Ablasshandel oder sinnvolle Maßnahme für den Naturschutz? Konstanz will auf ehemaligen Ackerflächen in Wallhausen, Dingelsdorf und Dettingen einen Ausgleich für die geplante Bebauung des Hafners schaffen. Und zwar über Ökopunkte und ein Ökokonto – und noch bevor der Wohnungsbau überhaupt beginnt.
Sparkonto für künftige Eingriffe
Beim Ökokonto handelt sich um eine Art Sparkonto. Der Vorteil ist: Die Stadt kann auf diesem Wege schon mal den Ausgleich für spätere Eingriffe angehen, lange bevor diese tatsächlich anstehen. Dennoch zeigte sich ein Teil des Gemeinderats bei der jüngsten Beratung zu dem Thema unzufrieden. Denn Vorgaben der Naturschutzverbände Nabu und BUND für die Ökopunkte wurden knapp mit 18 zu 16 Stimmen abgelehnt.
Die Stadt kann nach den Beschlüssen des Gemeinderats nun rund 590.000 Euro aufwenden, um auf Flächen eines ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebs Ökopunkte zu erwerben. Aus den früheren Äckern soll zu diesem Zweck wieder Naturland werden.
Die Naturschutzverbände sehen unter bestimmten Bedingungen Ökopunkte als sinnvoll an, denn sie können den Biotopverbund in einer Stadt stärken. Sie stellen aber auch fest: Wer in einen Naturraum eingreift, muss im selben Naturraum auch einen Ausgleich schaffen. „Die räumliche Flexibilisierung endet daher an der Gemarkungsgrenze.“
Ganz so weit wollte der Rat nicht gehen. Vorrangig sollen Ökopunkte auf Konstanzer Gebiet gewonnen werden, aber nicht nur. Die Stadt darf sie auch bei Nachbarn erwerben, wenn dies einem Biotopverbund dient, der über ihre Grenzen hinausreicht.
Die Naturschutzverbände nennen sechs Voraussetzungen, unter denen sie Ökopunkte akzeptieren könnten. So halten sie es für erforderlich, dass nur von der Naturschutzverwaltung (Landratsamt, Regierungspräsidium) formal anerkannte Ausgleichsmaßnahmen aufs Ökokonto kommen.
Würden die Voraussetzungen nicht beachtet, dann bestehe die Gefahr, „dass die Ökopunkteregelung zu einem Instrument für den noch weiter zunehmenden Raubbau an der Natur verkommt“, so der Naturschutzbund und der Bund für Umwelt und Naturschutz in seiner gemeinsamen Stellungnahme.
Kritik von den Gemeinderäten
„Wir hätten das gern verbindlicher“, sagte dazu Gisela Kusche (Freie Grüne Liste) im Gemeinderat. Ihr Fraktionskollege Peter Müller-Neff zeigte sich erbost, weil die Stellungnahme der Naturschutzverbände erst auf Nachfragen nachgereicht wurde. Keiner von deren Punkten sei in der Abstimmungsvorlage drin. Er könne diese deshalb nur ablehnen.
Für Müller-Neff sind Ökopunkte ein moderner Ablasshandel. Unter dem Strich werde die Landschaft verbaut, und alle fühlten sich dabei auch noch wohl. Holger Reile (Linke Liste) sprach sich dafür aus, die Bedingungen der Naturschutzverbände aufzunehmen. Nur dann könne die Linke zustimmen. Auch für Alfred Reichle (SPD) kommt eine Renaturierung an anderer Stelle nicht in Frage. Grundsätzlich betrachtet er das Ökokonto aber als Investition in die Zukunft.
Stadtplanerin Marion Klose plädierte für eine schnelle Entscheidung fürs Ökokonto: letztlich mit Erfolg. Die Stadt könne die entsprechenden Punkte jetzt erwerben, so Klose. „Wir brauchen die für den Hafner.“ Die Finanzierung der Renaturierungsmaßnahmen soll über eine Sonderrechnung Hafner erfolgen.
Konstanz in seiner exponierten Lage mit vielen Naturschutzgebieten und der Grenze zur Schweiz hat ein Problem: Für jeden Bau muss es einen Ausgleich geben, so wollen es das Baugesetzbuch und das Bundesnaturschutzgesetz. Doch die Stadt stößt schnell auf widerstrebende Interessen, wenn etwa aus intensiv genutzten Äckern Grünland oder Wald werden soll.
Andere Städte machen es vor
Über das Ökokonto können schon im Vorfeld einer geplanten Bebauung Ökopunkte angesammelt und später dann zum passenden Zeitpunkt ausgegeben werden. Die Stadtverwaltung stellt in der Vorlage für den Gemeinderat fest: Es könnten naturräumliche Aufwertungsmaßnahmen auf den Weg gebracht und übergeordnete Entwicklungen angestoßen werden. „Städte wie Freiburg, Tübingen oder Friedrichshafen führen bereits seit geraumer Zeit ein Ökokonto.“
Spätestens zur Offenlage des Bebauungsplans muss klar sein, wie die Eingriffe kompensiert werden und welche Flächen für den Ausgleich konkret in Aussicht stehen. Auf dem Hafner bei Wollmatingen, ein landwirtschaftlich genutztes, städtebaulich aber noch relativ unberührtes Gebiet am Konstanzer Stadtrand, soll in den nächsten Jahren faktisch ein neuer Stadtteil entstehen.
So groß wie der Stadtteil Paradies
Die Erschließung beginnt voraussichtlich 2025. Geplant sind etwa 3300 neue Wohnungen auf einer Siedlungsfläche von 60 Hektar – das entspricht etwa dem Konstanzer Paradies. Inbegriffen sind dabei auch 15 Hektar Gewerbefläche, rund 13 Hektar öffentliches Grün und vier Hektar für Sport und Spiel.