Aktivisten der Letzten Generation haben am Dienstagnachmittag, 11. Juli, mit einer Straßenblockade auf der Kreuzung Europastraße (B33)/Gartenstraße im Paradies den Verkehr in weiten Teilen der Altstadt sowie von und zur Schweizer Grenze lahmgelegt. Kurz nach zwölf Uhr setzt sich ein Dutzend junge Leute in orangefarbenen Warnwesten an die Auf- und Abfahrt zur Schänzlebrücke sowie an die Zufahrt Richtung Innenstadt.
Autofahrer kommen nicht mehr von der Europastraße ins Paradies, Richtung Schweiz und Richtung Singen. Bis weit nach 15 Uhr dauert es, bis die Straßen wieder frei sind und sich auch das entstandene Verkehrschaos im Paradies und in der Altstadt langsam aufzulösen beginnt.
Manche Auto- und Lastwagenfahrer stehen zweieinhalb und mehr Stunden im Stau, obwohl die mit einem Großaufgebot angerückte Polizei versucht, zumindest an zwei Stellen Fahrzeuge an den auf der Fahrbahn sitzenden, zum Teil extra für die Aktion in Konstanz angereisten Klimaklebern vorbeizulotsen.

Aktivistin: „So können wir eine Rettungsgasse bilden“
Allerdings haben sich nicht alle Aktivisten in brütender Hitze tatsächlich mit einer Mischung aus Sand und Sekundenkleber am Asphalt festgeklebt. Einige wie Eileen Blum aus Allensbach, die am Konstanzer Klinikum arbeitet, halten auch nur die Hand einer Mitstreiterin.
Blum sitzt auf der Straßenseite Richtung Grenzübergang. Zwei der ursprünglich fünf Blockierer auf dieser Fahrbahn hätten im Notfall jederzeit aufstehen oder wegrücken können. „So können wir eine Rettungsgasse bilden“, erklärt die 22-Jährige.
Ihre Mitstreiterin Regina Stephan (21) hat ihre fixierte rechte Hand mit einem nassen Handtuch bedeckt, um sich gegen die hochstehende Mittagssonne zu schützen. Eine Autofahrerin, die sich an den Beiden vorbeiquetschen darf, ruft ihren Frust aus dem offenen Beifahrerfenster heraus: „Ganz blöd, ganz blöd!“
Stephan ist für die Blockade aus Berlin nach Konstanz gekommen – ebenso wie der 19-jährige Julian Huber, der nach eigenen Angaben schon bei etwa 40 derartigen Aktionen dabei war. Wenn er nicht gerade an Straßen klebt, studiert er Mathematik.
Ob er sich für die Zukunft der Menschheit noch etwas ausrechnet? „Die Erfolgschancen sind extrem gering“, sagt er. Das Zeitfenster für die Rettung schließe sich gerade, die Regierungen müssten sofort einschneidende Maßnahmen für den Klimaschutz ergreifen. Und auch wenn Huber wenig Hoffnung hat, hängt er sich rein und klebt sich fest: „Ich kann da nicht einfach wegschauen und muss Widerstand leisten.“
Schweizer will Klimakleber vom Asphalt ziehen
Jared Schiffer (30, angeklebt) sitzt mit Lioba Viera (18, nicht angeklebt) auf der Europastraße in Richtung Singen. Beide sind aus Freiburg. Schiffer lebte allerdings einige Jahre in Konstanz, war dort bei der Landtagswahl 2021 für die Klimaliste BW angetreten. Die Polizei versucht ihn zunächst mithilfe von Öl und einer Stoffbinde, die unter seiner linken Hand durchgezogen werden soll, von der Straße zu lösen. Das bringt nichts – tut aber weh.
Schmerzen, die Oliver Donat aus der Schweiz als nur gerecht empfindet. „Dumm ist der kleine Bruder von euch“, ruft er den auf der Straße Sitzenden zu, legt sich mit Umstehenden an, diskutiert mit einigen der mehr als 20 Polizeibeamten.

Er bietet sogar an, die Klimakleber selbst loszureißen und die Strafe dafür zu tragen. „Die treffen mit solchen Aktionen die Leute, die nix dafür können, die keinen Einfluss haben“, schimpft Donat im Gespräch mit dem SÜDKURIER. „Die sollen sich doch an den Bundestag oder Herrn Scholz kleben!“ Der 34-Jährige aus Tägerwilen wollte seinen schwer kranken Vater im Konstanzer Krankenhaus besuchen, wie er erzählt, doch er blieb in dem Stau stecken.
Hunderte Autofahrer stecken in der Hitze fest
So geht es Hunderten Autofahrern an diesem Nachmittag. Alle Fenster offen oder mit laufender Lüftung versuchen sie, die lange Zwangspause in voller Mittagssonne zu überstehen, während viele Pläne und Termine für den Tag platzen.
Polizei und Rettungskräfte kümmern sich derweil um die Aktivisten – und zwar nicht nur, um Personalien aufzunehmen und die jungen Leute von der Straße wegzubekommen. Nach mehr als einer Stunde auf dem aufgeheizten Asphalt werden teilweise auch Pavillons aufgebaut, um ihnen erst einmal Schatten zu spenden und nicht in praller Sonne an ihrer Befreiung arbeiten zu müssen.

Auch Schiffer und Viera bekommen ein Dach. Zuvor hatten Soziologiestudent Yannick Werner und andere Helfer den Sonnenschutz für die Beiden gegeben, indem sie sich einfach davorstellten. Der junge Mann schreibt derzeit seine Bachelor-Arbeit über Klima-Aktivismus in Konstanz und beobachtet deshalb auch diese Aktion. „Ich wurde gefragt, ob ich Schatten spenden kann, und das habe ich gern gemacht.“
Ehe Polizisten die Mitglieder der Letzten Generation wegtragen und -bringen können, müssen die Hände regelrecht freigemeißelt und in einem Fall sogar freigesägt werden; auf der Gartenstraße ist danach ein quadratisches Loch. Auch die Europastraße hat Blessuren abbekommen. Und was passiert mit den Aktivisten jetzt? Julian Huber hat Erfahrung damit: „In der Regel bekommen wir einen Strafbefehl, gegen den wir Widerspruch einlegen, damit das vor Gericht geht. Solidarische Rechtsanwälte vertreten uns dann dort.“
Letzte Generation: Aktionen in Konstanz
Erstmals hatte die Letzte Generation am 14. Februar eine Straße in Konstanz blockiert – oder das zumindest versucht. Damals hatten sich sechs Aktivisten vor dem Lago-Shoppingcenter positioniert. Doch nur einem von ihnen gelang es, sich mit Sekundenkleber auf dem Asphalt zu fixieren. Die fünf anderen wurden rasch durch Polizisten von der Straße entfernt. „Alle sechs wurden wegen Nötigung angezeigt“, wie Katrin Rosenthal, Pressesprecherin des Polizei-Präsidiums Konstanz, nach der Aktion auf Anfrage mitteilte.
Ende April hatte die Letzte Generation angekündigt, auch am Bodensee wieder den Verkehr lahmlegen zu wollen, nachdem die Mitglieder der Gruppierung an den Protestaktionen in Berlin teilgenommen hatten. Damals hieß es in einer Pressemitteilung dazu: „Wir kommen nach Berlin, bringen die Stadt zum Stillstand, um die Regierung zum Aufbruch zu bewegen.“
Zuletzt hatten Ende Mai etwa 40 Mitglieder und Sympathisanten Kundgebungen vor dem Landgericht und auf der Marktstätte abgehalten, um nach eigener Aussage für Gewaltenteilung und gegen die Kriminalisierung von Klimaschutz zu protestieren.