Frau Großkreutz, wie geht es Ihnen so kurz nach Ihrem allerletzten Schultag?

Ehrlich gesagt ein bisschen gemischt. Für mich ist jetzt der richtige Zeitpunkt zu sagen: Der Erweiterungsbau ist fertig, die Schule ist gut aufgestellt, und die Dinge haben alle mal ein Ende. Es überwiegt die Freude, aber manches wird mir erstmal fehlen.

Was werden Sie denn vermissen und was nicht?

Nicht vermissen werde ich das frühe Aufstehen und das Gefühl, die Gesamtverantwortung zu tragen. Ich freue mich jetzt auf einen Abschnitt in meinem Leben, bei dem ich mir nicht morgens überlegen muss, was heute ansteht und wie wir welches Problem lösen. Vermissen werde ich ein buntes Schulhaus mit vielen Kindern, natürlich auch mein Kollegium.

Sie haben zunächst den Hauptschulabschluss gemacht, dann die Mittlere Reife, Fachabitur und zweimal Studium. Was hat Ihnen das für Ihre Tätigkeit als Lehrerin und Schulleiterin mitgegeben?

Ich habe alle Möglichkeiten unseres Bildungssystems genutzt, aber ich wusste schon früh, dass ich Lehrerin werden wollte. Viel prägender waren für mich meine eigenen Lehrkräfte. Ich traf auf tolle Pädagogen, die schon damals andere Dinge gemacht haben als das, was im Bildungsplan stand. Ich selbst hatte immer ein Ziel vor Augen und wusste, dass man einiges dafür tun muss, um es zu erreichen. Das gebe ich auch so weiter. Voraussetzung ist allerdings, dass jeder sich selbst engagiert und sein Talent auch einbringt.

Zur schulinternen Abschiedsfeier kam der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, als Überraschungsgast. Er war ...
Zur schulinternen Abschiedsfeier kam der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, als Überraschungsgast. Er war vorher bei einer Veranstaltung in Konstanz gewesen. | Bild: Stephan Beilharz, GMS Gebhard

Warum sind Sie vor zehn Jahren aus dem dreigliedrigen Schulsystem ausgeschert und haben eine der ersten Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg gegründet?

Damals hatten wir an der Gebhardschule das Thema Inklusion, und in der Pädagogik wurde das längere gemeinsame Lernen diskutiert, wie es in anderen Ländern längst üblich ist. Wir waren schon als Grund- und Werkrealschule in einem Veränderungsprozess. Auch viele Eltern fanden es gut, wenn ihre Kinder sich nicht so früh für einen bestimmten Abschluss entscheiden müssen. Als es die politische Option damals gab, haben wir uns als Starterschule beim Land beworben.

Sie hatten vor allem anfangs viele Kritiker. Gab es Momente des Zweifelns?

Natürlich habe ich auch manchmal gedacht: Oh je, können wir das wirklich alles so mutig durchziehen, wie wir uns das vorgenommen haben? Aber wir waren grundsätzlich immer davon überzeugt, dass es möglich ist. Ohne die innere Überzeugung hätten wir diesen langen Atem nicht gehabt, der nötig war.

Wie anstrengend war dieser Weg? Sie bekamen viel Gegenwind von Eltern, anderen Schulleitern und im Gemeinderat.

Es war schon anstrengend, aber es ist ganz natürlich, dass es Fragen oder Irritationen auslöst, wenn was Neues dazukommt. Für uns war es entscheidend, dass wir unsere gute Schulgemeinschaft hatten. Ich vergleiche das oft mit einem Langstreckenlauf. Wir brauchten viel Durchhaltevermögen und ein gutes Team, das mich immer unterstützte. Und mir ist es wichtig zu betonen, dass auch andere Schulen gute Arbeit leisten. Das habe ich nie infrage gestellt, auch wenn es mir manchmal unterstellt wurde. Das wäre eine Arroganz, die überhaupt nicht zu mir passen würde.

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Die guten Schülerzahlen geben Ihnen ja Recht.

Das stimmt, aber auch das, was ich inhaltlich erlebe, gibt uns Recht. Ich weiß, dass Zahlen oft als wichtig gelten, aber für mich sind sie nicht der Maßstab.

Tut es trotzdem weh, wenn Sie so erfolgreich sind, gleichzeitig aber andere Schule schließen müssen wie die Mädchenschule Zoffingen, die Werkrealschule der Geschwister-Scholl-Schule und die Theodor-Heuss-Realschule?

Die Schließung des Zoffingen hatte nichts mit uns zu tun. Beim Theo gibt es einen Zusammenhang. Ich hätte mir eine gemeinsame Entwicklung mit dem Theo gewünscht, aber die Schule hat sich für ihren Weg entschieden, und das ist legitim.

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Sie haben Schulen neu gegründet, viel politisch gekämpft und Neubauten begleitet – gibt es irgendeine Herausforderung, vor der Sie richtig Respekt haben?

Es gibt durchaus Herausforderungen, die man nicht kalkulieren kann. Wie die Corona-Pandemie. Obwohl wir das relativ okay auf die Reihe bekommen haben, empfand ich das als meine größte Herausforderung als Schulleiterin. Bei dem, was jetzt noch auf uns alle zukommt, Stichwort Ukraine-Krieg und Energiekrise, habe ich zum ersten Mal gedacht: Wow, zum Glück muss ich mich da nicht auch noch reindenken.

Elke Großkreutz war seit 2002 Leiterin der Gebhardschule, die zuerst eine Grund- und Werkrealschule war.
Elke Großkreutz war seit 2002 Leiterin der Gebhardschule, die zuerst eine Grund- und Werkrealschule war. | Bild: Kirsten Astor

Was ist überhaupt übrig geblieben vom Digitalisierungsschub durch Corona?

Ich finde, bei uns ganz schön viel! Viele Formate, die die Kollegen unter Zwang entwickeln mussten, zum Beispiel den Einsatz von I-Pads im Unterricht, die bleiben. Oder auch die Selbstverständlichkeit, dass man für eine kurze Zusammenschaltung eine Videokonferenz anberaumt, finde ich genial. Es gibt auch so tolle Lern-Apps und digitale Formate, die den Unterricht bereichern.

Warum hat das vor der Pandemie niemand bemerkt?

Manche Schulen in Baden-Württemberg hatten das auch vor der Pandemie schon in größerem Maße, aber die Infrastruktur war hier einfach nicht gegeben. Das war eine der positiven Seiten der Pandemie, dass wir in diesem Bereich vorankamen.

Aber es gibt immer noch nicht W-Lan in allen Konstanzer Klassenzimmern.

Ich bin optimistisch, dass es bald soweit sein wird (lacht).

Wie war das Miteinander unter den Konstanzer Schulleitungen? Eine gewisse Konkurrenz besteht schon, oder?

Ich habe mich von den Schulleiterkollegen durchaus sehr unterstützt gefühlt, zum Beispiel bei der Entwicklung unserer Oberstufe. Wir haben eine Basis gefunden, für die ich sehr dankbar bin. Konkurrenz vermeide ich grundsätzlich, weil ich davon überzeugt bin, dass auch andere gute Sachen machen. Mit dieser Haltung bin ich im Leben oft weitergekommen. Ein Gegeneinander kostet unnötige Energie.

In Ihrem Schulhaus steht eine Holzfigur mit der Aufschrift „Jedes Kind ist willkommen“. Gilt das auch für die Aufnahme Ihrer Lernenden? Es wird gemunkelt, dass Sie nicht immer alle Kinder aufgenommen haben, weil Gemeinschaftsschule nur funktioniert, wenn man in den Lerngruppen je etwa ein Drittel mit Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialniveau hat.

Energie, Leidenschaft, Eigensinn und ein „mega Speicher“ im Gehirn: So charakterisieren Kollegium und Schüler der ...
Energie, Leidenschaft, Eigensinn und ein „mega Speicher“ im Gehirn: So charakterisieren Kollegium und Schüler der Gemeinschaftsschule Gebhard ihre Schulleiterin zum Abschied mit dieser Holzfigur. | Bild: Kirsten Astor

Diese Figur haben mir Kollegium und Schüler zum Abschied geschenkt (lacht). Wir können uns ja gar nicht aussuchen, wen wir aufnehmen. Bislang mussten wir immer alle aufnehmen, weil es keine andere Gemeinschaftsschule in zumutbarer Entfernung gab. Aber auch für das kommende Schuljahr haben wir nicht solche Kriterien angelegt. Ich weiß, dass sowas gemunkelt wird, aber oft ist es klug, nachzufragen.

Das tue ich hiermit.

Nein, bei uns ist jedes Kind willkommen. Andererseits ist schon die Frage, wo die Grenzen unseres Systems liegen. Das ist dann der Fall, wenn ein Kind sich gar nicht in die Gemeinschaft einfügen kann. Wir können statistisch nachweisen, dass eine ganze Reihe Kinder, die mit einer Hauptschulempfehlung kamen, bei uns das Abitur abgelegt haben. Aber natürlich gab es auch Kinder, die signalisiert haben, ihnen täte ein anderes System gut. Gemeinschaftsschule ist ja nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Bei uns kann nicht jeder machen, was er will, wir verlangen genauso Leistung und geben klare Rahmenbedingungen vor. Das ist schlichtweg nötig, wenn Kinder auf unterschiedlichen Niveaus arbeiten.

Sie haben in Ihrem letzten Schuljahr noch mit Ihrem Team die zweite Konstanzer Gemeinschaftsschule konzipiert. Warum?

Naja, es war klar, dass diese Schule allein zu groß wurde. Es brauchte eine zweite, und kein bestehendes Kollegium wollte sich in diese Richtung entwickeln. Ich habe eine Verantwortung gespürt, die neue Schule mitzuentwickeln. Wir haben den Gedanken der Schulfamilie aus Kanada übernommen. Das heißt, die Kollegien werden sich austauschen, die Schulen kooperieren. Klar steht immer die Frage im Raum, ob die zweite Gemeinschaftsschule auch erfolgreich sein wird, aber für mich ist wichtiger, ob sie ein gutes Angebot für Kinder macht. Wir haben uns wahnsinnig viele Gedanken gemacht und ein Schulentwicklungsteam gebildet. Aus diesem Team heraus wird auch eine Kollegin die neue Schule leiten. Die Kollegen der neuen Schule werden selbstverständlich unsere Materialien für Klasse 5 erhalten und müssen nicht alles neu erfinden.

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Wer wird denn die neue Schule leiten?

Das kann ich noch nicht sagen, weil das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.

Und wie heißt die neue Gemeinschaftsschule?

Wir hatten mehrere Vorschläge gemacht, aber nun soll die neue Schule mitentscheiden dürfen. Bis dahin heißt sie „neue Gemeinschaftsschule“.

Wie oft ist sie wohl hier hinauf- oder heruntergestiegen? Elke Großkreutz mag die großen Stufen im Eingangsbereich der ...
Wie oft ist sie wohl hier hinauf- oder heruntergestiegen? Elke Großkreutz mag die großen Stufen im Eingangsbereich der Gemeinschaftsschule Gebhard. | Bild: Kirsten Astor

Können Sie jetzt loslassen nach so vielen Jahren Zuständigkeit und Verantwortung?

Ja, das kann ich tatsächlich. So ging es mir auch bei der Grundschule Petershausen, die früher zu uns gehörte und auf unser Betreiben hin selbstständig wurde. Ich weiß, dass die Schule in guten Händen ist, so wird es auch an der Gemeinschaftsschule Gebhard sein. Denn meine bisherige Stellvertreterin Charlotte Dreßen wird künftig die Schule leiten.

Was fangen Sie jetzt mit Ihrer Zeit an?

Das weiß ich auch noch nicht (lacht). Ich verreise jetzt erstmal drei Wochen nach Schweden, aber zum ersten Mal im Leben habe ich keinen Plan. Ich bin sonst dafür bekannt, einen A- und einen B-, oft sogar einen C-Plan zu haben. Aber jetzt ist mein Plan, keinen Plan zu haben. Mir fällt sicher was ein. Vielleicht werde ich Trauerrednerin.

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