Nachts ist die Innenstadt von Hannover menschenleer, gibt Wirtschaftsförderin Beate Behrens ein Beispiel. Hier gebe es lediglich Geschäfte, aber keinen privaten Wohnraum. Aber auch den Gegentrend gibt es in Deutschland: Vormalige Ladenlokale würden in Wohnungen umgewidmet und die Wirtschaft in das äußere Umfeld verlagert, so Utz Geiselhart vom Einzelhandelsverband Südbaden.

Beide Varianten sind für Konstanz nicht vorstellbar, finden Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer IHK Hochrhein-Bodensee, HTWG-Professor Stefan Schweiger und Einzelhändlerin Nicola Furtwängler, die unter Moderation von SÜDKURIER-Wirtschaftsredakteur Walther Rosenberger im Sankt Johann diskutierten.

Über die Zukunft des Konstanzer Handels und die Entwicklung in der Innenstadt diskutierten (von links): Moderator Walther Rosenberger, ...
Über die Zukunft des Konstanzer Handels und die Entwicklung in der Innenstadt diskutierten (von links): Moderator Walther Rosenberger, Leiter der Wirtschaftsredaktion des SÜDKURIER, Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer IHK Hochrhein-Bodensee, Utz Geiselhart, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer Handelsverband Südbaden, Stefan Schweiger, Professor an der HTWG Konstanz, Beate Behrens, Leiterin der Wirtschaftsförderung Konstanz, und Nicola Furtwängler, Inhaberin Dolce Vita Coffee Shop. | Bild: Scherrer, Aurelia

Klagt der Handel zu Recht?

„Der Gruß des Kaufmanns ist die Klage“, zitiert Walther Rosenberger ein Sprichwort. Hat er in der aktuellen Zeit der Multikrisen einen echten Grund? „Es ist eine ernste Zeit“, stellt Utz Geiselhart fest und nennt einige Groß- und Filialunternehmen, die dicht gemacht haben. Viele Betriebe, auch anderer Berufsgruppen, seien insolvent. Nicht zu vergessen sei, dass die vergangenen drei Jahre „bei vielen an die Substanz gegangen sind“ und Geld für nötige Investitionen fehle.

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Konstanz sei aber noch mit einem blauen Auge davongekommen. Hatte ihr Vorgänger Friedhelm Schaal befürchtet, dass Corona und Lockdowns viele Existenzen kosten würde, „ist es nicht so krass gekommen“, so Behrens. Und doch stelle sich die Frage, „wie kriegen wir es hin, dass sie nicht nur überleben, sondern leben können“, meint Behrens. „Ständig gibt es neue Herausforderungen“, wobei sie auf das Problem der Erreichbarkeit zu sprechen kommt.

„Handel darf man nicht isoliert betrachten“, findet Claudius Marx. „Er ist ein Teil der Stadt, die funktioniert oder auch nicht.“ Wobei er den großen Dualismus analog versus digital, stationär versus online anspricht. Die finale Entscheidung zum Einkaufsbummel würde daheim nach einer Summe von Entscheidungen gefällt. Wesentliche Kriterien seien: Angenehme Anfahrt, gute Erreichbarkeit, Atmosphäre, Erlebnis, Umgebung. Alle Akteure seien gefordert, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. Konstanz habe hervorragende Grundlagen, deshalb mahnt Marx: „Wir können es nur selbst kaputt machen.“

Wer hat Angst vor weißen Elefanten?

Den Online-Handel bezeichnet Stefan Schweiger als weißen Elefanten. Auf der grünen Wiese auf preiswerten Grundstücken habe er sich niedergelassen. „Preiswert, hohe Warenverfügbarkeit, bequemes Einkaufen, schnelle Lieferbarkeit“, skizziert der HTWG-Professor die Vorzüge, gegen die es der stationäre Handel schwer habe. Doch der weiße Elefant ist alles andere als grün. Schweiger spricht dabei über die vielen Rücksendungen von Waren. Nachhaltig sei dieses System nicht, zudem „häufig Retouren einfach vernichtet werden“.

Und dann gebe es die Generation Z (Geburtenjahrgänge 1995 bis 2010). „Die junge Generation stellt alles auf den Kopf“, so Schweiger. „Was digital nicht da ist, ist für sie nicht vorhanden“, schildert er. Auch die Entscheidung, in einer Stadt einkaufen zu gehen, „beginnt 100 Prozent digital“. Wie die Jugend getriggert wird: Entscheidend seien, laut Schweiger, Sortiment, attraktives Transportsystem, Entertainment und Verweilqualität.

Ist die Generation Z die Alleinglückseligmachende?

Jetzt kommen die Babyboomer langsam ins Rentenalter und die hätten andere Vorstellungen und Bedürfnisse, gibt Beate Behrens zu bedenken. „60- bis 80-Jährige wollen mit dem Auto zum Arzt.“ Und sie wollen Kommunikation, wobei Utz Geiselhart die Plauderkassen bei Migros ins Spiel bringt. Und wie bringt man alles unter einen Hut? Ist es die Quadratur des Kreises?

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Vielleicht nicht. Klar ist: Der Handel ist darauf angewiesen, dass Kunden kommen. Wichtig sei, dass „die Erreichbarkeit weiterhin gewährleistet ist“, sagt Nicola Furtwängler, Inhaberin des Dolce Vita Coffee Shops. Mit ihrem Konzept hat sie Erfolg, denn „es ist wichtig, dass man flexibel bleibt und die Segel anders setzt, wenn der Wind aus einer anderen Richtung weht“, formuliert sie.

Sie hat ihr Geschäft ein Stück weit neu erfunden und zu ihrem Kaffee-Automaten-Fachgeschäft ein Café angegliedert. Ihr ist es wichtig, „alle gleich respektvoll und wertschätzend zu behandeln“. Auch der Student mit wenig Geld sei willkommen. Positiver Nebeneffekt: „Er kommt später mit den Eltern.“ Wichtig sei auch der Service, der von Kunden gerne bezahlt würde. Das Problem, dass Fachberatung ausgenutzt wird, das Produkt aber im Internet gekauft wird, hat sie auf ihre Weise gelöst: Sie bietet individuelle Barista-Kurse. Die Kosten würden beim Kauf angerechnet.

Wie sieht Konstanz in Zukunft aus?

„Jeder, der sich in der Stadt aufhält, soll sich wie ein Gast fühlen“, findet Claudius Marx. Individualität und Willkommenskultur müssten die Markenzeichen sein. Für ihn ist klar: „Die Innenstadt der Zukunft ist autofrei. Der Punkt ist: Wie organisieren wir die Anfahrt? Wollen wir nur das Auto oder auch den Fahrer vergraulen?“ Er gibt sich selbst die Antwort: Man müsse den Punkt finden, „wie man beide schmerzfrei trennt“.

Utz Geiselhart betont sofort: „Für Konstanz wäre es nett, wenn die Marktstätte auch schön wäre, dann hätten wir alle etwas davon.“ Und doch werde es in Zukunft nicht ohne Auto gehen. Beate Behrens weist auf den Technologiewandel am Beispiel E-Autos hin, zumal: „Die Erreichbarkeit ist für einen Wirtschaftsstandort elementar.“

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Die Gemengelage an Anforderungen und Bedürfnissen ist groß. Und dann gebe es „in der Politik viele, die ideologisch unterwegs sind“, so Behrens. Wesentlich sei, dass es vorangehe und gangbare Lösungen gefunden werden. Eine Idee, wie der gordische Knoten gelöst werden könnte, wurde aber auch während der Podiumsdiskussion noch nicht gefunden.