Hätte der Anschlag von Solingen verhindert werden können, wenn der Täter rechtzeitig abgeschoben worden wäre? Dieser ja – andere aber nicht. Das zeigt der vereitelte Anschlag von München als jüngstes Beispiel, der mutmaßliche Täter hier: ein österreichischer Staatsbürger mit bosnischen Wurzeln.
In der aktuellen Debatte um schärfere Asylregeln, die besonders durch Solingen noch einmal an Fahrt aufgenommen hat, bleibt eine gefährliche Gruppe völlig unter dem Radar: Gefährder mit europäischen Pässen, darunter deutschstämmige Salafisten, wie etwa der zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte Gladbacher Pierre Vogel – um nur ein Beispiel unter vielen zu nennen.
Es geht nur um den leichten Teil der Aufgabe
Solche Fälle zeigen: Extremistische Ideologien lassen sich auch durch engmaschige Grenzkontrollen nicht aufhalten. Deshalb ist die Verquickung von Islamismus und Asylrecht wenigstens verkürzt. Es wird nur über den leichten Teil der Aufgabe gesprochen – Verschärfungen, die großenteils auch Schutzsuchende treffen werden.
Wie mit islamistischem Extremismus umgegangen werden soll, wie präventiv dagegen vorgegangen werden kann – all das spielt keine Rolle im Diskurs. Dabei finden sich prominente Stimmen, die vor diesem verengten Blick warnen.
Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour etwa gab gerade zu bedenken: „Wenn ein junger Mensch Interesse am Thema Religion und Islam hat, vielleicht wegen eines biografischen Hintergrunds, dann landet er heute in den sozialen Medien mit hoher Wahrscheinlichkeit bei islamistischen Akteuren.“ Die Gruppen dort seien viel professioneller geworden, sie arbeiteten inzwischen auf Deutsch und würden die anfälligen Jugendlichen besser kennen.
Isolation bereitet Radikalisierung den Weg
Das zeigt dann auch das Dilemma einer grundsätzlich härteren Gangart mit Ausländern: Werden deren Leistungen gekürzt, Integrationsstrukturen abgebaut, werden diese Menschen noch mehr isoliert, als sie es in Massenunterkünften fernab städtischer Gebiete oftmals ohnehin schon sind.
Isolation ist für Islamisten ein willkommener Beschleuniger für Radikalisierung. Islamisten machen dann nämlich die besseren sozialen Angebote als die hiesige Gesellschaft. Und das ist von jeder Spielart des Extremismus bekannt: Da, wo soziale Strukturen fehlen, macht er sich besonders leicht breit. Auch unter Deutschen.
Terror lässt sich niemals ganz verhindern
Ein Teil der Wahrheit ist natürlich auch, dass sich Terror – zumal in einer freien Gesellschaft – niemals ganz wird verhindern lassen. Die Befugnisse, die ein Staat dafür bräuchte, würden das Leben aller so stark einschränken, dass das freiheitliche Gemeinwesen verloren ginge.
Diese Einsicht ist überaus heikel, vor allem für Politiker, die das niemals formulieren könnten. Denn die Daseinsberechtigung des demokratischen Rechtsstaats speist sich zu einem großen Teil aus der Vereinbarung, dass die Bürgerinnen und Bürger dem Staat das Gewaltmonopol zubilligen – im Gegenzug zu dessen Versprechen, sie zu schützen.
Wenn das dem Staat nicht gelingt oder sich zumindest dieses Gefühl in der Gesellschaft breitmacht, dann wird früher oder später das Gewaltmonopol bröckeln. Ein einseitig gebrochenes Versprechen löst in aller Regel die Aufkündigung der ganzen Vereinbarung aus. Anzeichen dafür sind die zahlreichen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker im zurückliegenden Sommer. Auch das muss mitgedacht werden – und lässt sich über Asylrechtsverschärfungen allein nicht regeln.
Zusammen trauern, nicht zusammen dumm sein
Lasst uns unbedingt zusammen trauern, aber lasst uns nicht zusammen dumm sein, schrieb die inzwischen verstorbene US-Essayistin Susan Sontag nach den Anschlägen des 11. September vor ziemlich genau 23 Jahren.
Politik und Öffentlichkeit entschieden sich bekanntlich anders, sodass Präsident Joe Biden sich veranlasst sah, Israel nach dem 7. Oktober 2023 zu warnen, damit sich die amerikanischen Fehler von damals in Reaktion auf den Terror nicht wiederholen. Es wirkt so, als wäre das im Angesicht dieser Gewalt zu viel verlangt von den Menschen. Versuchen sollten wir es trotzdem.