Es sind spannende Wochen für die Zukunft der Energieversorgung in der größten Stadt am Bodensee. Nehmen die Konstanzer Stadtwerke, die bereits heftig mit der Thüga flirten, wirklich den Branchenriesen mit ins Boot? Zunächst hinter verschlossenen Türen wird darüber weiter beraten. Doch in der zweiten Maiwoche sollen erste Entscheidungen fallen. Für die Stadtwerke geht es dabei auch ums Überleben. Warum, das erklärt Geschäftsführer Norbert Reuter.
Herr Dr. Reuter, die Stadtwerke haben am Gasverkauf über die vergangenen Jahrzehnte prächtig verdient, bis heute steht er für ein Drittel Ihres gesamten Umsatzes. Ist es überhaupt möglich, ein Unternehmen jetzt umzudrehen und aus der Fossilwirtschaft, die Sie getragen hat, in eine Zeit nach dem Kohlenstoff zu gehen?
(überlegt kurz) Es ist komplex, denn es geht ja nicht nur darum, Gas schrittweise zurückzufahren, sondern auch darum, das Stromnetz so umzubauen, dass es die Energiemengen transportieren kann, die bisher Gas und Öl erbracht haben. Im Moment haben wir in Konstanz nur rund 20 Prozent des Gesamt-Energiebedarfs im Stromnetz. Die anderen 80 Prozent muss das Stromnetz künftig also zusätzlich übertragen können – und zwar im Verbrauch wie auch in der Erzeugung. Wir wollen ja unabhängiger und dezentraler in der Stromerzeugung werden. Aber all diese Solaranlagen müssen Sie ja auch erst einmal anschließen können.

Die Stadtwerke haben sehr viel Geld investiert, um auch in der Schweiz zusätzliche Gaskunden zu gewinnen. Nun werden dort Wärmepumpen mit Stromantrieb massiv gefördert. Haben Sie auf das falsche Pferd gesetzt?
Man kann sich darüber unterhalten, ob wir bis 2035, also in nur zwölf Jahren, den Erdgasverbrauch auf Null reduzieren können oder ob wir noch einige Jahre länger brauchen oder es sogar noch schneller geht. Fakt ist: Wir werden aus dem Erdgas komplett aussteigen müssen. Damit sind Investitionen in neue Netze tabu, denn dass wir Erdgas in der Breite durch Wasserstoff ersetzen können, glauben wir nicht. Im Wesentlichen wird Strom das Erdgas ersetzen, um unsere Gebäude zu heizen. Solange die bestehenden Gasnetze noch benötigt werden, sind diese aber auch gemäß den gesetzlichen Vorgaben zu betreiben.
Neben Strom steht auch Nahwärme im Fokus.
Ja, wir werden in dicht besiedelten Gebieten auf Nahwärme setzen, auch das ist nicht so trivial wie im Einfamilienhaus. Das muss technisch funktionieren und für die Nutzer wirtschaftlich sein. Als Weiteres kommt hinzu, dass wir diese verschiedenen Aspekte miteinander verzahnen. Also dass zum Beispiel dann der Strom verbraucht wird, wenn er auch günstig zur Verfügung steht. Da laden Sie ihr Fahrzeug oder waschen Sie ihre Wäsche dann, wenn der Strom regenerativ und günstig ist. Wir werden dafür kurzfristig Stromtarife anbieten, die solche Anreize setzen. Da ist um 13 Uhr der Strom viel, viel billiger als abends um 19 Uhr, wenn alle ihre Wärmepumpe zum Heizen einschalten. 2016 haben wir mit dem Mieterstromtarif bereits ein Produkt für Mehrfamilienhäuser entwickelt, bei dem der Strom dann wesentlich günstiger ist, wenn er aus der Sonne gewonnen wird.

Sie haben das Jahr 2035 angesprochen. Der Gemeinderat hat ja nicht nur den Klimanotstand beschlossen, sondern auch das Ziel der Klimaneutralität. Hat der Gemeinderat Sie als Stadtwerke dann auch nennenswert darin unterstützt, einen Beitrag zur Lösung zu entwickeln?
(überlegt etwas länger) Ich sehe, dass seit dieser Beschlussfassung die Lernkurven enorm sind, weil sich alle viel intensiver mit dem Thema befassen als davor. Unser Oberbürgermeister sagte bei der Beschlussfassung: Wir haben noch nicht alle Lösungen, aber wir müssen uns auf den Weg machen. Heute wissen wir: Die nächsten zehn Jahre werden für die Stadtwerke entscheidend sein. Weil wir genau diese Lösungen jetzt gerade finden.
Andere Stadtwerke haben in den letzten zehn Jahren schon massiv in eigene Anlagen zur Erzeugung von Ökostrom oder in entsprechende Beteiligungen investiert und können über die hohen Strompreise jetzt jubeln. War Konstanz nicht viel zu langsam?
Aus heutiger Sicht: uneingeschränkt ja. Aber: Wir haben ja vor 20 Jahren einen Geschäftsbereich gegründet, um auch die Wärmewende anzugehen. Diese Mannschaft plant nicht mehr nur dezentrale Blockheizkraftwerke, sondern auch größere Nahwärmelösungen wie im Pfeiferhölzle, oder am Laubenhof, wo die Wärme des Abwassers genutzt werden kann. Wir haben also Kompetenz und eine leistungsfähige Mannschaft. Die Kollegen haben aber auch erlebt, dass sie in der Nachbarschaft des Laubenhofs das Interesse abgefragt haben, sich an dem Nahwärmenetz zu beteiligen. Es war gering, weil das Gas so billig und unserer Wärmepreis damals nicht konkurrenzfähig war. Genau das hat sich jetzt gedreht, inzwischen rennen wir offene Türen ein. Und wir haben uns in Bayern an Wasserkraft, in Bodman-Ludwigshafen an einer Freiflächen-Photovoltaikanlage und in Mecklenburg-Vorpommern an einem Windpark beteiligt.

Würde es den Stadtwerken nicht dennoch gut zu Gesicht stehen, wenn ihnen und nicht anderen Akteuren die Windräder oberhalb von Engen oder die Freiflächen-Photovoltaikanlage bei Böhringen gehören würden?
Wir hatten stets die Strategie, dort zu investieren, wo die Wirtschaftlichkeit am größten ist und wir mit jedem investierten Euro möglichst viel Ökostrom erzeugen. Das war oft nicht hier in der Region. Auch das ändert sich, weil die Windkraftanlagen heute sehr viel leistungsfähiger sind, und wir zugleich mit dem Netzausbau vom Norden der Republik zu uns in den Süden leider lange nicht so schnell vorankommen, wie es erforderlich wäre. Heute wissen wir, dass wir so viel wie möglich vor Ort erzeugen müssen.
Stadtwerke stehen allgemein in der Kritik, dass sie bisher in der Energiewende eher ein Teil des Problems und nicht ein Teil der Lösung waren. Wo sehen Sie da die Stadtwerke Konstanz?
Alles, was Stadtwerke tun, muss eine Kundin oder ein Kunde akzeptieren und auch bezahlen. Viele Jahre lang war Gas billig und stark nachgefragt. Daran haben wir uns aus gutem Grund orientiert. Im Gegenzug können wir keine Projekte umsetzen, die keinen Ertrag bringen – dazu gehörten auch regenerative Projekte, die wir eigentlich gebraucht hätten.
Wo liegt die größte Chance und wo liegt das größte Risiko für die Stadtwerke in der laufenden Energiewende?
Die größte Chance liegt darin, dass in allen Heizkellern und Technikräumen, in denen Öl- und Gasheizungen ausgebaut werden müssen, etwas Neues entsteht. Wir können hier ein Partner sein für diese neue, regenerative Wärmeversorgung. Dafür brauchen wir auch neue Geschäftsmodelle, die Erzeugung und Verbrauch besser in Einklang bringen.

Von diesem Smart Grid, dem schlauen Stromnetz mit intelligent zugeschalteten Verbrauchern, haben Sie mir schon vor zehn Jahren erzählt. Warum gibt es das nicht längst?
Technisch ist das schon lange möglich, und ich privat nutze das auch. Funktioniert hervorragend! Allerdings legen wir auch hohen Wert auf Datenschutz. Wenn in jedem Haushalt die Stromverbrauchsmuster genau sichtbar sind, kann man aus diesen Zahlen viele Rückschlüsse ziehen. Diese Datensicherheit ist nicht trivial.
In Ihrem Aufsichtsrat sitzen viele gewählte Kommunalpolitiker, die sicher engagiert sind. Aber sind sie auch kompetent, ein Unternehmen durch eine so dramatische Transformation zu begleiten, wie sie vor den Stadtwerken liegt?
Die Komplexität und die Geschwindigkeit, mit der jetzt die Lösungen geschaffen werden müssen, die hohe Investitionen erfordern, ergeben ein unglaublich hohes Risiko. Ein ehrenamtlicher Aufsichtsrat, der im Gemeinderat ganz viele Themen verstehen muss, von der Kita über die Philharmonie bis zu Bauvorhaben, darf und muss von der Geschäftsführung erwarten, dass wir unsere Vorhaben sauber vorbereiten und dabei alle Themen beleuchten. Aber ich sehe auch bei Stadtwerken, die bei welchen eine Beteiligung in Form eines Stadtwerke-Netzwerkes vorhanden ist, dass dieser Gesellschafter neue Kompetenz einbringt. Auch in Form von Menschen, die sich ausschließlich mit dem Thema Energie- und Wärmewende befassen. Das kann für die Gremien eine Bereicherung sein.
Sie waren immer ein Mann klarer Worte. Die Energie- und Wärmewende ist keine Sache der Stadtwerke allein, sondern eine Aufgabe für uns alle. Auf welche Zumutungen und Einschnitte müssen sich die Konstanzer einstellen, damit dieses Generationenprojekt gelingt?
Es muss sich jeder mit dem Thema befassen und kann sich nicht darauf verlassen, dass irgendwo irgendeine Lösung entsteht. Da muss sich jeder, der ein Gebäude besitzt, mit der Thematik auseinandersetzen und in den nächsten zehn Jahren dafür eine Lösung schaffen. Ein möglicher Weg kann der Anschluss an einen Wärmeverbund sein. Und was allen klar sein sollte: Energie wird nie mehr so billig wie in den vergangenen Jahren. Auch neue technische Lösungen brauchen erst mal eine Investition, die sich erst nach Jahren rechnen wird.
Strom war in Deutschland schon vor der Krise so teuer wie fast nirgends auf der Welt. Wenn das noch teurer wird, wie soll da der Ausgleich zwischen Arm und Reich funktionieren?
Ja, wir müssen eine solche Spaltung verhindern. Da haben wir noch viele Hausaufgaben. Wenn Atomkraftwerke abgeschaltet und durch Gaskraftwerke ersetzt werden, könnte das den Strom eher verteuern. Da ist die Bundespolitik gefordert, Ausgleichsmechanismen zu schaffen, die zielgerichtet wirken.
Sie haben letzten Herbst gesagt, dass Sie Zahlungsausfälle in Millionenhöhe befürchten, weil sich Menschen hier in Konstanz Strom und Gas nicht mehr leisten können. Ist es so schlimm gekommen?
Konstanz hat die erforderlichen 20 Prozent Energie eingespart, auch durch den vergleichsweise milden Winter. Wir hatten also erst mal keine Versorgungsengpässe, das ist uns gelungen. Bei den Preisen ist das passiert, was wir vorhergesagt haben: Wir haben eine Verdoppelung bis Verdreifachung, die nur durch die Energiepreisbremse abgefedert wird. Ob diese Entspannung anhält, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Die Unsicherheiten insbesondere durch den Ukrainekonflikt sind unverändert groß, und die Energiepreisbremsen sind nur bis Ende des Jahres beschlossen. Es wäre sehr wichtig, wenn wir bald auf ein Niveau kommen, das zwischen den Preisen von vor der Krise und denen heute liegt.
Aber zu den massiven Zahlungsausfällen zu Lasten der Stadtwerke ist es nicht gekommen?
Nein, auch dank der Unterstützung der Bundesregierung.
Fragen: Jörg-Peter Rau