Eine simple Statistik erhitzt die Gemüter der Stadträte, die sofort zur Höchstform auflaufen, was die Diskussionsfreude anbelangt. Worum es geht? Um verschiedene Varianten, wie sich die Bevölkerung bis zum Jahr 2045 entwickeln werde – je nachdem wie viele Wohnungen gebaut werden. Bevölkerungswachstum hängt also vom Wohnbau ab.
Aber wo und wann wird in Zeiten von Inflation und Baukostensteigerung denn noch gebaut? Sind bezahlbare Mieten überhaupt noch realistisch? Die Stadt Konstanz hatte die Firma empirica beauftragt, eine neuerliche Prognose der Bevölkerungsentwicklung zu erstellen. „Die Einwohnerentwicklung ist sehr dynamisch“, weshalb die Vorausberechnungen alle drei Jahre überarbeitet werden müssten, so Bürgermeister Andreas Osner.
Diese dienten als „Grundlage für verschiedene Fachplanungen“, wie beispielsweise Schulbau, erläutert der Sozial- und Kulturdezernent. Es handle sich um wenn-dann-Varianten, so Constantin Tielkes von empirica. Zuzug von Menschen erfolge trotz Wohnungsknappheit. Es kämen dann Menschen mit höheren Einkommen, die sich teure Wohnungen leisten könnten. Ansässige Bewohner wanderten ins Umland ab.
Gerade junge Arbeitskräfte und jene Menschen mit geringerem Einkommen zögen weg, um leistbare Wohnungen zu finden. Empirica rechnet für Konstanz zwischen 94.000 bis 97.000 Einwohnern im Jahr 2045, was aber vom Bauland abhänge, wobei Tielkes insbesondere auf das Neubaugebiet Hafner abzielt.
Der Handlungsdruck ist enorm
„Wir haben Handlungsdruck“ stellt Dorothee Jacobs-Krahnen (FGL) fest. „Wenn wir die Leute halten wollen, müssen wir schnell bauen.“ Die FGL würde es begrüßen, wenn es bei Baugebieten beschleunigte Verfahren geben würde. „Döbele und Bückle müssen endlich kommen“, fordert Jacobs-Krahnen. Allerdings fragt sie sich, wie die Wobak ihre Bauten bei den Baupreisen noch stemmen könne.
Sie kommt auch auf den demografischen Wandel zu sprechen, denn bis 2030 gehe des Gros der Boomer-Generation in Rente. Deshalb würden künftig Wohnungen für ältere Menschen und mehr Pflegeplätze benötigt. Auch Mehrgenerationenhäuser müssten in Erwägung gezogen werden, „damit wir die Bürger mit gutem, bezahlbarem Wohnraum versorgen können“, so Jacobs-Krahnen.

Stadträte haben große Zweifel
Der Berechnung für 94.000 Einwohner legt empirica zugrunde, dass 80 Prozent der geplanten Neubauwohnungen umgesetzt würden. An dieser Umsetzungsquote hat Heike Rawitzer (CDU) Zweifel: „Ich habe Sorge, dass das zu optimistisch ist. Es kann sein oder auch nicht.“
Auch Jürgen Faden (Freie Wähler) fehlt der Glaube. „Das Bauvolumen werden wir so nicht erreichen“, ist er überzeugt, denn „wir wissen nicht, wann wir vernünftige Bedingungen zum Bauen haben werden“. Würde heute gebaut, wären die Mietpreise extrem hoch. Natürlich müsse schnell gebaut werden, findet auch Faden und hat einen Tipp: „Es wäre nicht schlecht, auf das eine oder andere Gutachten zu verzichten und Bauträger willkommen zu heißen und nicht zu gängeln.“

Was ist, wenn die Einwohnerzahl sinkt?
Es handle sich bei der Vorlage um eine Prognose und nicht um ein Programm zur Zielerreichung, stellt Jan Welsch (SPD) klar. Er glaubt, in den kommenden Jahren würden sich die Konstellationen verschärfen. Er warnt: „Konstanz würde schrumpfen ohne Zuwachs und das hätte Folgen für die Stadt.“
Würden Menschen mit niedrigerem Einkommen aus der Stadt verdrängt, weil sie keinen bezahlbaren Wohnraum fänden, dann fehlten wichtige Arbeitnehmer in fast allen Lebensbereichen, ob Busfahrer, Pflegekräfte oder Handwerker. „Das hätte massive soziale und ökologische Folgen“, so Welsch.

Gibt es einen Weg aus dem Teufelskreis?
Holger Reile (Linke Liste) gibt seinen Vorrednern recht: „Wir bewegen uns seit Jahren im Kreis. Konstanz wird immer unbezahlbarer.“ Eine Verdrängung ins Umland gebe es bereits seit Jahren, was an den steigenden Mietpreisen in Radolfzell und Singen ablesbar sei.
„Was wäre, wenn...? Darauf können wir nicht bauen. Das ist Wolkenschieberei“, poltert Reile. Viel wichtiger sei die Frage: „Wie kommen wir aus der Nummer raus?“ Er überlegt kritisch, ob viele Studenten überhaupt wünschenswert seien. So würden Vier-Zimmer-Wohnungen nicht an Familien, sondern an Studenten vermietet für „pro Kopf 600 Euro“, gibt er ein Beispiel.

„Die Studentenzahlen sind auf gleichbleibendem Niveau“, merkt Matthias Schäfer (Junges Forum) an. Es sei alles nichts Neues. Die Probleme seien da. „Wir müssen handeln“, so Schäfer. „Studenten tun der Stadt gut“, findet Anne Mühlhäußer und fügt an: „Das Problem sind die Vermieter, die so viel verlangen.“ Man müsse den Flächenbedarf pro Kopf verringern und andere Wohnformen mit Gemeinschaftsflächen forcieren.
Was ist mit dem Handlungsprogramm Wohnen?
Doch wie sieht der Weg aus der Misere aus? Die Stadt Konstanz hatte ja das Handlungsprogramm Wohnen aufgelegt. Für die Hälfte der darin veranschlagten Wohneinheiten sei Baurecht geschaffen worden, so Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn.
Wichtig sei, gerade Genossenschaften zu gewinnen, die langfristig preiswertes Wohnen garantierten. Langensteiner-Schönborn sieht aber gerade in der aktuellen Lage jemanden anderen in der Pflicht: „Der Bund muss Bauen fördern.“