Als Konstanz 2019 den Klimanotstand ausgerufen hat, war das eine Pioniertat, wenn auch zunächst nur symbolisch. Von nun an sollte also das eigene Handeln auf die Eindämmung der globalen Erderwärmung ausgerichtet sein. Doch kann das ohne (für jedermann) spürbare Einschnitte und Veränderungen überhaupt funktionieren? Die Frage lässt sich in vielen Bereichen, etwa bei der Umstellung der Wärmeversorgung oder dem Ausbau der Solarflächen, diskutieren. Hier soll es beispielhaft um den Verkehr gehen. Und zwar um den Teil des Verkehrs, der bei dem Streben nach städtischer Klimaneutralität gern vergessen wird.

Attraktive und zugleich klimabewusste Städte wie Konstanz leben von Haus aus mit einem Dilemma. Sie locken viele Menschen an. Dadurch lösen sie trotz des eigenen Anspruchs viel motorisierten Individualverkehr und mit ihm einen höheren Ausstoß schädlicher Klimagase, vor allem von CO2, aus.

Was den Konflikt noch verschärft: Bodensee, Alpenpanorama und niedrigere Preise als in der Schweiz reichen den Konstanzern, die aus diesen geschenkten Standortvorteilen Einnahmen ziehen, nicht aus. Nein, es werden auch ständig Wege gesucht, noch mehr Leute und damit Euros und Franken herzulotsen.

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Bodenseewoche, Campus- und Gute-Zeit-Festival, Sommerkonzerte auf Klein Venedig, ein gemeinsames Kinderfest mit Kreuzlingen sowie ein grenzüberschreitender Flohmarkt, Weinfest, Seenachtfest mit Doppelfeuerwerk, verkaufsoffene Sonntage, Christmas Garden ... das alles (und es ist längst nicht alles) bringt Geld, sichert damit Jobs und erzeugt Massen an Verkehr samt nicht eingerechneter Folgen.

Mit dem gewaltigen Asisi-Panorama an der Schänzlebrücke ist der nächste Magnet für Zehntausende schon geplant. Um sich ein Bild von Konstanz zu Zeiten des Konzils zu machen, werden sie künftig stundenlang durch die Republik gurken und zig Tankfüllungen verbrennen. Und hier dann vermutlich auch noch essen und übernachten.

Einkaufstouris und Urlauber bringen Millionen in die Stadt

Ein Beispiel für den Widerspruch, den Konstanz lebt, ist die jährliche städtische Finanzspritze an die Marketing- und Tourismusgesellschaft (MTK). 2023 belief sie sich auf rund 1,6 Millionen Euro. Und worin besteht die Aufgabe der MTK? Sie animiert zum Konstanz-Besuch, ob nun als Einkaufstourist, Urlauber oder Geschäftsreisender.

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Die unter anderem daraus folgenden Gewerbesteuereinnahmen der Stadt durch den Einzelhandel beliefen sich in den vergangenen fünf Jahren auf durchschnittlich 7,55 Millionen Euro (ohne Autohandel). Hotel und Gaststätten steuerten 2,47 Millionen Euro bei – zusammen etwa ein Fünftel des gesamten Gewerbesteueraufkommens. Dazu kommen die städtischen Anteile an der Einkommens- und Umsatzsteuer und die Grundsteuer.

Seit 1. April 2023 gibt es zudem die Tourismus- und Klimaschutzabgabe. Sie soll dieses Jahr weitere 2,65 Millionen Euro einbringen und fließt wie alle Steuereinnahmen in den allgemeinen Haushalt. Die meisten nennen sie einfach Bettensteuer, obwohl sie unter anderem der Förderung eines nachhaltigen Tourismus dienen soll. Also der Quadratur des Kreises, denn wir reden hier von Massentourismus. Denken Sie nur an die großen Hotelneubauten, die in Konstanz entstehen.

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Das alles passiert vor dem Hintergrund des vierspurigen Ausbaus einer Bundesstraße, der den schon jetzt überbordenden Autoverkehr flüssiger und damit noch mehr davon möglich machen soll. Ihm gegenüber steht eine skandalös schlechte innerdeutsche Bahnanbindung – oder tagelang gar keine, wenn es mal heftiger gewittert oder geschneit hat. Zwar hat die Stadt darauf nur bedingt selbst Einfluss. Man hört sie wegen der fehlenden Fernzüge aber auch selten klagen. Dagegen wird immer wieder bemängelt, dass es mit der Fertigstellung der breiten Straße nicht schneller geht.

Tonnenweise CO2! Und wir alle tragen täglich dazu bei

Ist die Sache mit dem Konstanzer Klimanotstand demnach ein Etikettenschwindel? Jein. Denn die Stadt tut unbestritten einiges in diese Richtung, auch wenn davon im Leben des Einzelnen noch wenig ankommt. Doch am motorisierten Verkehr, einem der Hauptübel, ändert sich wenig. Er verursacht nach Angaben der Stadtverwaltung ein reichliches Fünftel der Konstanzer Treibhausgasemissionen.

2019 waren es 83.951 Tonnen CO2-Äquivalente. Eine Wahnsinnszahl. Sie entspricht dem Gesamtgewicht von 18.656 erwachsenen Elefanten, um mal einen verrückten Vergleich zu wagen. Da müssen sich Bodanrück-, Lorettowald und all ihre dürregeplagten Kameraden ganz schön anstrengen, um das wegzuschnüffeln. Der Individualverkehr – darunter übrigens auch Ihre überflüssige Tour mit dem Diesel zum Bäcker ums Eck – macht davon wiederum rund drei Viertel aus.

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Aber: Selbst diese Zahl bezieht sich nur auf das Stadtgebiet! Ausgeklammert sind die Kilometer, die Abertausende Touristen Jahr für Jahr zurücklegen, um überhaupt erstmal herzukommen. Und auch ihr Rückweg. Es fehlt die An- und Abreisestrecke all der Kunden aus Romanshorn, Weinfelden oder Zürich, die in Konstanz die Läden leerräumen und den Einheimischen zuweilen das Gefühl geben, sie wären nur im Weg stehende, im Grunde überflüssige Statisten. Nicht zu vergessen die zahlreichen Einpendler, die es sich wegen des dortigen Preisniveaus nicht leisten können oder wollen, an ihrem Arbeitsort Konstanz zu wohnen.

Kann das in einer Klimastadt alles so weiterlaufen (beziehungsweise -fahren) wie bisher? Sollte das maximal Mögliche nicht vom Bestmöglichen ersetzt werden? Und gehören dazu, um im Bild zu bleiben, nicht auch Stoppschilder? Wenn Not dringend abzuwenden ist, geht das nicht ohne Folgen für und Eingriffe in das Leben. Davon ist in Konstanz – vor allem im Bereich Besucherverkehr – immer noch wenig zu spüren. Vielleicht wäre es deshalb ehrlicher gewesen, der Gemeinderat hätte sich das Symbol Klimanotstand 2019 geschenkt.