Die Aufgabe ist gewaltig: Jahrzehnte lang lebten die Stadtwerke Konstanz vom Gas, jetzt wollen sie weg von fossilen Energieträgern und die Thüga-Aktiengesellschaft dafür als Partner ins Boot holen. Dieser gehören schon rund 100 Stadtwerke an. Der Vorwurf der Gegner: Die Stadtwerke Konstanz wollten gemeinsame Sache mit einem Gas-Lobbyisten machen.

Jörg-Peter Rau, Chef der Lokalredaktion Konstanz und Mitglied der Chefredaktion beim SÜDKURIER, hakt dazu genau nach. Er hat zur Debatte in die Spiegelhalle geladen. Trotz des schwül-heißen Wetters ist die Halle mit über 150 Gästen voll. Das Thema bewegt die Bürger. Die Stadtwerke sind der wichtigste Energieversorger in der Region.

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Jörg-Peter Rau stellt fest: „Wie im Brennglas bündeln sich hier viele und große Fragen. Wie schaffen wir es, klimaneutral zu werden? Was braucht es für die Klima- und Wärmewende?“ Norbert Reuter, Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz, hält die Dimension der Herausforderung vor Augen: Allein für neue Wärmenetze gelte es 500 Millionen Euro in den nächsten 15 Jahren zu investieren.

Zum Vergleich: In den letzten 20 Jahren hatten die Stadtwerke nach Reuters Angaben 70 Millionen Euro in den Erhalt der Strom- und Gasnetze gesteckt. Um diese große Aufgabe zu bewältigen, sei die Thüga als Partner genau richtig. Diese solle sich mit 25,1 Prozent ausschließlich an der Energiewirtschaft der Stadtwerke beteiligen. Etwa die Hälfte der Stadtwerke in Deutschland seien mit anderen Gesellschaften verflochten: „Das ist kein neues Modell, das wir hier diskutieren.“

OB: „Diese Entscheidung hat mit Geld nichts zu tun!“

Diese halbe Milliarde an Investitionsmitteln ist nach Einschätzung von Bene Müller, Vorstand des Bürgerunternehmens Solarcomplex, realistisch. Sein Betrieb habe selbst auch schon 150 Kilometer Wärmenetze aufgebaut. Er sagt aber auch, wenn schon sein kleines Unternehmen in der Lage sei, genügend Gelder für alternative Energien einzusammeln, dann müsste dies um so mehr in einer reichen Stadt wie Konstanz gelingen. „Das ist machbar, auch in Konstanz.“ Oberbürgermeister Uli Burchardt betont ebenfalls mit Blick auf die geplante Fusion: „Diese Entscheidung hat mit Geld nichts zu tun!“

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Aber um was geht es dann? Um Expertise und die Minimierung des Risikos, heißt es während der Debatte. „Ein Partner federt das Risiko etwas ab“, stellt Guido Baltes fest, Strategie- und Transformationsexperte von der Konstanzer Hochschule HTWG. Es sei nichts gewonnen, wenn man bei diesen gigantischen Investitionssummen die Hälfte des Weges geht, um dann festzustellen, dass er falsch war.

Uli Burchardt, OB von Konstanz und Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Konstanz, sagt: Die Stadtwerke benötigten Fachleute, die die Richtung weisen, etwa welcher Stadtteil von Konstanz am kostengünstigsten mit welcher alternativer Energie (etwa Seewärme) versorgt werden kann. „Die Thüga kann eine starke Ergänzung sein.“ In Konstanz mit der Wohnungsnot sei es unrealistisch anzunehmen, dass die Stadtwerke alle nötigen Experten für sich gewinnen. „Wir kriegen die Leute nicht.“

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Radolfzell hat bereits Erfahrungen mit der Thüga

„Allein sind die komplexen Aufgaben nicht mehr leistbar“, stellt Tobias Hagenmeyer fest, Geschäftsführer der Stadtwerke Radolfzell. An diesen ist die Thüga mit 49 Prozent beteiligt. Er sagt: Seine Stadtwerke profitierten vom wirtschaftlich stärkeren Partner, etwa bei den Themen Innovation und neue Geschäftsfelder.

Auch beim Einkauf von Energie habe man über das Großunternehmen einen viel besseren Preis bekommen. Es handelte sich um eine seit 20 Jahren währende Erfolgsgeschichte. Die Stadtwerke Radolfzell müssten so nicht das Rad neu erfinden. Von den etwa zwei Millionen Euro Gewinn müssten die Stadtwerke etwa eine Million an die Thüga abgeben.

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Er vermute aber, dass ohne den Partner der Erlös gar nicht so hoch wäre. Er betont: Die Stadtwerke Radolfzell seien immer noch eigenständig in der Entscheidung. „Wir können, müssen aber keine Leistungen von der Thüga in Anspruch nehmen.“ Als Erfolgsfaktor sieht auch Mathias Nikolay, früheres Vorstandsmitglied beim Regionalversorger badenova, den Zusammenschluss von kommunalen Unternehmen sowie die Einbettung in die Thüga. „Man braucht jemanden, der Projekterfahrungen hat.“

FFF wollen auch der Thüga „auf die Finger klopfen“

Tom Kleeh, Vertreter der Klimabewegung Fridays for Future (FFF), kritisiert, dass die Thüga mit 25,1 Prozent beteiligt werden solle und sich so durch eine Sperrminorität auch strategische Einflüsse sichern könnte. „Bekommen wir das Know-How nur mit 25,1 Prozent?“ Man könnte doch auch unter diesem Prozentsatz festlegen, wer, wann mitreden dürfe. Er sorgt sich auch um die Mitsprache: Den Stadtwerken könnten die Klimaaktivisten auf die Finger klopfen, aber wie solle das bei der Thüga gehen?

Niklas Becker von FFF fragt, warum die Stadtwerke nicht auf Biogas setzen. „Weil nicht die Menge zur Verfügung steht, die wir brauchen“, stellt Reuter fest. Weiter sagt er: „Wir sind Gasversorger. Und wir werden es noch viele Jahre sein müssen.“ Die Diskussion über den Erhalt und die Pflege der alten Netze und den Aufbau neuer „hätten wir eigentlich vor 20 Jahren führen müssen.“

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Schon damals gab es nicht gehörte Stimmen aus dem Gemeinderat, die forderten, die Energiewende anzupacken. Reuter selbst leitet seit rund zehn Jahren die Geschicke der Stadtwerke. Er stellt fest: Die Sperrminorität gewinne nur in ganz wenigen Fällen an Bedeutung, etwa wenn der Zweck der Gesellschaft geändert werden solle.

Lassen sich die Stadtwerke mit einem Gaslobbyisten ein?

Peter Magulski wirft den Stadtwerken vor, mit einem Gaslobbyisten zu kooperieren, der die Energiewende hintertreibe. Tobias Hagenmeyer widerspricht: „Mir fällt nichts ein, wo wir aktiv behindert worden wären.“ Auch Bene Müller hat andere Erfahrungen gemacht: „Ich habe die Thüga immer als kooperativ erlebt“. Sie sei dabei gewesen, als es um den Aufbau eines Windparks im Hegau ging.

Er macht deutlich: „Jede Partnerschaft, die dem Ziel der Energiewende dient, ist eine Gute Partnerschaft.“ Er wünscht sich mehr Gemeinsinn, um diese Aufgabe zu bewältigen. „Wir müssen verbal abrüsten.“