„Wenn man für einen kurzen Moment den Ukraine-Krieg wegdenkt, dann hätte man sagen können, wir sind besser und erfolgreicher aus der Pandemie herausgekommen, als befürchtet“, sagt sinniert Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee. Dabei nimmt er Industrie, verarbeitendes Gewerbe (vor allem in Singen) und pharmazeutische Unternehmen als Beispiel.

„Wenn Wirtschaft und Gesellschaft am Boden liegen, dann haben wir keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr“, sagt Claudius Marx, ...
„Wenn Wirtschaft und Gesellschaft am Boden liegen, dann haben wir keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr“, sagt Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer IHK Hochrhein-Bodensee. | Bild: Aurelia Scherrer

Von einer Krise in die nächste

In den Pandemie-Jahren hätte die Industrie die Volkswirtschaft getragen; die Leidtragenden, wie beispielsweise Handel und Gastronomie, hätte man viel eher wahrgenommen. Und doch überschatte der Ukraine-Krieg, ein Krieg einer ganz anderen Dimension, jetzt alles. „Er ist nicht vorbei und es ist offen, wo es uns noch hinführt“, so Marx, und: Er geht auch nicht spurlos an Deutschland vorbei. Im Gegenteil.

„Jetzt haben wir eine Situation, wo die Industrie nicht mehr außen vor ist. Wir spüren, wie vernetzt und abhängig wir sind“, so Marx, der zwar auf die Ukraine als Kornkammer Europas zu sprechen kommt, aber auch auf Gas, Chrom, Nickel, Neon und vieles mehr hinweist. Marx stellt klar und deutlich fest: „Kein Land Europas hat sich so abhängig gemacht wie wir.“

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Und jetzt? Es sei alles offen, meint Claudius Marx, der an das „Eskalationspotenzial“ denkt und nachdenklich meint: „Im schlimmsten Fall hätten wir sehr schwierige Jahre vor uns. Was immer wir tun, um unabhängig zu werden: Es wird Jahre dauern.“ Dazu brauche es nicht nur Agilität seitens der Politik, schnell auf neue Situationen zu reagieren, sondern auch Geld. „Wenn Wirtschaft und Gesellschaft am Boden liegen, dann haben wir keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr.“

Leerstand: „Das hat mich sehr entsetzt“

Die Situation sei jetzt schon bedenklich, stellt Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz (HWK), fest. „So viel Leerstand gerade in A-Lagen: Das hat mich sehr entsetzt.“ Die Mieten blieben auf gleichbleibend hohem Niveau, Preise insgesamt steigen und die Schweizer seien nicht in der Frequenz zurück, wie der Konstanzer Handel es eigentlich bräuchte. Während der Pandemie „hat der Schweizer Detailhandel reagiert, ist aktiv geworden und hat eine Kundenbindung erzeugt“, so Hiltner, der anfügt: „Die Schweizer Bürger haben erkannt, dass es vor ihrer eigenen Haustür auch einen interessanten Handel gibt.“

„Die Nachwirkungen der Pandemie sind noch nicht vorbei“, sagt Hiltner, der unter anderem auf die noch ausstehenden Rückzahlungen finanzieller Hilfen, die noch andauernden Mindereinnahmen aufgrund geringerer Kundenfrequenz, aber auch auf die Engpässe von Warenlieferungen zu sprechen kommt, begründet durch Lockdowns in anderen Ländern und den Ukraine-Krieg, und die jetzt schon immensen Preissteigerungen.

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Die Betriebe im Baugewerbe seien noch gut durch die Pandemie gekommen, aber jetzt kämen auch auf sie mannigfaltige Probleme zu. Materiallieferungen verzögerten sich um Monate und die Preisentwicklung sei enorm. Hiltner spricht von „30 bis an die 100 Prozent Preissteigerung“ je nach Produkt. Bei Stahl betrage die Steigerung sogar bis zu 250 Prozent. Diese Preissteigerungen zögen sich durch alle Rohstoffe. „Wir sind ein extrem importabhängiges Land. Ein mengenmäßiger Ausfall führt zu einer extremen Verknappung.“

Aufgrund des Ukraine-Kriegs habe sich die Problemlage verdichtet. Georg Hiltner kommt auf die bereits gestiegenen Energiekosten zu sprechen: „Es ist jetzt schon dramatisch und könnte noch zunehmen“, wobei er auf ein mögliches Embargo hinweist. Für Betriebe, wie beispielsweise Bäckereien, die einen enormen Energieverbrauch hätten, würde es ein schwieriger Kampf um die Existenz. Wenn sich die multiple Problemlage noch verdichte, dann werde es wohl der eine oder andere Betrieb nicht schaffen, ist Hiltner überzeugt.

Und wer soll das alles bezahlen?

Doch nicht nur die Lieferengpässe machten jetzt der noch boomenden Bau-Branche zu schaffen. Zwar sei die Auftragslage aktuell noch als gut zu bezeichnen, die Frage sei aber, aber ob dies im zweiten Halbjahr auch noch so bliebe. Zum einen bräuchten viele Betriebe mehr Mitarbeiter, die es aber aufgrund der demografischen Entwicklung nicht in ausreichender Zahl gebe, von ausgebildeten Fachkräften einmal ganz zu schweigen. Auch die Auftragslage, so prognostiziert Georg Hiltner, werde sicherlich aufgrund der Kostensteigerung und der gesamtwirtschaftlichen Situation einbrechen.

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Hiltner geht davon aus, dass manche privaten Bauherren aufgrund der Preisentwicklung von Bauvorhaben absehen würden; auch Kommunen würden es sich künftig aufgrund der knappen Kassen überlegen, ob und wo sie investieren. Auch wenn Deutschland – die Notwendigkeit stehe außer Frage – Maßnahmen zum Klimaschutz vorne anstellten: Wo sollten das notwendige Material, die zusätzlichen Fachkräfte und das benötigte Geld herkommen? Im Raum stünden „Milliarden-Ausgaben“, die durch Steuern gezahlt werden müssten, so Georg Hiltner, der als Bürger in den Raum wirft: „Wir sind nicht endlos in der Lage, Steuern zu zahlen.“