Die Debatte ploppte zuerst auf Facebook auf, dann schrieben mehrere Schweizer Zeitungen darüber: Die Konstanzer, hieß es, hätten an den vergangenen Wochenenden im Kreuzlinger Seeburgpark gefeiert – und überall ihren Müll hinterlassen. Bilder von kaputten Glasflaschen und massenweise Chipstüten um die Grillstellen heizten den Ärger weiter an: Eine Nutzerin forderte auf Facebook in der Gruppe „Du bisch vo Chrüzlinge, wenn“ ein Schweizverbot, ein anderer schlug vor, den Müll doch über die Grenze zurück in die Schwesternstadt Konstanz zu werfen.
Stimmen die Gerüchte?
Es gab aber auch besonnene Stimmen, die vor Spaltung warnten. In den Schweizer Zeitungen wurde ein Mann häufig zitiert: Michael Maier. Es ist Kopf der Sicherheitsfirma „City Watch Security“ und von der Stadt Kreuzlingen beauftragt, für Ordnung im Seeburgpark zu sorgen.
Eine Anfrage, ob der SÜDKURIER eine Nacht lang sein Team begleiten könne, beantwortete Michael Maier mit „Komm vorbei“. 20 Uhr am Freitagabend, Treff an der Bodensee-Arena beim Seeburgpark: Michael Maier lehnt in gelber Warnweste mit Aufschrift „Security“ am Eingang des dortigen Public-Viewing-Zeltes, in dem bis zu 300 Menschen die EM-Spiele verfolgen können. „Ach, da bist du ja“, grüßt er, das in Deutschland übliche Sie weglachend. Ohnehin lacht er viel, hat nichts von der Strenge, die man bei einem Security-Chef vermuten würde.
Er erklärt gleich sein Motto: „Sicherheit“, sagt er, „muss man leben.“ Die Situation, wie er sie im Seeburgpark schildert, ist demnach aktuell weniger schlimm als von den Schweizer Medien dargestellt. „Am Anfang waren wir überrascht, als es mit den Abipartys hier losging. Wir haben es jetzt im Griff, die Deutschen können hier gerne feiern“, sagt er. „Aber ihren Müll sollen sie wegbringen.“ Um das zu erreichen, wähle er Ansprache „auf Augenhöhe“. Nur wenn sie nicht hören würden, werde die Tonlage geändert. Sein Team sei bereits unterwegs.
„Jo, da sind alles Dütschi“
Das Handy klingelt, Maier stellt es laut. Es ist Mitarbeiter Ivo Reiser. Er sagt: „Jo, da sind alles Dütschi. Mer händ ehne Müllsäck geh, diä tönd‘s au bruuche.“ (Ja, das sind alles Deutsche. Wir haben ihnen Müllsäcke gegeben, die benutzen sie auch.)
Maier will nicht, dass feiernde Deutsche im Seeburgpark zu Feindschaft zwischen Kreuzlingen und Konstanz führen. „Ich verstehe die Jugendlichen ja, natürlich wollen sie raus, und in Deutschland sind sie stark eingeschränkt: Das eigentliche Problem sind die unterschiedlichen Vorschriften in Deutschland und der Schweiz.“ Wer sich in Konstanz draußen treffen will, darf dies derzeit nur zu zehnt. Diese zehn Personen dürfen maximal aus drei Haushalten kommen. In Kreuzlingen hingegen darf man sich zu fünfzigst treffen. Aus bis zu 50 Haushalten.
Da kommt Mitarbeiter Ivo Reiser. Damit sich der SÜDKURIER ein Bild machen kann, darf die Journalistin ihn auf Streife begleiten. Zuerst geht es mit dem Auto etwas weiter weg an eine Grillstelle im Wald. Es ist jetzt 22 Uhr. Dort ist eine Party im Gange. Mit Lichterketten, Bierbänken, dutzenden jungen Leuten. „Haben Sie einen negativen Test?“, fragt ein junger Mann. Er stellt sich als Maxi vor, 19 Jahre alt und aus Konstanz, wie alle hier. „Uns war es wichtig, dass alle einen negativen Test haben, wir haben Müllsäcke aufgestellt“, sagt er stolz. Ivo Reiser ist zufrieden: „Sobald es mehr als 50 werden, müsst ihr gehen.“ „Ja“, verspricht Maxi.

Gefragt, warum sie hier feiern, antworten Inés, 18 Jahre, und Helen, 19 Jahre, Konstanzerinnen: „Weil es hier schön ist und wir alle zusammen sein dürfen.“ Von Ivo Reiser sind die Mädchen begeistert: „Er bringt das alles so freundlich rüber, dass man gerne auf ihn hört“, sagt Helen.
Dann kommt der Anruf vom Chef: Reiser soll schnell in den Seeburgpark
Zurück im Auto, sagt Reiser: „Wir hätten es als Jugendliche vielleicht ähnlich gemacht wie die Konstanzer. Ich verstehe das schon.“ Das Handy klingelt, es ist Chef Michael Maier. Im Seeburgpark fülle es sich, Reiser solle schnell kommen. Zehn Minuten später: Reiser hat sich zwei Kollegen geschnappt und geht mit ihnen die Grillstellen ab.

Es sind rund 200 Feiernde, überwiegend Konstanzer. Man hört es, und die Jugendlichen bestätigen es gegenüber dem SÜDKURIER. Angesprochen auf den Müll, fangen sie sofort an, aufzuräumen. „Ihr seid hier willkommen“, sagt Ivo Reiser einmal, „aber lasst keinen Müll liegen.“ Gegenüber dem SÜDKURIER beklagen die Jugendlichen, dass sie sich aus Konstanz verdrängt fühlten. „Am Herosé dürfen wir keine Trinkspiele spielen, keine Musik machen nach 22 Uhr“, sagt Nils, 20 Jahre.

Um 23.30 Uhr, eine halbe Stunde, nachdem im Park Ruhe sein sollte, ruft Michael Maier wieder an. Es habe eine Schlägerei gegeben. Die Polizei nehme Personalien auf. „So, wir lösen das jetzt alles auf, es sind zu viele“, weist er sein Team an. Mit Taschenlampen und nun strengerem Tonfall werden die jungen Leute aufgefordert zu gehen. Sie hören anstandslos. Als die Grillstellen geräumt sind, fliegt kein Müll mehr umher, sondern steht an den dafür vorgesehenen Eimern. „Das ist der Erfolg unserer Arbeit“, sagt Reiser.
Und die Jugendlichen? „Auf in den Herosépark“, sagt einer. Warum sie nicht die paar Meter weiter zum extra für sie gestalteten Platz auf Klein-Venedig gehen würden, fragt die Journalistin. „Ach, das ist am Ende der Welt“, „Dort gibt es nicht einmal einen richtigen Grillplatz“, lauten die Antworten.
Gegen 0.30 Uhr zieht Michael Maier ein positives Fazit des Abends: „Das mit dem Müll hat gut geklappt. Das nächste Mal, wenn es so voll wird, lösen wir die Party aber früher auf.“