Gerade hat Dunja Hayali ihren Zuhörern zum Abschluss den Frieden gewünscht – auch auf Hebräisch und Arabisch, da hält es die über 300 Gäste im Inselhotel nicht mehr auf ihren Stühlen. Sie stehen, nein sie springen auf, um Applaus zu spenden. Applaus für eine mitreißende Rede, Applaus für eine vorbildliche Haltung und Applaus für eine ungeheuer sympathische Frau, deren Ausstrahlung weit über den hintersten Winkel der früheren Dominikanerkirche reicht.

Es ist der Höhepunkt eines Abends, der das Zeug zu einer Konstanzer Sternstunde des Jahres hat. Vor Dunja Hayali, einer der bekanntesten Fernsehmoderatorinnen und Journalistinnen des Landes steht das Kunstwerk, das sie von der Crescere Stiftung Bodensee bekommen hat. Und sie, die schon auf so vielen Bühnen stand und die ein Millionenpublikum erreicht, bekennt, dass sie um Fassung ringen muss.
Für Dunja Hayali ist es nicht irgendein Preis
Dass sie die erste Trägerin der Georg Elser Anerkennung ist, bedeutet Dunja Hayali etwas. Es ist nicht der x-te Preis für irgendwas. Es ist eine Auszeichnung, die an den Mann erinnert, der 1939 im Alleingang den Nazi-Terror stoppen wollte. Und ist es ein Dank für ihr jahrzehntelanges Eintreten für Demokratie und Zivilcourage – denn darum geht es bei dem neu geschaffenen Preis.
Was sie sich darunter vorstellt, daran lässt Hayali in ihrer Dankesrede keinen Zweifel: eine Gesellschaft, in der es keinen Rassismus, keine Juden- und Islamfeindlichkeit gibt, keinen Islamismus, kein Hass gegen Menschen, die nicht heterosexuell sind, in der alle nicht nur die gleichen Rechte haben, sondern den gleichen Respekt genießen.

Für alle, die keine Vorstellung davon haben: So fühlt sich Rassismus an
Was das bedeutet, erleben die Gäste der Preisverleihung bei einem Experiment. Hayali lädt sie ein, an einen persönlichen Moment der Ausgrenzung und Demütigung zu denken. Als man im Sportunterricht immer erst als letzter gewählt wurde, als man die erste mit einer Zahnspange war, als man nach einer Scheidung plötzlich keine Freunde mehr hatte. Genau dieses Gefühl, 24 Stunden, sieben Tage die Woche: So, sagt Hayali, ist es, Rassismus zu erleben.

Sie bringt die Zuschauer ins Nachdenken, belehrt sie aber nicht
Das alles macht nachdenklich, aber es wirkt an keiner Stelle moralisierend. Ein Grund liegt darin, dass Hayali ihre Rede zu einem größeren Teil an ihren verstorbenen Vater, einen einst aus dem Irak nach Deutschland geflüchteten Christen, adressiert. So wird aus einem abstrakten „Migrationsvordergrund“, wie Hayali es selbst nennt, eine ganz konkrete, ganz persönliche Lebensgeschichte.
Dass die so gut ankommt, liegt auch daran, dass Hayali solche handfesten Sätze sagt wie: „Um etwas zu bewegen, muss man sich bewegen“ oder „einfach mal die Klappe halten, wenn man keine Ahnung hat, ist auch ein guter Rat“. Oder dass es nicht sein kann, wenn schon Widerspruch zum Affront gemacht wird. So tritt sie nicht nur für Meinungsfreiheit ein, sondern auch für Meinungsvielfalt. Für den Perspektivwechsel und gegen die Verrohung auch im Sprachgebrauch.
So hatte sie SÜDKURIER-Chefredakteur Stefan Lutz in seiner Laudatio auch vorgestellt: Als eine Journalistin, die unerschrocken für eine freie und offene Gesellschaft eintritt, die „mit dem, wofür sie steht, eine Bedrohung ist für diejenigen, die Toleranz und plurales Miteinander ablehnen“.
Hayali, sagt Lutz, ist auch ein Vorbild, weil sie Filterblasen verlässt und immer wieder aufs Neue mit Andersdenkenden ins Gespräch geht und dort nicht nur für ihre eigenen Überzeugungen einsteht, sondern auch sehr gut zuhört. Denn genau das, so Lutz, komme der Gesellschaft immer mehr abhanden.

„Sie braucht unsere aktive Unterstützung“, sagt Lutz über Hayali, weil sie eben anders als der Namensgeber des Preises, Georg Elser, nicht in einem Alleingang etwas verändern will, sondern in und mit der Gemeinschaft.
Lutz weiter: „Menschen umgeben sich zunehmend mit Gleichgesinnten, von denen eher Zustimmung als Widerspruch und eher Wohlfühlklima als Herausforderung zu erwarten ist. So aber ist die Welt nicht, man kann vor der Wirklichkeit nicht in Deckung gehen.“ Und Dunja Hayali sei eine, die „uns vorlebt, wie das geht“. Auch ihm, Stefan Lutz, ganz persönlich: „Auch wegen solcher Leute wie Dir bleibe ich als Journalist standhaft und mache ich weiter.“

Ein Dank an die Stiftung, die das erst möglich macht
Dank sagt Lutz aber nicht nur der Preisträgerin, sondern auch der Crescere Stiftung mit ihren beiden Vorständen, den Konstanzer Anwälten Wolfgang Münst und Stephan Tögel. Mit ihrem Engagement bewiesen sie ihren „unerschütterlichen Glauben an eine gute Entwicklung unserer Gesellschaft“ – erst so war die Verleihung der ersten Georg Elser Auszeichnung möglich geworden.
Stiftungsvorstand Wolfgang Münst selbst hatte zu Beginn gesagt, man wolle in Georg Elser „einen der mutigsten Menschen“ in der Stadtgeschichte ehren „neben Jan Hus“. Solchen Mut brauche eine lebendige Zivilgesellschaft, und die Crescere Stiftung Bodensee wolle sehr bewusst einen „gesellschaftspolitischen Akzent setzen.“
Dass das gelungen ist, sagen die Gäste des Abends ausnahmslos. Oberbürgermeister Uli Burchardt, der in seiner Begrüßung erzählt hatte, dass er Dunja Hayali schon lange folgt, zeigt sich nach dem letzten Akkord des Bläserensembles der Bodensee Philharmonie beeindruckt.

Rebecca Weis und Ricarda Disla Gutierrez vom Berliner Verein Gesicht Zeigen, der das Preisgeld erhält, sind ebenfalls überglücklich über all das, was sie aus Konstanz mitnehmen. Und das sind viel mehr als die 15.000 Euro, die Dunja Hayali als Preisträgerin der Georg Elser Auszeichnung für eine gute Sache einsetzen darf.
