinkel auf, aus dem sie auf das Thema Budgetkürzungen schauen sollen: Es geht, so bringen sie es vor, um Arbeitsplätze, und vor allem am Theater um das Programm ausgerechnet für die jüngsten Besucher.

Vor dem und im Rathaus protestieren Mitarbeiter der Konstanzer Kulturinstitutionen über die befürchteten Kürzungen in den Etats von ...
Vor dem und im Rathaus protestieren Mitarbeiter der Konstanzer Kulturinstitutionen über die befürchteten Kürzungen in den Etats von Theater und Südwestdeutscher Philharmonie. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Das ist die Situation, in die Oberbürgermeister Uli Burchardt hineinwirken muss. Der Gemeinderat ist zusammengetreten, und es liegt in der Luft, dass es an diesem Abend schwierig werden könnte. Burchardt hat seine Einführung ins Thema Kürzungen am Theater gut vorbereitet. Wenn man die Bürger, Unternehmen und Touristen mit höheren Steuern und Abgaben belaste, sei es „unsere Pflicht“, dass die Verwaltung auch spart, sagt er. Immerhin habe die Stadt auch noch andere Aufgaben als die „Leuchttürme“, die ihm am Herzen lägen, und er zählt auf: Kita-Ausbau, Flüchtlingsunterbringung, Schulen, Sporthallen, bezahlbarer Wohnraum, Klimaschutz.

Das sagen die, die die Kürzungen befürworten

Burchardt ist nicht allein mit dieser Meinung. CDU-Fraktionschef Roger Tscheulin erinnert daran, dass Konstanz als amtlich für steuerschwach erklärte Stadt viel Geld von anderen Städten bekommt, die sich nicht so viel Kultur leisten. Jürgen Faden von den Freien Wählern erinnert daran, dass Konstanz nicht nur die Einnahmen erhöhen, sondern auch die Ausgaben senken müsse.

Heinrich Everke (FDP), ein treuer Theatergänger seit Jahrzehnten, ringt erkennbar mit sich, erinnert dann aber auch an die „Gerechtigkeit“ gegenüber jenen Bereichen, in denen schon gekürzt wurde. Aus anderen Fraktionen gibt es immerhin Einzelmeinungen, die die Linie des Oberbürgermeisters und des Stadtkämmerers mittragen, so etwa von Alfred Reichle (SPD).

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Das sind Argumente der Kürzungs-Gegner

Es zeigt sich aber auch, dass viele Stadträtinnen und Stadträten in dieser Entscheidung eine grundsätzliche Weichenstellung für das Thema Kultur halten. Peter Müller-Neff (FGL) sagt: „Wer keine Kultur konsumiert, verarmt“. Jan Welsch (SPD) erinnert daran, dass die Mitarbeiter am Theater mit die schlechtesten Bedingungen hätten, die es in der Verwaltung gibt, ausgerechnet hier in beispiellosem Ausmaß zu sparen und Existenzen zu gefährden, „das ist nicht fair“.

Matthias Schäfer (Junges Forum) kritisiert, wie Stadträte unter Druck gesetzt würden, plädiert aber doch dafür, das Theater im jetzigen Umfang zu erhalten. Und Holger Reile (Linke Liste) geißelt, die Verwaltung leite mit ihrem Vorschlag „einen kulturellen Kahlschlag ein, der bald auch andere treffen wird, die ums Überleben kämpfen.“

Von Badawi bis Welsch: So haben die Stadträte zum Theater abgestimmt

Applaus erleben Stadträte nur selten. Als der Gemeinderat am Donnerstag mehrheitlich ein hartes Sparprogramm bei der Kultur ablehnte, ...
Applaus erleben Stadträte nur selten. Als der Gemeinderat am Donnerstag mehrheitlich ein hartes Sparprogramm bei der Kultur ablehnte, gab es im Ratssaal einen solchen kurzen Moment der Anerkennung. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Ob es am Ende die Kulisse der vielen Zuschauer ist, die drängenden E-Mails, der Eindruck der Kundgebung wenige Tage zuvor auf dem Münsterplatz oder das Vertrauen darauf, dass die Stadt die fehlenden Millionen an anderer Stelle wird einsparen können – das wird auch nach vier Stunden Sitzung nicht ganz klar.

Nur Till Seiler (FGL) wagt eine Prognose: Die sechs Millionen Euro Einsparziel, sagt er, könne man vergessen, denn „so krasse Verwerfungen in der Stadtgesellschaft“ wolle wohl niemand in Kauf nehmen. Seine Fraktionskollegin Christel Thorbecke sieht es so: „Wir sind keine Rechenmaschinen und keine künstliche Intelligenz, die nach irgendwelchen Zahlen verteilt.“

Darf bei der Kultur nicht über ein Preisschild gesprochen werden?

Achim Schächtle von der FDP dagegen hat einen ganz anderen Blick: Die Stadt fördere die Kultur mit 2300 Euro pro Stunde, es gebe auch andere Aufgaben, und er sieht den Gemeinderat in der Verantwortung fürs große Ganze. „Wir, die politischen Vertreter aller Bürger der Stadt“ hätten für die gesamte Stadt zu entscheiden, dafür erntet er von den Kulturfreunden im Publikum sogar Buh-Rufe. Wenig gut kommt auch die Rechnung von Roger Tscheulin an: Jede Philharmonie-Karte werde mit 100 Euro bezuschusst, kritisiert er.

Im Detail: Was kommt auf die Philharmonie (SWP) nun zu?

Nachdem alle Abstimmungen über die Bühne gegangen sind und das Theater mit dem Minimal-Sparbetrag davongekommen ist und die Ziele für die Philharmonie nochmals zurückgenommen wurden, herrscht ein kurzes Durchatmen. Ein Sieg für die Kultur und für die demokratischen Werte, die sie vermittelt, sagen die einen und berufen sich dabei unter anderem auf couragiert auftretende Intendantin Karin Becker.

Ein Einknicken vor einer besonders lautstarken und gut organisierten Interessengruppe, so empfinden es die anderen – unter ihnen auch Stadträte wie Matthias Schäfer vom Jungen Forum, die am Ende aber doch gegen die ganz harten Sparmaßnahmen gestimmt haben.