Ein sommerlicher Mittwochmittag im Stadtteil Paradies: Zaghaft und etwas verschlafen blicken dem Konstanzer Peter Wüst mehrere flauschige Vögelchen entgegen. Sie sind grau-gelb eingefärbt, haben kugelrunde Äuglein und einen winzigen Schnabel. Schon als er am Morgen ein Piepsen aus dem Inneren der Eier hörte, war Wüst überzeugt: „Heute ist es soweit. Heute schlüpfen sie.“
Kleiner Rückblick: Vor etwa vier Wochen stellte Peter Wüst fest, dass eine Stockente einen alten Blumentopf auf seinem Balkon zum Nest umfunktioniert hatte. Seitdem brütet Agathe, wie er das Federvieh kurzerhand taufte, dort ihre Eier aus.
Das Problem: Der Balkon befindet sich mitten in Wohngebiet, in 15 Metern Höhe, direkt über dem Asphalt. Deshalb war für den 57-Jährigen schon damals klar: Der Nachwuchs wird Hilfe brauchen, um sicher an den See zu kommen.

Ob schon alle Entchen geschlüpft sind, kann Peter Wüst an diesem Nachmittag noch nicht erkennen, denn Mutter Agathe verharrt tapfer in ihrer Position. Also wartet der Konstanzer. Den ganzen Nachmittag, bis abends. Hier und da regt sich was, dann schlafen die Nesthäkchen wieder seelenruhig.
„Ich will sie jetzt nicht da wegjagen“, sagt Wüst wenig später beim Besuch des SÜDKURIER. Er warte auf ein Zeichen von Agathe, dass nun der Marsch an den See beginnen soll. „Dann bring ich die Küken in einem Karton runter.“
Bis die Tiere ihr Nest verlassen, dauere es sechs bis zwölf Stunden, erklärt der Konstanzer und fügt halbernst an: „Das hab ich auf einer Stockenten-Seite nachgelesen.“ Doch am nächsten Morgen sitzt Agathe immer noch unverändert in ihrem Blumentopf.
Das Federvieh macht keine Anstalten, den Weg in die Freiheit anzutreten. Also beschließt Peter Wüst, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Bevor ich nachher keine Zeit habe, zu helfen“, meint er.
Dann geht es im Entenmarsch zum Wasser
Kurzerhand setzt er die Küken in einen Karton und trägt sie durch das Treppenhaus hinunter auf den Gehweg. „Agathe hat sich nicht fangen lassen und ist selbst nach unten geflogen“, erzählt er später. Von dort aus beginnt der Entenmarsch Richtung Wasser. Und Peter Wüst hinterher.
Auf der Zasiusstraße, über die Gartenstraße, quer über den HTWG-Campus. „Sie wollte ein paarmal falsch abbiegen“, sagt er. „Aber ich hab sie dann wieder auf den richtigen Weg geleitet.“ Hilfsbereite Passanten halten sogar vorbeifahrende Autos an, damit die Enten sicher über die Straße watscheln können.
Bis sie schließlich ihr Ziel erreichen und schnurstracks ins Wasser stolpern – freudig, etwas unbeholfen, gar tollpatschig. Wie war der Abschied? Peter Wüst: „Ich war froh, als sie dann im Wasser waren. Aber es war schon ein etwas wehmütiger Moment.“
Mit einem Augenzwinkern fügt er jedoch hinzu: „Nächstes Frühjahr hänge ich ein Schild mit einer Stockente am Geländer auf.“ Darauf soll „no landing“ (auf deutsch: nicht landen) stehen, meint er und lacht. Jetzt gilt aber erst einmal: Ente gut, alles gut.