Als Bärbel Damm mit Corona im Bett lag, war das so ein Moment, in dem sie froh war, auf eine Gemeinschaft zurückgreifen zu können. „Die anderen haben für mich eingekauft, gekocht, für mich gesorgt“, erinnert sie sich. Die anderen, das sind ihre Nachbarn – oder eben auch mehr als. Sie wohnt in der Hausgemeinschaft des Vereins Aufwind. 13 Bewohner, die älter als 50 Jahre sind, leben in dem Haus in Konstanz-Petershausen – zwar in getrennten Wohnungen, doch im alltäglichen Leben eng verbunden.

Wie jeden Samstagvormittag sitzen die Mitglieder von Aufwind Konstanz zum Frühstück im Gemeinschaftsraum ihres Hauses. Ein großer, gedeckter Holztisch, eine Kaffeemaschine in Dauerbenutzung, reichlich Gelächter und Gespräche. Das ganze Haus Nummer Drei an der Wollmatinger Straße ist ausschließlich von der Hausgemeinschaft bewohnt. Der Gemeinschaftsraum ist das Herz des Hauses. Er steht für mehr als nur gute Nachbarschaft.

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Der Verein Aufwind Konstanz existiert seit 2016 und ging ursprünglich aus der Konstanzer Projektgruppe des Vereins Aufwind am Bodensee hervor. Die Idee: gemeinsam und selbstbestimmt leben und alt werden. 2018 ermöglichte die städtische Wohnbaugesellschaft Wobak dem Verein den Traum vom gemeinsamen Wohnprojekt in einem Neubau.

Mehr als nur Wohnungen: „Es geht um die Gemeinschaft“

Doch mit dem Wohnen allein ist es nicht getan, weiß die Vereinsvorsitzende, Claudia Zunker. „Der Verein lebt davon, dass man mitmacht. Es geht um die Gemeinschaft“, sagt sie. Zunker selbst wohnt nicht in der Hausgemeinschaft, wie viele der insgesamt 37 Vereinsmitglieder. Die Idee von gegenseitiger Unterstützung im Alter begeistere sie dennoch. So unternehmen die Mitglieder viel gemeinsam: das samstägliche Frühstück, einen Malkurs – dessen Ergebnisse die Wände des Gemeinschaftsraums zieren – oder Ausflüge in die Region.

Die Nummer Drei an der Wollmatinger Straße wird ausschließlich von Aufwind-Mitgliedern bewohnt. Mit der zentralen Lage des Wobak-Neubaus ...
Die Nummer Drei an der Wollmatinger Straße wird ausschließlich von Aufwind-Mitgliedern bewohnt. Mit der zentralen Lage des Wobak-Neubaus sind die Bewohner zufrieden. | Bild: Julius Bretzel

Vor Kurzem haben die Hausbewohner zum Beispiel die Insel Mainau besucht, wo ihr Mitbewohner und zweiter Vorsitzender, Johannes Ziegler, als Gärtner arbeitet. Darüber sprechen die Aufwind-Mitglieder auch heute am Frühstückstisch, berichten denen davon, die nicht dabei waren. Johannes Ziegler wohnte in einer Betriebswohnung, bevor er in das Aufwind-Haus gezogen ist. Das Recht auf die Mitarbeiterwohnung habe er immer noch, doch die Gemeinschaft sei ihm wichtiger, auch wenn sein Arbeitsweg nun etwas länger sei.

Die Bewohner der Hausgemeinschaft haben unterschiedliche Lebenswege hinter sich. Doch gemeinsam haben sie, dass alle sich irgendwann dazu entschieden haben, ihre bisherige Wohnung aufzugeben. Da ist zum Beispiel Christine Röthlingshöfer. Sie ist, wie einige andere Bewohner auch, noch voll berufstätig. Zuvor wohnte sie in einem kleinen Reihenhäuschen. Darin leben jetzt ihre Kinder. „Mir war klar: Ich will auch später noch unter Menschen sein“, sagt sie.

Christine Röthlingshöfer wohnte vorher in einem Reihenhaus in Staad. Ihr war irgendwann klar: „Ich will auch später noch unter ...
Christine Röthlingshöfer wohnte vorher in einem Reihenhaus in Staad. Ihr war irgendwann klar: „Ich will auch später noch unter Menschen sein.“ | Bild: Julius Bretzel

Röthlingshöfer steckte mit ihrer Begeisterung für das Aufwind-Projekte direkt ihre Schwester, Friederike Groh, an. Die 78-Jährige machte sich deshalb nach dem Tod ihres Mannes aus dem Saarland nach Konstanz auf. Ihre Wohnung, direkt neben dem Gemeinschaftsraum, ist eingerichtet mit den Erinnerungsgegenständen aus einem ganzen Leben. Was vorher in einem ganzen Haus war, erzählt sie, habe sie nun in der Zwei-Zimmer-Wohnung untergebracht. „Also alles hat natürlich nicht reingepasst“, korrigiert sie sich.

Die Bewohner des Aufwind-Hauses besuchen sich auch gegenseitig, wie hier Gabriele Rühlmann (rechts) auf der Terrasse von Friederike Groh.
Die Bewohner des Aufwind-Hauses besuchen sich auch gegenseitig, wie hier Gabriele Rühlmann (rechts) auf der Terrasse von Friederike Groh. | Bild: Julius Bretzel

Platz machen für eine andere Familie

Monika Vogel zog von einem Haus in einer ruhigen Lage in die Wohnung an der Wollmatinger Straße. „Viele Freunde von mir haben diesen Schritt nicht verstanden.“ In ihrem früheren Haus lebt jetzt eine andere Familie. Auch das ist Teil der Aufwind-Idee: Wenn ältere Menschen aus den Wohnungen ausziehen, die ihnen meistens zu groß geworden sind, wird Wohnraum für wohnungssuchende Paare und Familien frei.

Und für die Bewohner selbst wird vieles einfacher. „Wir werden oft mit betreutem Wohnen oder einer WG verwechselt. Das sind wir aber nicht“, erklärt Vogel. Trotzdem versuche man, füreinander da zu sein, eine Brücke zu schaffen, um in den eigenen vier Wänden bleiben zu können.

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Claudia Zunker betrachtet solche Wohnprojekte als Modell für die Zukunft: „Es wird immer schwieriger, im Alter versorgt zu werden. Und wenn du niemanden mehr hast, bist du aufgeschmissen. Die Pflegedienste können nicht alles leisten.“ Pflegerische Tätigkeiten üben die Bewohner aber nicht aus; sie sehen sich auch nicht als Konkurrenz zu Pflegediensten.

Claudia Zunker ist Vorsitzende des Vereins Aufwind Konstanz. Sie sagt: „Wenn du niemanden mehr hast, bist du aufgeschmissen.“
Claudia Zunker ist Vorsitzende des Vereins Aufwind Konstanz. Sie sagt: „Wenn du niemanden mehr hast, bist du aufgeschmissen.“ | Bild: Julius Bretzel

Die gemeinsamen Aktivitäten, wie etwa das wöchentliche Frühstück, sollen dafür sorgen, dass man in Kontakt bleibt. Miteinander spricht, sich aushilft, aktiv und lernbereit ist. Dass Mitglieder im Pflegeheim landen, soll auf diese Weise so lange wie möglich hinausgezögert werden. Vielen gibt die Hausgemeinschaft deshalb Sicherheit.

Sicher fühlt sich auch Gabriele Rühlmann. Die 68-Jährige hat zuvor schlechte Erfahrungen als Mieterin gemacht, musste sich mithilfe des Mieterbunds gegen eine Eigenbedarfskündigung wehren. Als sie in der Zeitung vom Aufwind-Projekt erfuhr, entschloss sie sich, ein Teil davon zu werden. „Ich wollte einfach nicht, dass ich mit 80 doch noch mal umziehen muss, in eine Wohnung, deren Miete ich nicht bezahlen kann.“ Das Wissen, dass sie hier wohnen bleiben kann, beruhigt sie.

Gemeinsam lachen hält fit, davon ist Gabriele Rühlmann überzeugt. Ihr gibt die Aufwind-Wohnung vor allem Sicherheit.
Gemeinsam lachen hält fit, davon ist Gabriele Rühlmann überzeugt. Ihr gibt die Aufwind-Wohnung vor allem Sicherheit. | Bild: Julius Bretzel

Viele Interessenten, die sich bei Aufwind melden, wollen einfach eine günstige Wohnung haben, erzählt Claudia Zunker. „Wir sind aber keine Wohnungsvermittlung. Unser Herz schlägt für die Gemeinschaft.“ Zu den Bedingungen zählt deshalb, Mitglied in den beiden Aufwind-Vereinen Konstanz und Bodensee zu sein und mindestens ein Jahr zuvor schon in Konstanz gelebt zu haben. Und auch die Beteiligung am Zusammenleben zählt: Es herrscht zwar kein Gruppenzwang, keine Anwesenheitspflicht bei gemeinsamen Aktivitäten, doch das Engagement in der Gruppe stehe immer im Mittelpunkt, so Zunker.

Ein offenes Ohr in Konstanz

Nach dem Frühstück geht es ans Aufräumen. „Wer hat denn diese Woche Putzdienst?“ heißt es dann in die Runde. Für den Gemeinschaftsraum sind alle verantwortlich. Jeder packt mit an, schnell durchgesaugt, dann ist der Raum bereit für den Malkurs, der am Nachmittag dort stattfindet.

Die Bilder im Gemeinschaftsraum sind das Ergebnis gemeinsamer Malkurse.
Die Bilder im Gemeinschaftsraum sind das Ergebnis gemeinsamer Malkurse. | Bild: Julius Bretzel

Die Mitglieder von Aufwind sind glücklich mit ihrem Haus – und auch dankbar. „Wir müssen wirklich sagen, dass wir in Konstanz ein offenes Ohr für unsere Vision hatten“, sagt Zunker. Die Stadt und die Wobak hätten dem Verein viel Unterstützung entgegengebracht.

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Deshalb plant der Verein nun eine neue Projektgruppe: An einem anderen Standort in Konstanz soll nach dem gleichen Prinzip eine neue Hausgemeinschaft entstehen. Dafür braucht es wieder einen langen Atem und engagierte Neumitglieder. Aber der Bedarf dafür ist da, davon ist Claudia Zunker überzeugt. „Wir brauchen Lösungen für diese Veränderung der Altersstruktur. Es wäre schade, die alten Menschen aus der Stadt zu kehren.“ Ihre persönliche Lösung für das Älterwerden haben die Mitglieder von Aufwind ja bereits gefunden: gemeinsam statt einsam.