Corona hat die Welt im Griff. Auch Konstanz. Kneipen, Cafés oder Geschäfte sind geschlossen, die Innenstadt gibt ein tristes Bild ab. Außer dem Service der Lieferung oder der Abholung ist nichts erlaubt. Wir haben die Geschäftsführer der drei großen Traditionsunternehmen Gradmann, Gruner und Zwicker an einen Tisch geholt. Sie analysieren die Situation. Der erste Teil behandelt das Thema Corona, staatliche Hilfen und die Realität im Einzelhandel.

Dem Handel eine Stimme verleihen

Diese drei Herren haben einiges zu sagen, weil sie einiges erlebt haben als jahrzehntelange Unternehmer und Arbeitgeber vieler hundert Menschen. „Zusammen genommen sind wir über 500 Jahre erfolgreiche Konstanzer Handelsgeschichte“, sagt Peter Kolb. „Uns trifft die Pandemie vielleicht weniger als kleinere und jüngere Unternehmen, da unsere Vorfahren unsere Geschäfte auf ein gesundes Fundament gesetzt haben und wir in unseren eigenen Immobilien sind. Aber wir sorgen uns um die Gesamtstadt, um das Oberzentrum Konstanz.“

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Er möchte weder arrogant noch anmaßend klingen. Es geht Peter Kolb und seinen beiden Mitstreitern viel mehr darum, ihre Erfahrung kundzutun. Sie versuchen, dem gesamten Konstanzer Handel eine Stimme zu verleihen. „Wir haben eine gewisse Gesamtverantwortung für unsere Stadt. Wir können uns aufgrund unserer langen Handelstradition erlauben, etwas zu sagen, was sich andere Kollegen vielleicht nicht trauen. Wenn die Menschen aufhören, ihre Meinung zu sagen, dann kannst du alles vergessen“, sagt Peter Kolb. Es werde von Seiten der Politik viel versprochen und es sei anscheinend fast alles erlaubt. „Wenn du als Konstanzer Unternehmer zu einem Thema Stellung beziehst, landest du sofort in der Schublade von ... das möchte ich jetzt lieber nicht aussprechen. Wir sind die letzten Mohikaner der alten Konstanzer Geschäfte.“

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Schreckgespenst Corona und seine Folgen

Ottmar Zwicker über die Pandemie: „Handel, Gastronomie, Kultur tragen im Wesentlichen dazu bei, Kontakte zu reduzieren. Das ist von der Politik gewünscht und das steht nicht zur Diskussion, damit hadern wir nicht. Aber das stellt uns vor erhebliche Herausforderungen. Wir haben, als es uns gut ging, so investiert, dass wir auch diese Krise überstehen. Demgegenüber stehen Versprechen der Politik zu Förderungen, die nicht der Realität entsprechen. Wenn Finanzminister Olaf Scholz sagt, dass wir das noch lange durchhalten würden, dann gilt das nicht für Handel und Gastronomie. Wenn Wirtschaftsminister Peter Altmaier sagt, wir lassen kein Unternehmen pleitegehen, dann entspricht das nicht der Realität. Viele Kollegen werden diese Krise leider nicht überstehen.“

Ottmar Zwicker ist Geschäftsführer des gleichnamigen Herrenausstatters. Das Geschäft existiert seit 1797.
Ottmar Zwicker ist Geschäftsführer des gleichnamigen Herrenausstatters. Das Geschäft existiert seit 1797. | Bild: Oliver Hanser

Ottmar Zwicker über die staatlichen Hilfen: „Wir haben die Überbrückungshilfe 2 am 5. Dezember beantragt. Am 14. Dezember kamen dann im Nachhinein neue, höhere Voraussetzungen, die erfüllt werden mussten – nachdem viele Anträge bereits gestellt wurden. Seit dem gilt: Nur ungedeckte Fixkosten können abgerechnet werden – was auch richtig ist. Welche Fixkosten aber darf ich ansetzen? Es reicht nicht, dass Fixkosten für den Monat der Förderung angefallen sind, nein, diese Fixkosten müssen auch in diesem Monat bezahlt worden sein. Am Beispiel Versicherungen: Ich darf nur eine Versicherung ansetzen, die im auch Monat der Förderung bezahlt wurde und dann sogar in voller Höhe, auch wenn es sich um eine Jahresrechnung handelt. Und umgekehrt: Eine Jahresrechnung, die im April bereits für das ganze Jahr bezahlt wurde, kann nicht anteilig angesetzt werden. Es werden nur ungedeckte Fixkosten gefördert, das heißt: Es muss in der Höhe der beantragten Förderung ein Verlust entstanden sein. Das ist vom Sinn her natürlich richtig. Nur: Ist es der Verlust in dem Fördermonat, in dem Quartal im gesamten Jahr? Und was wird bei der Verlustrechnung berücksichtigt? Auch der Wertverlust des Warenlagers? Da sind noch viele Fragen unbeantwortet und da ist vieles ungerecht, nicht nachvollziehbar und kaufmännisch nicht sinnvoll.“

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Ottmar Zwicker über Warenbestände: „Der Zeitraum zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar ist die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Und auch danach verkaufen wir Winterware. Neben den fehlenden Einnahmen bleiben uns enorme Warenbestände. Gleichzeitig wird seit Mitte Dezember die neue Frühjahrsware ausgeliefert und muss bezahlt werden. Wir haben zum einen ein logistisches Problem: Wohin mit all der Ware? Und dann natürlich auch die Herausforderung, die finanzielle Liquidität zu gewährleisten.“

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Peter Kolb über Umsatz und Gewinn: „Wir machen Umsatz: Betrag X. Um Umsatz zu machen, müssen wir Ware einkaufen = Investition Y. Die Differenz zwischen Wareneinsatz und Waren-Verkaufserlös – ist der Rohertrag. Kein Umsatz – kein Rohertrag. Sollten wir einen Rohertrag erwirtschaften, können wir unsere Kosten bezahlen = Miete, Personal, Versicherungen, Strom, Heizung, Steuern an den Bund, Gewerbesteuer an die Stadt, und vieles, vieles mehr. Es ist kein Geheimnis, dass die Umsatzrenditen von Handelsunternehmen sich zwischen ein und drei Prozent bewegen. Von einem eventuellen Gewinn müssen zukünftige Investitionen getätigt werden. Was passiert in diesem Moment? Den halben Dezember hatten wir geschlossen, in der zweiten Hälfte des Dezembers machen wir 60 Prozent Umsatz – diese 60 Prozent Umsatz fehlen, es fehlt somit 60 Prozent Ertrag in diesem Monat. Letzte Woche hatte wir die Aussage, dass 40 Prozent der Fixkosten übernommen werden. Das würde bedeuten, dass aus dem fehlenden Umsatz der Ertrag fehlt und 60 Prozent der Fixkosten auch beim Händler hängen bleiben – es fehlen alleine im Dezember hohe sechsstellige Beträge in unserem Unternehmen. Ich hoffe, dass das jetzt noch geändert wird. Was passiert in den nächsten Wochen? Das Wintergeschäft ist vernichtet. Kommen nicht zusätzliche Hilfen, stehen viele Händler vor einer Insolvenz.“

Peter Kolb, der Unternehmer hinter Sport Gruner. Das Geschäft besteht seit 1862.
Peter Kolb, der Unternehmer hinter Sport Gruner. Das Geschäft besteht seit 1862. | Bild: Oliver Hanser

Peter Kolb über volle Lager: „Hunderttausende Artikel in einem Wert von weit mehr als 100 Millionen Euro stehen in den Lagern der Konstanzer Händler. Diese dürfen nicht verkauft werden. Nehmen wir die Sportartikelbrache: Wir dürfen keine Ski, Snowboards oder Schneeschuhe verkaufen, die Menschen dürfen die Sportgeräte nicht benutzen. Die Produkte verlieren an Wert – genau wie warme Mäntel, Winterhosen, Schuhe, Mützen oder Handschuhe. Wir haben einen unverkäuflichen Warenbestand, der eigentlich bis März verkauft sein sollte, damit wir die Frühjahrsware, die wir bereits vor sechs Monaten bestellt haben, bezahlen können. Was machen wir und die Konstanzer Händler mit den Waren? Lager anmieten? Einlagern – was zu zusätzlichen Kosten führt? Es ist schlimm, was auf uns zu kommt.“

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Sebastian Raetz über fehlenden Umsatz: „Es gibt viele Händler in Konstanz, die alleine als Geschäftsführer in ihrem Laden stehen, ihren Umsatz machen, von der sie die Ware bezahlen. Von dem, was nach Abzug der Kosten übrig bleibt, leben sie. Die meisten haben jetzt im Januar keinen Euro Umsatz. Sie bekommen, wenn es gut läuft, 90 Prozent der Fixkosten erstattet – wenn man die Hilfe endlich beantragen kann und das Geld dann irgendwann kommt. Erst mal müssen weiter Mieten, Versicherungen oder Stromabschläge bezahlt werden. Irgendwann im April kommen dann vielleicht die beantragten Überbrückungshilfen – wie sollen sie denn diese Zeit überbrücken? Wie sollen sie diese zehn Prozent, die sie niemals erhalten werden, weil ja die Höchsterstattung 90 Prozent der Fixkosten sind, wie sollen sie die denn bezahlen? Unternehmerlohn darf man übrigens auch nicht mit einrechnen, denn das sind ja keine Fixkosten. Viele Händler hatten gar nie die Möglichkeit genügend Rücklagen zu bilden, um eine solche Situation zu überstehen.“

Sebastian Raetz ist in der fünften Generation bei Gradmann. Die Parfümerie gibt es seit 1864.
Sebastian Raetz ist in der fünften Generation bei Gradmann. Die Parfümerie gibt es seit 1864. | Bild: Oliver Hanser

Sebastian Raetz über die Handelslandschaft Konstanz: „Diese vielen, kleinen Geschäfte in Konstanz können das nicht mehr länger stemmen. Bei denen wird irgendwann der Stecker gezogen. Bei manchen geht es schneller, andere konnten Rücklagen bilden, da dauert es etwas länger. Aber irgendwann sind bei jedem die Reserven erschöpft und die notwendige Liquidität aufgebracht. Da hilft auch kein Kredit mehr etwas. Aber es geht uns eben auch um die kleinen. Eine Handelslandschaft wie Konstanz macht doch dieser Mix aus und sie ist nicht mehr so oft zu finden in Städten dieser Größe – unzählige engagierte Händler mit ganz unterschiedlichen Konzepten, Waren und Dienstleistungen. Da ist es sehr schade, wenn man sich vorstellt, dass das bald nicht mehr so sein könnte, weil die Voraussetzungen, diese kleinen Unternehmen zu schützen und zu stützen, nicht stimmen. Wir Unternehmer zeigen Solidarität und leisten unseren Beitrag zum Schutz der Gesellschaft mit unseren Schließungen. Ich verstehe Kollegen nicht, die trotzdem aufgemacht haben, weil sie plötzlich von der Parfümerie zur Drogerie mutiert sind, damit sie ihre Produkte verkaufen können – das ist unsolidarisch. Aber dann benötigt man doch wenigstens eine Perspektive, das erstattet zu bekommen, was man wirklich braucht zum Überleben. Das ist in den Konzepten der Regierung nicht zu sehen.“