Die Klebeaktion in glühender Mittagshitze auf der Kreuzung Europastraße/Gartenstraße hat deutlich mehr Folgen für die Aktivisten der Letzten Generation als nur einen Sonnenbrand. Unter anderem durch einen Zeugenaufruf der Polizei wurden 29 mutmaßliche Geschädigte bekannt, die sich als Opfer des mehrstündigen Staus am 11. Juli sehen. Die Kriminalpolizei habe sie vernommen, wie Polizeisprecherin Katrin Rosenthal dem SÜDKURIER sagte.
Die geltend gemachten Schäden lassen sich laut Rosenthal in drei Kategorien zusammenfassen. Da wäre erstens das Verpassen von privaten oder geschäftlichen Terminen, etwa beim Arzt oder Therapeuten, bei der Bank, der Fortbildung, dem Reitunterricht oder der Abholung wartender Kinder. Zweitens wurden finanzielle Nachteile durch stehende Lastwagen und Fahrschulfahrzeuge und Verdienstausfall wegen Lohnabzugs beklagt.
Von Hitzschlag bis zu Schmerzen nach dem Gehen
Schließlich gab es gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Hitzschlag, Kopfschmerzen, Erbrechen und Panikattacken wegen einer bevorstehenden Entbindung, die in Einzelfällen auch mit Arbeitsunfähigkeit am Folgetag verbunden waren. „Eine ältere Dame kam nicht nach Hause, da kein Busverkehr mehr möglich war. Sie musste zu Fuß gehen und hatte danach tagelang Schmerzen“, nennt die Sprecherin ein Beispiel.
Es sei bis dato allerdings kein Fall bekannt, bei dem ein irreparabler Schaden entstand. Gegen zwölf beteiligte Klimaaktivisten werde derzeit wegen Nötigung, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und fahrlässiger Körperverletzung ermittelt, so Rosenthal weiter.
Widerstand, obwohl sich die Aktivisten ohne Gegenwehr von der Straße tragen ließen? Staatsanwalt Andreas Mathy sagt ja. Allein das reicht aus seiner Sicht aus. Aber die Mitglieder der Letzten Generation seien ja darüber hinaus festgeklebt gewesen – sie mussten also zuerst einmal abgelöst werden. „Das erfüllt eindeutig den Tatbestand.“ Dass sich die Aktivisten auch wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten sollen, begründet Mathy mit den Auswirkungen auf Menschen, die im Stau standen. „Wir haben hier unter anderem Hitzeschäden und Unwohlsein.“
Für das Landratsamt war das Chaos am 11. Juli Grund genug, eine „Außergewöhnliche Einsatzlage“ entsprechend Katastrophenschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg festzustellen. Trotzdem sind laut Katja Ebel vom Büro des Landrats beim Referat Brand- und Katastrophenschutz bisher keine Forderungen der beteiligten Hilfsorganisationen eingegangen, die sich bei einer solchen Lage entgangenen Lohn ihrer Helfer erstatten lassen dürften.
Helfer stellen nicht die Schuldfrage
Auch die acht ehrenamtlichen Kräfte von den Konstanzer Maltesern, die bei der Erstversorgung und Betreuung im Einsatz waren, verzichten darauf. Als die Freiwilligen vor Ort eintrafen, lief die Klebeaktion in praller Sonne schon etwa eine Stunde. „Wir helfen, wenn wir so wie an diesem Tag gerufen werden. Dabei fragen wir nicht nach Religion, Herkunft oder Weltanschauung – und wir stellen nicht die Schuldfrage“, betont Malteser-Sprecherin Silvia Baumann. Dies sei bei fahrlässig oder mutwillig verursachten Unfällen auch nicht anders.
Die Ehrenamtlichen der Einsatztruppe, die ständig mit dem Alarmmelder herumlaufen, seien bei ihrem Engagement im Dienste der Allgemeinheit natürlich auf das Wohlwollen ihrer Arbeitgeber angewiesen, so die Sprecherin weiter. Die wüssten in der Regel darüber Bescheid.
Zudem können die im Bevölkerungsschutz eingesetzten ehrenamtlichen Mitarbeiter der Malteser – insgesamt sind es 88 – die Einsatzanfrage ablehnen, wenn es aus privaten oder beruflichen Gründen mal gar nicht geht. Und nicht immer werden dann tatsächlich alle gebraucht, die bei einer Alarmierung auf „Bestätigen“ drücken.
Ohne finanzielle Konsequenzen werden die jungen Leute von der Letzten Generation trotzdem nicht davonkommen. So will ihnen die Polizei Gebührenbescheide schicken. Die Feuerwehr stellt laut Sprecher Fabian Daltoe ebenfalls eine Rechnung – „an wen genau, ist aktuell in der Abklärung“, sagt er.
Zwei Stunden habe der Einsatz der elf hauptamtlichen Kollegen vor Ort gedauert. Sie hatten die Aktivisten zum Teil mit Elektrowerkzeugen vom Straßenbelag gelöst. Dazu kamen 14 freiwillige Feuerwehrleute, die die Wache im Feuerwehrhaus in der Altstadt übernahmen.

Eine weitere Rechnung dürfte die Letzte Generation aus dem Landratsamt erreichen. „Die Kosten für die Verkehrssicherung und die Reparatur der Schäden an der Straße belaufen sich auf ungefähr 2600 Euro“, sagt Sprecherin Katja Ebel. Sobald die polizeilichen Ermittlungen beendet sind, wolle das Straßenbauamt die Kosten gegenüber den Verursachern geltend machen. Da sei ein Standardverfahren, das man etwa auch bei Unfällen oder Sachbeschädigungen anwende.
Dass noch niemand die viereckige Vertiefung an der Einmündung der Bundesstraße in die Gartenstraße verfüllt hat, die beim Ausfräsen einer Hand aus dem Asphalt entstanden war, hängt laut Ebel mit den Sommerferien und dem höheren Verkehrsaufkommen in dieser Zeit zusammen. „Da für die Reparaturarbeiten großflächigere Sperrungen erforderlich sein werden, führt die Straßenmeisterei die Arbeiten nach den Ferien durch. So sollen die Auswirkungen auf den Verkehr möglichst gering gehalten werden.“

Aktivisten nehmen Konsequenzen in Kauf
Die Teilnehmer an der Aktion, die zum Teil aus Berlin nach Konstanz anreisten (“Eine sehr lange Zugfahrt!“), waren sich der Konsequenzen ihres Handelns für sich selbst bewusst. „Aber wer wären wir, wenn wir in diesen Zeiten stumm dabei zusehen, wie wir die Welt zerstören, und so tun, als wäre nichts?“ fragt die am 11. Juli beteiligte Aktivistin Eileen Blum.
Dafür würden auch Strafzahlungen, Einträge ins Führungszeugnis und im Extremfall Ersatzfreiheitsstrafen in Kauf genommen, so die Allensbacherin. „Aber vielleicht haben wir ja Glück, und es kommen genug Spenden zusammen, um die Strafen bezahlen zu können.“

Bei den Blockaden stelle man immer sicher, dass im Zweifel innerhalb von Sekunden eine Rettungsgasse aufgemacht werden könne. „Die Autofahrer hatten somit jederzeit die Möglichkeit, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ebenso wie in jedem anderen Stau, zum Beispiel zu Beginn der Sommerferien und nach einem Unfall.“
Zudem bleiben die Aktivisten nach Angaben Blums allen Beteiligten gegenüber stets friedlich und respektvoll. Das gelte auch für das Verhalten gegenüber der Polizei, kommentiert sie den Vorwurf des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Und sie verweist auf das aus ihrer Sicht viel schlimmere Problem: „Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir es hier mit einem Notfall zu tun haben, an dem Menschen sterben. Die Klimakatastrophe tötet. Wir töten weiter, mit jeder Tonne CO2, die wir in die Luft blasen.“
Beschimpfungen wegen der geleisteten Hilfe
Sorgen um die Mitarbeiter in der hauptamtlichen Geschäftsstelle musste sich Jan Welsch, Vorsitzender des DRK-Ortsvereins Konstanz, nach dem Einsatz bei der Blockade am 11. Juli machen. Sieben ehrenamtliche Helfer des DRK waren an jenem Dienstag rund drei Stunden vor Ort, unter anderem um Einsatzkräfte, Betroffene und die Klimakleber selbst vor der starken Sonneneinstrahlung zu schützen, etwa durch das Aufstellen von Pavillons.
„Außerdem haben wir Wasser für Leute zur Verfügung gestellt, die zu kollabieren drohten“, erklärt Welsch. Schließlich könne ja niemand wollen, dass Polizisten zusammenbrechen oder Aktivisten kollabieren, die noch dazu an der Straße festkleben. Sonnencreme sei jedoch nicht verteilt worden, betont Welsch, der von keiner einzigen Hilfsanforderung eines im Stau stehenden Autofahrers an die Rettungskräfte während der Blockade weiß.
Das DRK-Büro sei nach dem Einsatz eine Woche lang faktisch lahm gelegt gewesen, und zwar durch Beschimpfungen aus der ganzen Bundesrepublik, so Welsch, dem es spürbar unangenehm ist, darüber zu sprechen. Anrufe, Mails, Kommentare in den sozialen Netzwerken – die Kritik hatte kein vernünftiges Maß mehr, sagt der DRK-Ortsvorsitzende, der im Hauptberuf Rechtsanwalt ist und auch im Gemeinderat sitzt.

Er bezweifle sehr, dass diese Kritiker einen wirklichen Einblick in einen solchen Einsatz haben, sagt Welsch. Oder aber eine Ahnung von der Belastung der DRK-Helfer, die schon in der darauffolgenden Nacht nach dem Gewittersturm in Allensbach erneut gefragt waren. „Und dann müssen sich die Menschen, die sich ehrenamtlich hinstellen, hinterher auch noch unflätig beschimpfen lassen.“