Ratsch! Stefan Gattelöhner reißt die Schutzfolie von einem knallroten Aufkleber runter, den er gleich auf das siebte Fahrrad an diesem Tag anbringen wird. Es ist ein Trekking-Bike von der Marke Morrison. Mit einem dicken Schloss ist es an einen Fahrradständer am Döbele angeschlossen.
„Das steht hier schon länger. Mindestens ein Jahr“, schätzt Gattenlöhner und zeigt auf das Vorderrad. Das Unkraut wuchert schon durch die Speichen. Der Bremszug ist gerissen. „Das hat schon einen Standschaden. Eindeutig eine Fahrradleiche“, sagt er und drückt mit zwei Fingern den Reifen mühelos platt.

Stefan Gattenlöhner arbeitet bei Indigo Konstanz. Das ist eine Inklusionsfirma des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Konstanz. Sie führen unter anderem eine Fahrradwerkstatt in der Unterführung beim Schnetztor. Gattenlöhner leitet das Indigo Bike Parking. Er kennt sich also mit Fahrrädern aus – vor allem, wie verkehrstüchtige Räder aussehen sollten.
Das ist auch gut so. Denn er ist von der Stadt beauftragt, regelmäßig durch Konstanz zu streifen und Fahrradleichen auf öffentlichen Plätzen zu markieren. Das macht er mithilfe roter oder gelber Aufkleber der Stadt Konstanz.
Wie im Fußball gelten hier die gleichen Regeln: Gelb ist eine Vorwarnung. Das Rad wird in den kommenden drei Wochen eingesammelt. Bekommt ein Rad den roten Kleber, wird es zeitnah vom städtischen Spielfeld entfernt.
13 Schrotträder in nur 30 Minuten
Das zurückgelassene Trekking-Bike am Döbele erhält eben jenen roten Aufkleber. Doch bevor Gattenlöhner diesen anbringt, schreibt er das Datum seiner Begutachtung auf. Es ist der 29. Mai. „Der Besitzer hat jetzt nur noch kurz Zeit, sein Rad zu holen. Ansonsten holt es die TBK (Technischen Betriebe Konstanz) ab und bringt es zur Verwahrstelle“, sagt Gattenlöhner. Der rote Aufkleber ist ein Zeichen für die TBK, das Rad einzusammeln.

Doch bevor Gattenlöhner zur nächsten Fahrradleiche übergeht, notiert er die Charakteristika des Rades: welche Marke, Damen- oder Herrenrad, was für eine Art von Rad, Farbe, Fundort und im Idealfall auch die Rahmennummer.
„Das Rad gehört ja irgendjemanden“, sagt er. Die Daten leitet er an die TBK weiter. Falls das Fahrrad als gestohlen gemeldet ist, kann die Polizei den Besitzer informieren. „Aber das kommt so gut wie nie vor“, sagt Gattenlöhner.
Damit ist der Job von Gattenlöhner vorerst beendet. An diesem Tag schreibt er 13 Fahrräder in 30 Minuten auf, die nur rund um den Döbele-Parkplatz an Ständern angeschlossen sind, an Bäumen lehnen oder im Gras liegen.
Darunter sind sogar Räder, aus deren Sattel schon das Unkraut wächst, Räder ohne Vorderrad oder Sattel, Räder mit steifen Ketten, platten Reifen und gerissenen Bremszügen. Das seien klassisches Fahrradleichen. „An einem Tag kommen da schon mal 40 Räder in der ganzen Stadt zusammen“, resümiert er.
Drei Monate werden die Räder aufbewahrt
Ein paar Tage später auf dem Hof der TBK in Konstanz. Henry Rinklin von den TBK öffnet das Tor zur Verwahrstelle. Dort landen alle Räder, die von Stefan Gattenlöhner markiert und nicht von den Besitzern abgeholt wurden. Rund 65 Räder jeglichen Zustands stehen Anfang Juni dort.
„Die hier sind erst vor wenigen Tagen gekommen“, sagt Rinklin und zeigt auf zahlreiche abgestellte Drahtesel. Ganz zuvorderst: das Trekking-Bike vom Döbele mit dem roten Aufkleber. „Wir holen die Räder meistens recht schnell ab, wenn sie rot markiert sind“, erklärt Rinklin.

Allzu lange lagern die eingesammelten Vehikel nicht auf dem Hof der TBK. Laut der Stadt Konstanz werden die Schrotträder dort einen Monat aufbewahrt. Herrenlose Räder, also solche, die durchaus noch repariert werden könnten, bleiben drei Monate auf dem Gelände.
Und danach? Danach hat das letzte Stündlein für die Räder geschlagen. „Entweder werden sie von der Firma Indigo ausgeschlachtet und aus den Einzelteilen wird ein neues Fahrrad gebastelt. Oder wir bringen sie zur Verschrottung“, sagt Rinklin.
Rund 600 Räder kommen so im Jahr zusammen. „Wenn wir das nicht regelmäßig machen würden, wären noch mehr Fahrradabstellplätze belegt“, erklärt Rinklin. Besonders häufig bleiben die Räder am Bahnhofplatz, Zähringerplatz, Döbele, Stephansplatz, der Marktstätte oder Laube zurück.
Ein trauriges Ende für einen einstmals geliebten Drahtesel. Henry Rinklin zuckt mit den Schultern. „Manchmal kann ich es auch nicht verstehen, warum Räder einfach zurückgelassen werden – auch gute Räder“, sagt er.