Gisela Giani trotzt strömendem Regen: „Demokratie ist keine Sache nur fürs Sommerwetter.“ Die mehrfache Großmutter hält es für wichtig, auf die Straße zu gehen, solange dies noch möglich ist. Sie gehört zu den rund 100 Menschen, die für Menschlichkeit, Demokratie und das Recht auf Asyl auf der Marktstätte demonstrieren. Zehn Menschenrechts-, Flüchtlings- und Kulturorganisationen haben dazu aufgerufen.
„Ich bin Christin“, sagt Christina Herbert-Fischer von der altkatholischen Gemeinde. Sie hält es für wichtig, jetzt für die Menschenrechte einzustehen. Derzeit würden die Werte der Mitmenschlichkeit mit den Füßen getreten. Auch die 15 Jahre alte Enea möchte ein Zeichen gegen den Rechtsruck in diesem Land setzen.
Auslöser der Kundgebung waren die politischen Debatten nach dem mutmaßlich islamistischen Messerattentat auf dem Festival der Vielfalt in Solingen. Bei diesem wurden drei Menschen getötet. Unter dem Strich läuft es darauf hinaus: Die Politik will die Rechte von Flüchtlingen beschneiden.
Politik leiste sich einen „Überbietungswettbewerb an Grausamkeiten“
„Unerträglich.“ Immer wieder benutzen Redner dieses Wort. Zum Beispiel Normen Küttner, der Konstanzer Stadtrat und Mitbegründer des Konstanzer Ablegers der Seenotretter von Sea-Eye. Der Rettungssanitäter kritisiert: Seit dem Attentat von Solingen sei ein „Überbietungswettbewerb an Grausamkeiten“ gegenüber Menschen eingetreten, die als Flüchtlinge Schutz suchen.
In Talkshows werde Unsagbares ausgesprochen. „Es wird kaum noch widersprochen“ und dies sei „skandalös“. Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will einen Asyl-Notstand geltend machen, um gegen das EU-Recht pauschal alle Asylbewerber an der Grenze abzuweisen. Bezugnehmend darauf sieht Küttner einen „Notstand der Menschlichkeit“. So war auch die Kundgebung überschrieben.
Küttner zitiert aus Artikel eins des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Tatsächlich aber würden Schutzsuchenden die Rechte und die Menschlichkeit zunehmend abgesprochen. Er fordert eine solidarische Asylpolitik in der EU, nicht Abschreckung um jeden Preis sowie die Bezahlung von autoritären Regimen, damit sie Europa die Flüchtlinge vom Hals halten. Mit Blick aufs Mittelmeer, wo Anrainerstaaten wenig dafür machen, dass Flüchtlinge in Seenot gerettet werden, sagt Küttner: „Man lässt niemanden ertrinken.“
Die evangelische Pfarrerin Christine Holzhausen sieht für die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Konstanz einen „Notstand der Herzen.“ Eine Gesellschaft, die unwidersprochen zulässt, dass Menschenrechte übergangen werden, handle nicht mehr im Sinne der Demokratie. Demokratische und christlichen Werte seien eng verbunden. Nächstenliebe bedeute zum Beispiel, die Bedürfnisse des anderen zu sehen und nicht nur das eigene Wohlergehen. Hoffnung beinhalte das Miteinander und das Aufeinander zugehen, die Begegnung auf Augenhöhe. So stelle sich der „Reichtum des Herzens“ ein.

Die Furcht: Verrohung des menschlichen Miteinanders
Der frühere Stadtrat Anselm Venedey, Sprecher des Konstanzer Bündnisses für Demokratie, stellt fest: „Das Recht auf Asyl ist ein unverrückbares Menschenrecht.“ Die Debatten der vergangenen Wochen hätten entsetzt: Große Teile der Politik liefen den rechten Hetzern der AfD hinterher und wollten diese in der Diskussion um Migration teilweise noch überbieten.
Anselm Venedey beendete seine Rede mit dem Hinweis: „Wie wichtig unsere Stimme ist und wie dringend ein Kurswechsel der Politik nötig ist, zeigen nicht zuletzt die unerträglichen Angriffe auf die Demokratie seitens der AFD bei der konstituierenden Sitzung des Landtags in Thüringen. Doch das war leider nur Anfang.“

Venedey fürchtet, der Verrohung der Sprache folge der Verrohung des menschlichen Miteinanders. Dies sei nicht akzeptabel. Er fordert dazu auf, der Rhetorik der Rechten nicht auf den Leim zu gehen und zu einer Politik der Menschlichkeit zurückzukehren. Es zahle sich für demokratische Parteien nicht aus, die Meinungen und die Sprache der AfD zu übernehmen. Die AfD sei nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Im Zweifel werde das Original und nicht die Kopie gewählt.
Venedey kritisiert, die Integration bleibe Stückwerk. So gebe es kaum gesellschaftliche Teilhabe für Flüchtlinge. Er wünscht sich eine Gesellschaft, in der das Potenzial der Menschen genutzt wird, anstelle von bürokratischen Hürden. Und er wünscht sich, weniger Fluchtursachen: Eine faire Wirtschaft, in der weltweit faire Preise gezahlt werden, würde dafür sorgen, dass sich viele Menschen gar nicht auf den gefährlichen Fluchtweg machen müssen.
Diejenigen aber, die ihr Leben riskieren, um vor Gewalt, Repression und Armut zu fliehen, sollten wohlwollend aufgenommen werden. Jedes Menschenleben habe den gleichen Wert. „Es gibt keine Menschen erster und zweiter Klasse.“ Es gehe jetzt darum zu zeigen, dass die Mehrheit auch so denke: „Wir sind viele. Wir sind hartnäckig.“ Anselm Venedey sieht weniger in den Flüchtlingen als im Rechtsrutsch der Politik die größte Gefahr fürs Land. Auch Daniel Keller von der Seebrücke fordert Mitmenschlichkeit.