„Du kommst aus Konstanz? Ach wie schön, am Bodensee ist die Welt noch in Ordnung!“ Das bekommen viele zu hören, die von ihrer Heimat erzählen. Malerische Landschaft, übersichtliche Schulen, wenig Gewalt und kaum Probleme – dieser Ruf eilt unserer Region voraus. Während die Polizei in Großstädten regelmäßig an Schulen nach dem Rechten sehen muss oder Prügeleien auf offener Straße an der Tagesordnung sind, fühlten sich Bürger am Bodensee doch sicher.

So langsam aber kippt die Stimmung. Zunehmend äußern Frauen, dass sie sich unwohl fühlen. Nicht umsonst gründeten sich Awareness-Teams, die Gästen auf Partys zur Seite stehen, wenn sie beim Feiern belästigt werden. Angriffe auf offener Straße gibt es auch in Konstanz, und zwar nicht nur vor Diskos. Erst kürzlich wurde eine Frau an einer Bushaltestelle geschlagen, nachdem der Angreifer sie nach der Uhrzeit gefragt hatte. Kann niemand mehr Fremden gegenüber eine Auskunft erteilen, ohne Angst zu haben?

So weit ist es zum Glück noch nicht gekommen. Doch auch die Debatten über das Frauennachttaxi zeigen, dass das Unsicherheitsgefühl in Konstanz steigt. Gewalt und Angst davor nehmen aber auch tagsüber zu. Erschreckend hört sich die Bilanz von Bürgeramtsleiterin Bettina Parschat an, die eindrücklich schilderte, welchen verbalen und körperlichen Attacken einige ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesetzt sind. Pöbeleien auf Behördenfluren, geworfene Stühle und weinende Angestellte seien inzwischen an der Tagesordnung.

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Wie schlimm muss es sich anfühlen, mit Angst zum Arbeitsplatz zu kommen, sich nicht mehr allein auf den Flur zu trauen und sich Drohungen anzuhören wie „Morgen komme ich wieder, aber dann bin ich bewaffnet!“. Der Großteil der Kunden ist harmlos. Aber wieso können immer mehr Menschen ihr Anliegen nicht mehr friedlich und respektvoll vorbringen? Weil immer mehr Menschen psychisch unter Druck stehen.

So erklären es sich Bettina Parschat und Verwaltungsdezernent Joachim Helff. Weil die Gesellschaft es nicht mehr schafft, all die Traumatisierten rechtzeitig zu behandeln oder Vernachlässigte aufzufangen – ob sie nun vor Krieg flohen, selbst Gewalt in der Kindheit erlebten oder während der Corona-Pandemie vor lauter Restriktionen ihre Existenz und den Glauben an staatliche Organisationen verloren.

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Das mag eine Erklärung sein, aber sie gibt den Aggressoren noch lange nicht das Recht, gewalttätig zu werden. Dass nun ein Security-Mitarbeiter im Bürgeramt nach dem Rechten sieht, ist für die Angestellten wichtig, gleichzeitig aber ein Ausdruck von Hilflosigkeit unserer Gesellschaft. Traurig, dass sich ein Bürgeramt vor Bürgern schützen muss.

Und weit mehr: Drohmails an unsere Schulen, Drogenverkauf auf öffentlichen Plätzen, die Vergewaltigung im Stadtgarten und Aggressionen auch gegenüber Polizisten, Rettungskräften und Journalisten – all das ist auch hier Realität. Konstanz als Insel der Glückseligen ist Geschichte.

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