Pro: Schluss mit Chaos – es ist höchste Zeit

Timm Lechler findet: „Wer den Radverkehr seit Jahren fördert, muss auch geeignete Abstellplätze mitdenken. Beim Autoverkehr war das über ...
Timm Lechler findet: „Wer den Radverkehr seit Jahren fördert, muss auch geeignete Abstellplätze mitdenken. Beim Autoverkehr war das über Jahrzehnte nicht anders.“ (timm.lechler@suedkurier.de) | Bild: SK

Konstanz bekommt sein Fahrradparkhaus. Endlich, möchte man wohl sagen, schließlich gibt es die Pläne bereits seit etlichen Jahren. Nun soll es vorangehen. Schluss soll sein mit den hunderten wild abgestellten Drahteseln an Laternenpfählen, Häuserecken und Straßenschildern. Gut so! Dass die Konzilstadt ein eigenes Fahrradparkhaus bekommt und damit dem Chaos den Kampf ansagt, ist eine gute Sache.

Die Sorge davor, dass der neue Bau langfristig ein Verlustgeschäft wird, mag zwar vielleicht berechtigt sein. Allerdings: Beim Kostenplan kommt die Stadt – wenn alle Förderungen durchgehen – ganz gut weg. Schließlich will die DB an dem Vorhaben 12,3 Millionen Euro tragen, die Stadt 8,1 Millionen. Über sieben Millionen Euro könnten dabei aus Fördertöpfen kommen. Dass die DB in dem Gebäude die Filetstücke absahnt, bleibt zwar ein Wermutstropfen – dass die Stadt ins Teileigentum kommt, wird aber zum Trostpflaster.

Da ist es sogar verschmerzbar, dass das Fahrradlager in das umständlichere obere Geschoss kommt und die Bahn die unteren Bereiche für Gastronomieeinheiten, öffentliche Toiletten und einen Radladen nutzen will. Das sind die Flächen, die zukünftig Gewinn abwerfen werden. Beim Fahrradparkhaus sieht das eher schwierig aus. Hierzu gilt es, langfristig eine finanzielle Perspektive zu finden. Positiv ist, dass das Jahrzehnte alte, eher uneinladende Bahnhofsareal aufgewertet wird.

Diese Visualisierung zeigt, wie das Fahrradparkhaus samt Gewerbe zukünftig aussehen soll.
Diese Visualisierung zeigt, wie das Fahrradparkhaus samt Gewerbe zukünftig aussehen soll. | Bild: Stadt KN / DB

Zusätzlich kommt der eigentliche Nutzen: Denn dass es endlich genug Platz braucht, um tausende Räder geeignet und sicher abstellen zu können, wird wohl keiner verneinen können. Es muss nicht Gassenfreitag, ein Konzert auf Klein Venedig oder gar Seenachtfest sein: Im innerstädtischen Bereich türmen sich im Sommer bei gutem Wetter auch werktags die Drahtesel, allen voran am Fischmarkt, auf der Marktstätte, vor dem Lago und rundherum um den Bahnhof.

Natürlich ist das Parkhaus erst einmal für Pendler gedacht. Sobald es sich etabliert hat, ist es aber auch mindestens denkbar, dass viele Konstanzer ihre immer teureren Räder, E-Bikes und Pedelecs dort abstellen, bevor sie zu Fuß zum Einkaufsbummel, einer Verabredung oder einer Abendveranstaltung in die Altstadt gehen.

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Dass Konstanz wieder einmal die ganz große (und teure) Lösung anstrebt, passt zur Stadt. In Singen hat man bereits vor Jahren schneller und pragmatischer gehandelt und einfache Fahrradboxen von der Stange aufgestellt. Der Konzilstadt ist das zu wenig, sie möchte erneut ein Prestigeobjekt schaffen. Das mag diskutabel sein.

In einer Stadt, die vor fünf Jahren den Klimanotstand ausgerufen hat und seitdem den Fahrradverkehr immer weiter stärkt, ist es allerdings auch als zukunftsträchtiges Zeichen zu sehen. Schließlich ist es unumstritten, dass die Zukunft des klimafreundlichen Verkehrs multimodal ist. Das Fahrrad spielt dabei eine zentrale Rolle für die Erreichbarkeit der Schiene oder anderer Mobilitätsangebote.

Wer ebenjenen Radverkehr seit Jahren fördert, muss aber auch geeignete Abstellplätze mitdenken. Beim Autoverkehr war das über Jahrzehnte nicht anders. Und da reichen die oft belächelten Fahrradbügel Modell Langensteiner eben – vor allem rund um den Bahnhof und auch aus Sicherheitsaspekten – schlichtweg nicht aus. Dass man hier auf weitere Jahre, in denen der Zweiradverkehr ansteigen wird, mit über 700 Stellplätzen plant, ist wichtig und richtig. Ohnehin ist es höchste Zeit.

Contra: Es braucht mehr als ein Radparkhaus

Kerstin Steinert meint: „Was Konstanz braucht, sind mehr sichere Stellplätze, die im ganzen Stadtzentrum verteilt sind. Nicht ein großes ...
Kerstin Steinert meint: „Was Konstanz braucht, sind mehr sichere Stellplätze, die im ganzen Stadtzentrum verteilt sind. Nicht ein großes Parkhaus.“ (kerstin.steinert@suedkurier.de) | Bild: SK

Da liegt ein Walfisch mitten in Konstanz – zumindest ab 2027. In diesem Jahr könnten die Bauarbeiten für das neue Fahrradparkhaus beginnen, welches die Stadt zwischen Bahnhof und Marktstätte plant. Es wird ein bisschen wie ein gigantischer Wal aussehen, der gestrandet ist. Vielleicht ist das auch die Absicht der Architekten. Immerhin haben die Fahrräder, die dort mal abgestellt werden können, Seesicht.

Das Parkhaus mit 760 Stellplätzen für den Drahtesel wird ein Statement – ein Bekenntnis zur Radstadt Konstanz. Aber: Für wen ist das Fahrradparkhaus? Es richtet sich in erster Linie nicht an die radelnden Konstanzer, sondern vornehmlich an Berufstätige, die in oder aus der Stadt pendeln. Die Radfahrer sollen dort, wenn sie arbeiten, ihr Rad sicher über den Tag oder die Nacht abstellen können.

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Die zweiten Adressaten sind auch nicht die Konstanzer, sondern die Radtouristen. Sie können ihre E-Bikes und Pedelecs mit ihren schweren Radtaschen dort abschließen und die Stadt zu Fuß erkunden. Die erste Zielgruppe, das bestätigt auch der städtische Radbeauftragte Gregor Gaffga in einem Interview mit dem SÜDKURIER, sind damit keine Konstanzer.

Das ist ein großer Fehler. Denn was in Konstanz fehlt, sind Stellplätze für Radfahrer. Was Konstanz braucht, sind mehr sichere Stellplätze, die im ganzen Stadtzentrum verteilt sind. Nicht ein großes Parkhaus, dass sich hauptsächlich an Ortsfremde richtet oder nur zu Stadtfesten wirklich voll ist.

Hier am Bahnhof in Konstanz soll langfristig ein Fahrradparkhaus mit über 700 Stellplätzen entstehen.
Hier am Bahnhof in Konstanz soll langfristig ein Fahrradparkhaus mit über 700 Stellplätzen entstehen. | Bild: Hanser, Oliver

Es braucht viele Abstellplätze. Immerhin ist das Fahrrad das Verkehrsmittel Nummer eins der Bürger – das hat auch die jüngste Bürgerbefragung der Stadt bestätigt. Tendenziell werden es also eher mehr Radfahrer als weniger. Das ist ja auch das erklärte Ziel der Stadt. Die Kurzformel lautet: Autos raus, Räder rein.

Auf den ersten Blick zahlt der Bau eines 20 Millionen Euro teuren Radparkhauses auf dieses Konto ein. Auf den zweiten Blick stellt sich aber die Frage: Wie wird das Parkhaus finanziert? Also nicht der Bau an sich. Denn die Förderung des Landes Baden-Württemberg wird enorm sein. Auch die DB InfraGo, die ebenfalls am Bau beteiligt sein wird, muss tief in die Tasche greifen. Vielleicht kommen auf die Stadt nur Kosten in Höhe von weniger als einer Million Euro zu.

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Die Frage ist eher: Wer zahlt die Unterhalts- und Instandhaltungskosten? Diese werden die DB InfraGo und Stadt anteilig tragen. Aber für die Stadt wird es schwerer sein, ihre Kosten zu decken. Das Parkhaus wird wohl nur wenige Einnahmen generieren – das ist auch die Befürchtung einiger Stadträte. Lediglich 310 der 760 Parkplätze sind kostenpflichtig. Die anderen sind gratis.

Die Ladenzeile im Erdgeschoss, in dem sich Gastronomie und ein Radservice befinden werden, gehören größtenteils der DB InfraGo. Auf den letzten Drücker hat die Stadt nun etwas Teileigentum im Erdgeschoss ergattern können. Dennoch: Die Einnahmen gehen eher an das Verkehrsunternehmen.

Wie wäre es mit einem Gegenvorschlag: Statt ein Walfisch-Parkhaus zu bauen, einfach eine vorhandene Fläche nutzen? Wieso nicht das untere Deck des Lago-Parkhauses oder gleich das ganze Parkhaus an der Marktstätte zu einem Radparkhaus umgestalten? Damit würde mehr Autoverkehr aus der Innenstadt rausgehalten, dafür erhielten die Einkaufstouristen und Stadtgänger einen sicheren Stellplatz für ihre Räder. Die Idee, das Parkhaus an der Marktstätte umzugestalten, ist übrigens nicht neu.