Weite Teile der Stadt blockieren, bei über 30 Grad Celsius auf der Straße sitzen und dabei sich und womöglich andere Verkehrsteilnehmer gefährden: Andreas Jung kann nicht nachvollziehen, warum junge Menschen sich für das Klima auf die Straße kleben. Der Konstanzer CDU-Bundestagsabgeordnete sagt deutlich: „Sich für die Umwelt einzusetzen, ist ein wichtiges Ziel. Aber dafür darf man doch keinen Rechtsbruch begehen!“

Und weiter: „Wir haben das Glück, in einem Land zu leben, in dem wir politisch alle Möglichkeiten haben. Auch die Forderung eines Kommentators im Internet, sich lieber am Bundestag oder am Bundeskanzler festzukleben als an einer Konstanzer Straße, ist deshalb Unsinn“, sagt Andreas Jung.
Von der Schweiz lernen
Die Ansicht der Letzten Generation, beim Ausbau des Schienennetzes und dem Anschluss an Nachbarländer müsse es vorangehen, teilt der Bundestagsabgeordnete. Dem SÜDKURIER sagt er: „Die Politik muss mehr machen, ganz klar. Beim Thema Schiene können wir von der Schweiz lernen.“
Auch bei der Gäu- und der Schwarzwaldbahn müsse die Anbindung besser werden, so Jung. „Aber um Ziele zu erreichen, muss man um gesellschaftliche Mehrheiten ringen. Wer mit rechtswidrigen Methoden arbeitet, bringt die Menschen nur gegen sich auf und den Umweltschutz nicht voran.“

Oberbürgermeister Uli Burchardt äußert sich ähnlich: „Klimaschutz geht alle an. Die Bewusstseinsbildung ist deshalb ein wichtiger Bestandteil unserer Klimaschutzstrategie. Sich auf der Straße festzukleben, halte ich allerdings nicht für den richtigen Weg.“
Trotzdem könne er die Verzweiflung der Aktivisten über das langsame Tempo der Politik verstehen. Eine weitere Frage des SÜDKURIER, ob der Konstanzer Oberbürgermeister wie sein Amtskollege in Hannover eine Art Friedensabkommen mit der Letzten Generation schließe, verneinte der OB. „Nein, OB Uli Burchardt wird nicht mit der Letzten Generation verhandeln“, teilte seine Pressestelle auf SÜDKURIER-Nachfrage mit. „Er ist überzeugt, dass unsere demokratischen Strukturen die Herausforderungen lösen werden und er erwartet, dass sich Protest im Rahmen von geltendem Recht bewegt“, hieß es weiter.
Doch tut die Stadt Konstanz denn genug für den Klimaschutz? Dazu heißt es in dem Statement: „Wir haben schon Vieles auf den Weg gebracht, aber es gibt auch noch viel zu tun.“ Beispielsweise sollten Photovoltaikanlagen auf Freiflächen schnell ausgebaut werden.
Polizei sprach Aktivisten dreimal an
Vor Ort stießen die Aktivisten bei den Autofahrern, die stundenlang in der Hitze im Stau standen, auf kein Verständnis. Viele fragten sich, warum die Polizei nicht sofort alle Personen wegtrug, die nicht festgeklebt waren. Dazu sagt Polizeisprecherin Katrin Rosenthal: „Zunächst wurden die Aktivisten dreimal auf die nicht angemeldete Versammlung hingewiesen und darauf, dass sie eine Straftat (Nötigung) begehen.“

Anschließend seien sie aufgefordert worden, die Straße sofort freizumachen. „Nachdem trotz dreifacher Aufforderung keinerlei Reaktionen erfolgten, wurde das Lösen der Aktivisten in Auftrag gegeben und fast alle von der Straße getragen, weil sie sich weigerten, selbständig die Straße zu verlassen“, so Rosenthal.
Rettungskräfte erhalten Drohungen
Polizei, Feuerwehr und Rotes Kreuz (DRK) hatten alle Hände voll zu tun. Unter anderem stellte das DRK Pavillons auf, um die Klimakleber und die Einsatzkräfte vor der Sonne zu schützen. Dafür mussten sie sich von Autofahrern und Kommentatoren im Internet fragen lassen, warum sie Menschen helfen, die sich freiwillig auf die Straße kleben und andere behindern.

Jan Welsch, Vorsitzender des Konstanzer DRK-Ortsvereins, stellt dazu klar: „Seit 160 Jahren gewährleistet das Rote Kreuz Hilfsleistungen für jeden – unabhängig von Religion, Hauptfarbe, Nationalität oder Geschlecht und unabhängig davon, ob die Notlage selbst verschuldet wurde oder nicht.“

Die Außentemperatur lag während des Einsatzes im Schatten bei 36 Grad Celsius. „Durch den aufgeheizten Asphalt war die gefühlte Temperatur noch um einiges höher“, so Welsch. „Ohne Sonnenschutz hätte sowohl für die Einsatzkräfte als auch die Aktivistinnen und Aktivisten die hohe Gefahr einer akuten Überhitzung der Körpertemperatur bestanden.“

Dass das DRK einige Hass- und Drohnachrichten erreichten, kann Jan Welsch nicht nachvollziehen. „Unsere ehrenamtlichen Kräfte haben für rund drei Stunden ihre Arbeit niedergelegt, um zu helfen. Gegen 22.20 Uhr wurden einige von ihnen aufgrund des Unwetters erneut alarmiert. Unsere Einsatzkräfte haben daher jeden Respekt verdient.“

Der Vereinsvorsitzende sagt an die Klimakleber gerichtet: „Jeder mag sich überlegen, ob er mit solchen Aktionen nicht die Einsatzfähigkeit der Rettungskräfte auch an anderen Orten gefährdet.“
Es gibt aber auch Zustimmung
Die Gruppe Fridays for Future Konstanz dagegen hat Verständnis für die Klimakleber: „Wir zeigen uns solidarisch mit der Aktion in unserer Stadt Konstanz und verstehen zivilen Ungehorsam als probates Mittel im Umgang mit der Klimakrise, wenn die Politik versagt.“
Auch Samuel Hofer, Mitglied im Kreisvorstand von Bündnis 90/Die Grünen Konstanz, kann „die Verzweiflung der Letzten Generation gut nachvollziehen“. Er sagt: „Aus unserer Sicht ist es nicht die Aufgabe der Politik, Protestformen gegen die Politik zu bewerten, sondern sich mit den Aussagen dieses Protests auseinanderzusetzen.“
Hofer meint: „Wir werden es als Gesellschaft in wenigen Jahren bitter bereuen, wenn wir weiterhin die dramatischen Folgen der Erderhitzung klein reden und die notwendigen klimapolitischen Maßnahmen und sozialpolitischen Abfederungen hinauszögern.“

Und die Konstanzer Handwerkskammer findet ihren ganz eigenen Zugang zum Thema. Hauptgeschäftsführer Georg Hiltner schreibt: „Für die Klimawende kann man auf die Straße gehen – und ins Handwerk. Wenn ihr was fürs Klima tun wollt, seid ihr bei uns herzlich willkommen.“ Denn Handwerker brächten Solaranlagen aufs Dach, Wärmepumpen in den Keller und dämmten Gebäude. So bringe man mit den eigenen Händen die Energiewende voran, sagt Hiltner.