Durchwachsene Zwischenbilanz nach knapp zwei Jahren: Die Miet-E-Roller, die seit Herbst 2020 in Konstanz unterwegs sind, leisten offenbar keinen messbaren Beitrag zur Mobilitätswende. Auch der behauptete positive Einfluss auf das Klima ist nicht belegbar. Auf der anderen Seite gibt es bisher kaum Probleme mit zugestellten Wegen und nicht weggeräumtem Elektroschrott.

Das zeigt eine erstmalige Auswertung des SÜDKURIER auf der Grundlage von Daten und Einschätzungen der Betreiber und der Stadt. Darin fließen auch Forschungsergebnisse aus dem nahen Zürich ein, denn für Konstanz wurde der genaue Effekt des Miet-Roller-Angebots bisher nicht wissenschaftlich untersucht.

Das Werbeversprechen: Kurzstrecke per E-Roller statt mit dem Auto

Für die Roller-Vermietungsfirmen geht die Geschichte so: Statt sich für eine Kurzstrecke ins Auto zu setzen, nehmen die Menschen einen Mietroller, auch E-Scooter genannt, der sie mit sehr viel weniger Energieverbrauch an ihr Ziel bringt. Dort können sie ihr Gefährt einfach wieder abstellen, und das natürlich so, dass nichts zugeparkt wird und niemand über die Roller stolpert.

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Der SÜDKURIER wollte von den beiden Verleihfirmen, die in Konstanz bisher am längsten am Markt sind, wissen, wie ihre Roller tatsächlich genutzt werden. Die Firma Bird will „aus Wettbewerbsgründen in einem kompetitiven Marktumfeld zu genauen Zahlen und Fahrtstrecken keine Angaben machen.“ Der Anbieter Zeus ist da offener: 17.746 km seien mit ihren Rollern in den letzten 365 Tagen zurückgelegt worden.

In Konstanz stehen derzeit 220 Leih-Roller bereit

Zeus – das sind die Roller mit den zwei Rädern vorn – ist auch transparent bei der Anzahl der Roller. 100 Fahrzeuge sind demnach in Konstanz am Start. Bird rückt keine Zahl heraus. Die App des Anbieters zeigte am 31. Mai aber rund 75 verfügbare Roller im Stadtgebiet an. Die Stadtverwaltung geht nach eigenen Angaben von einer Gesamtzahl von 220 Rollern aus. Zwischenzeitlich waren es demnach sogar bis zu 300.

Für Khalaf Sulaiman (20), Student aus Worblingen, ist der E-Roller eine sehr praktische Ergänzung zum Öffentlichen Nahverkehr. Er sagt ...
Für Khalaf Sulaiman (20), Student aus Worblingen, ist der E-Roller eine sehr praktische Ergänzung zum Öffentlichen Nahverkehr. Er sagt kurz vor dem Losrollen an der Universität: „Ich habe den Bus verpasst und fahre jetzt mit dem Roller zum Bahnhof Wollmatingen.“ | Bild: Hanser, Oliver

Die Fahrleistung der Konstanzer Zeus-Roller im vergangenen Jahr: Eine knappe halbe Erdumrundung. Das relativiert sich allerdings, wenn man sie mit einem anderen Verkehrsmittel vergleicht. Zwar gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Kilometer im Jahr in Konstanz auf dem Rad zurückgelegt werden, aber es gibt eine gute Näherung.

In den vergangenen 365 Tagen rollten im Schnitt täglich 7932 Radler über die Fahrradbrücke. Wenn jede dieser Fahrten nur 2,5 Kilometer, zum Beispiel vom Zähringerplatz zum Döbele, umfasst, wären das 19.830 Kilometer am Tag. Nur für geradelte Strecken, die über die Fahrradbrücke führen!

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Nimmt man all die anderen Radwege dazu und rechnet auf der anderen Seite die Bird-Roller großzügig mit ein, zeigt sich: Es wird in Konstanz an einem einzigen Tag viel mehr Rad gefahren als in einem ganzen Jahr Miet-E-Roller. Das legt nahe, dass Zeus, Bird und andere Anbieter für die Mobilität in der Stadt keine so große Rolle spielen. Dazu passt auch: Bei Zeus hat jeder Roller pro Tag nur etwa einen halben Kilometer zurückgelegt. Das dauert höchstens zwei Minuten. 23 Stunden und 58 Minuten standen die Roller also herum.

Wenig Probleme beim Parken der Scooter

Beim Parken aber kommt es nach übereinstimmender Einschätzung der Anbieter und der Stadtverwaltung kaum zu Problemen. Bird und Zeus erklären übereinstimmend, dass sie Schwierigkeiten sofort beheben, wenn sie gemeldet werden. Die Zusammenarbeit mit dem Rathaus laufe ganz hervorragend.

Walter Rügert, Sprecher der Stadtverwaltung bestätigt: „Seit 2021 wurden an die Stadt nur wenige Fälle dieser Art gemeldet.“ Auch die Fahr- und Parkverbotszonen am Ufer (sie wurden unter anderem deshalb eingerichtet, damit keine Roller ins Wasser geworfen werden und dort Umweltschäden durch Lithium aus den Akkus und andere Substanzen auslösen) würden gut eingehalten.

(Archivbild) So sollte es nicht aussehen: Ein achtlos hingeworfener oder umgefallener E-Roller macht das Durchkommen für Fußgänger hier ...
(Archivbild) So sollte es nicht aussehen: Ein achtlos hingeworfener oder umgefallener E-Roller macht das Durchkommen für Fußgänger hier schwer. | Bild: SK-Archiv/Maurice Sauter

In vielen anderen Städten war das so genannte Free-Floating-System – man kann sich Roller fast überall leihen und diese fast überall wieder abstellen – zum Problem geworden. Nicht so in Konstanz. Laut Stadtverwaltung ist gerade diese Flexibilität ein „guter Grund, um das Auto insbesondere für kurze Strecken stehen zu lassen“. Immerhin geht die Stadt von einer durchschnittlichen Roller-Fahrstrecke von zwei Kilometern aus.

Die Wirklichkeit: Es gibt keinen Beweis

Aber lässt tatsächlich jemand das Auto stehen und fährt mit dem E-Roller? Nico Reitemeier von Zeus ist mit Blick auf die Fahrleistung der Zeus-Roller überzeugt: „1690 Kilogramm CO2 wurden in den letzten 365 Tagen eingespart im Vergleich zum PKW (Kleinwagen).“

Diesmal ist es der Verleiher Bird, der hier mehr Transparenz schafft. Rainer Kolberg räumt ein: „Genaue Untersuchungen zu tatsächlich eingesparten Pkw-Fahrten vor Ort sind mit vertretbarem Aufwand kaum möglich.“ Studien zeigten aber, „dass Menschen deutlich eher bereit sind, das Auto stehenzulassen oder erst gar keins anzuschaffen, wenn entsprechende alternative Mobilitätsangebote vor Ort verfügbar sind.“

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Für Konstanz liegen dazu keine Zahlen vor, und weder an der Universität noch an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung wird aktuell zu den Miet-E-Rollern geforscht, wie die beiden Pressestellen erklärten. Dafür haben aber Daniel Reck und seine Kollegen an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich genau ausgewertet, was die in der Schweiz „E-Trottis“ genannten Gefährte eigentlich bringen.

Ihr Fazit: E-Roller werden eher für Wege benutzt, die man sonst nachhaltig zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt hätte. Damit wäre E-Roller-Fahren sogar fürs Klima schädlicher. Die Ergebnisse aus Zürich halten die Verantwortlichen auf andere Städte mit gutem Nahverkehr übertragbar.

Übrigens: Betrieben werden die Roller von Zeus nach Unternehmensangaben mit Ökostrom, bei Bird heißt es, man bemühe sich um den Bezug von Ökostrom. Wie die Umweltbilanz bei der Herstellung der Fahrzeuge aussieht, legt keiner der Verleiher offen. Immerhin scheint die Sorge, dass die Gefährte schon nach wenigen Monaten nur noch Elektroschrott sind, eher unbegründet. Bei Zeus sind von den 100 Rollern aus der Start-Flotte noch 94 im Einsatz. Bird gibt immerhin an, Roller wie die in Konstanz eingesetzten, könnten auf über 1000 Kilometer Laufleistung kommen.