Auf dem Tisch von Arbeitsrichter Carsten Teschner liegt eine beachtliche Dokumentation. Es ist eine Liste von 67 Vorfällen, die den Vorwurf des Mobbings gegen einen leitenden Mitarbeiter des Bibliotheks-Zentrums Baden-Württemberg in Konstanz belegen soll.
Die Quälerei am Arbeitsplatz zog sich demnach über ein Jahr, sieben Monate, zwei Wochen und sechs Tage hin. In dieser Zeit gab es Urlaube, Phasen des Freizeitausgleichs oder etwa zwei sich auf insgesamt 17 Wochen hinziehende Mediationen – sie verstrichen, ohne dass man sich irgendwie hätte zusammenraufen können.
Wie geht Mobbing? Im Fall des 62-Jährigen, der 22 Jahre beim Land Baden-Württemberg angestellt ist, soll es vier Degradierungen ohne oder mit willkürlicher Begründung gegeben haben. 19 Mal beispielsweise sei der IT-Fachmann in seiner Rolle übergangen worden, sechs Mal habe es massive Übergriffe in seine Tätigkeitsgebiete gegeben und es werden zehn Fälle aufgelistet, wonach vom Vorgesetzten die Einhaltung der Corona-Schutzregelungen nicht eingehalten wurden.
Die Ursache des Streits lässt sich aus den Dokumenten nicht herauslesen, was durchaus interessant sein könnte. Denn bei dem Angestellten handelt es sich um einen Experten, der unter anderem für die Vernetzung von Bibliotheken zuständig ist.
Wie und warum der Abteilungsleiter in Konflikt mit seinem Chef geraten konnte, erschließt sich aus dem Tätigkeitsfeld nicht. Üblicherweise trägt die Kompetenz solcher Leistungsträger das infrastrukturelle Rückgrat einer Institution, die allein wegen ihres Fachwissens unangreifbar sind. In aller Regel ist man froh, dass es solche Mitarbeiter gibt.

Doch in dieser Auseinandersetzung war offensichtlich auf menschlicher Ebene nichts mehr zu retten. Wie sehr man sich verbissen hatte, ging unter anderem aus den gegenseitigen Beschuldigungen vor dem Arbeitsgericht in Radolfzell hervor. Für den 62-Jährigen und seinen Anwalt beispielsweise erfüllt das Verhalten des Vorgesetzten die Tatbestand der Körperverletzung.
Als Beleg wurde die Anberaumung eines Gesprächs in einen kleinen Besprechungsraum angeführt, was bei dem vorerkrankten Kläger Ängste vor einer Corona-Infektion hervorrief. Eine Antwort darauf, warum das Gespräch nicht in einem zur Verfügung stehenden größeren und freien Besprechungsraum verlegt wurde, blieb die Beklagtenseite schuldig.
Diese fuhr ihrerseits schweres Geschütz auf und unterstellte dem Kläger Betrugsabsichten – auch hier gingen die Beteiligten nicht näher darauf ein, inwiefern sich der 62-Jährige in strafrechtlichem Sinne etwas habe zuschulden kommen lassen.
Das freilich lag auch am Veto von Carsten Teschner, der die Streitparteien daran erinnerte, wo sie sich befinden. Vor dem Arbeitsgericht gehe es darum, ob und wie man sich einigen könne. Prinzipiell stehen dabei drei Wege offen: Man versucht‘s noch einmal miteinander, man einigt sich auf einen Vergleich oder der Richter fällt ein Urteil.
Gibt es ein Urteil oder einen Vergleich?
Lange sah es danach aus, dass Carsten Teschner um ein Urteil nicht herumkommen würde. Der Beklagtenseite passte weder der das geforderte Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000 Euro, auch bei der Forderung nach einem qualifizierten Zeugnis mit guter Leistungsbewertung für den seit 22 Jahren beim Land Baden-Württemberg beschäftigen Mitarbeiter wehrte sich die Vertreterin des Arbeitgebers. Zu Beginn des Vergleichs ebenfalls nicht unstrittig war die Freistellung des 62-Jährigen bis Ende September bei voller Bezahlung.
Es gab Pausen, Bedenkzeiten, schließlich verhandelten die beiden Parteien vor dem Gerichtssaal. Was dabei herauskam, hat den Charakter eines Schuldeingeständnisses des Beklagten: Man einigte sich auf eine Abfindung in Höhe von 60.000 Euro, die besagte Freistellung bei vollen Bezügen sowie ein „wohlwollend“ formuliertes Zeugnis.
Fast zu vernachlässigen dabei ist das Zugeständnis der Klägerseite: Der 62-Jährige sagt zu, negative Äußerungen über sein Beschäftigungsverhältnis zu unterlassen und wird keine weiteren Beschwerden zu Gericht bringen.
Anwalt: „Dieser Vergleich ist der Hammer“
Postskriptum: „Dieser Vergleich ist der Hammer“, so der Kommentar des Konstanzer Anwalts Manfred Schneider, der den 62-jährigen Mitarbeiter des Bibliotheks-Zentrums Baden-Württemberg vor dem Radolfzeller Arbeitsgericht vertrat. Der geschlossene Vergleich liege deutlich über seiner Erwartung – den Preis dafür zahlt die öffentliche Hand und damit letztlich der Steuerzahler.
Zur Abfindung von 60.000 Euro kommt der Betrag für die Freistellung bis Ende September hinzu, die sich auf eine nur wenig geringere Summe als die Abfindung beläuft. Zuzüglich des Arbeitsgeberanteils an den Sozialabgaben ergibt sich daraus ein Betrag, der bei mindestens 150.000 Euro liegen dürfte.
Im Spätsommer könnte der bis dahin 63-Jährige in Pension gehen. Er will aber nicht, sondern möchte gerne weiterarbeiten. Deshalb legte er Wert auf ein gutes Abgangszeugnis. Wegen seiner Fachkenntnisse rechnet er sich trotz seines Alters Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus.