Der Bildschirm wackelt. Es ist ein Handyvideo, ganz offensichtlich, das da an die Wand in der Mensa des Ellenrieder-Gymnasiums projiziert wird. Ein Klassenzimmer ist zu sehen, vier Schüler. Drei Mobber, ein Ausgestoßener. Dessen Tisch weggerückt wird, der unter dem Gejohle der Anderen mit Papierkugeln beworfen wird. Der in der Pause verprügelt wird. Dann erhält er eine Whatsapp-Nachricht: „Stirb, du Loser.“ „Töte dich! Wir meinen es ernst.“ Am Ende liegt der Junge bewegungslos auf dem Steinboden der Schultoilette.

Symbolfoto: Einem Jungen wird die Jacke gewaltsam weggerissen und die Mitschüler schauen belustigt zu.
Symbolfoto: Einem Jungen wird die Jacke gewaltsam weggerissen und die Mitschüler schauen belustigt zu. | Bild: Münzer, Gabriele

„Töte dich! Wir meinen es ernst!“

Gebannt blickt das Publikum in der Mensa auf das Video. Es sind Sechstklässler und einige Lehrer, die den etwa 30 Müttern und Vätern beim Elternabend „Wir alle gegen Cybermobbing„ insgesamt drei kleine Filme vorstellen.

Die Filme, die die Schüler gedreht und produziert haben, sind beeindruckend. Sie schlagen die Brücke zwischen Mobbing, wie es die Eltern früher erlebt oder beobachtet haben mögen, also Prügel, Papierkugeln – und Cybermobbing.

Ellenrieder-Gymnasium setzt auf Prävention

Sie sind während des Unterrichts entstanden. Denn in den vergangenen Monaten haben sich die Schüler mit Cybermobbing auseinandergesetzt. Damit es gar nicht erst zum Mobbing in den Klassen kommt, ist die Strategie des Ellenrieder-Gymnasiums Prävention.

Die Jungen und Mädchen sollen früh lernen, was gedankenlos abgeschickte Nachrichten oder Bilder in anderen auslösen können. Auch, welche Folgen Mobbern drohen. Und, was man tun sollte, wenn man Cybermobbing beobachtet oder selbst zum Opfer wird.

Nun sind die Eltern dran

Doch dieser Abend richtet sich an die Eltern. Was müssen sie wissen? Zu Gast sind Kriminaloberkommissarin Victoria Alberti und Moritz Scherzer vom Karlsruher Verein „Bündnis gegen Cybermobbing„, das das Präventionsprogramm „Wir alle gegen Cybermobbing„ an der Schule durchführte. Beide haben mit den Kindern und Lehrern gearbeitet, nun sind die Eltern dran.

Bild 2: Was mache ich, wenn mein Kind Opfer von Cybermobbing ist – oder Täter? Ellenrieder-Gymnasium schult Lehrer, Schüler und Eltern.
Bild: Eva Marie Stegmann

„Müssen weg vom Gedanken: ‚Das Wunderwerk Kind ist unantastbar‘“

Alberti beginnt mit einem eindringlichen Appell an die Eltern: „Wir sind auf Ihre Mithilfe angewiesen!“ Es sei wichtig, im Blick zu behalten, was die Kinder sich schicken. Schon ein Foto, dass beispielsweise in einer großen Whatsapp-Gruppe gepostet werde, könne ein Rechtsverstoß sein. Schon gar, wenn es intime Aufnahmen Minderjähriger zeige. „Das ist laut Strafgesetzbuch Verbreitung von Kinderpornografie, im schlimmsten Fall.“ Und käme oft vor. Öfter, als manchen Eltern recht ist.

Symbolfoto.
Symbolfoto. | Bild: Eva Marie Stegmann

Eltern müssen aufpassen, sonst drohe Schadensersatz

Eltern seien mittlerweile dazu verpflichtet, da habe die Rechtssprechung nachgebessert, ihr Kind ordentlich zu begleiten. Wenn nicht drohe Schadensersatz. Es sei enorm wichtig, zu überwachen, was das Kind online mache. „Wir müssen weg vom Gedanken: Das Wunderwerk Kind ist unantastbar“, so Alberti, „Eltern müssen sagen können: ‚Ich nehme jetzt dein Handy und schaue, was du treibst. Und wenn Käse drauf ist, dann nehme ich es dir weg.‘“

Auch minderjährige Mobber verurteilt

Strafrechtlich können Kinder wegen Cybermobbings nicht belangt werden, wohl aber zivilrechtlich. So hatte beispielsweise das Landgericht Memmingen einen Zwölfjährigen Schüler wegen Mobbings auf Facebook zu Schmerzensgeld verurteilt: Er musste 1500 Euro an das Opfer zahlen. „Er, nicht die Mutter!“, betont Alberti.

Staatsanwältin: „Wir werden mit Cybermobbing-Fällen geflutet“

Nach Alberti spricht Alexandra Bouba, Staatsanwältin in Konstanz. „Cybermobbing ist für uns ein riesengroßer Arbeitsbereich geworden – wir werden geflutet“, sagt sie. Eltern könnten sich das oft nicht vorstellen, schon gar nicht beim eigenen Kind. „Schon Grundschüler verbreiten Videos der schlimmsten Gewalttaten oder pornographisches Material.

Fälle bis zum Suizid des Kindes wegen Cybermobbing

Wenn das einmal weg ist aus dem Handy, fängt man es nie wieder ein.“ Es sei schon vorgekommen, dass ein Kind die Schule wechseln musste, weil Nacktbilder von ihm im Umlauf gewesen seien. „Manchmal zieht die ganze Familie deshalb um – doch das Video, das Bild ist schon da.“ Solche Fälle reichten bis zum Suizid des Kindes.

Von links: Claudia Heisel, Klassenlehrerin der 6b, Moritz Scherzer vom Verein „Bündnis gegen Cybermobbing“, ...
Von links: Claudia Heisel, Klassenlehrerin der 6b, Moritz Scherzer vom Verein „Bündnis gegen Cybermobbing“, Schulsozialarbeiterin Beate Link, Xenia Vox, Klassenlehrerin der 6b und Timo Eichenlaub, stellvertretender Schulleiter des Ellenrieder-Gymnasiums. Sie freuen sich über das Zertifikat „Wir alle gegen Cybermobbing“, das Moritz Scherzer übergab. Beate Link hatte durch den Themen-Abend geführt und die Fortbildung der Lehrer durch Moritz Scherzer organisiert. | Bild: Eva Marie Stegmann

„Wer kennt TikTok?“

Zuletzt ist Moritz Scherzer vom Karlsruher Projekt „Wir alle gegen Cybermobbing„ dran. Er hat die Lehrer und die Schulsozialarbeiterin in den vergangenen Monaten geschult und auch die Schüler informiert. „Wer kennt TikTok?“, fragt Scherzer in die Runde. Weniger als die Hälfte der Eltern meldet sich hin. Scherzer: „Normalerweise sind es noch weniger Eltern. Sie müssen sich über die neuen Medien informieren“, appelliert er. Gerne das eigene Kind fragen. Indem man das Kind zum Experten mache, fühle es sich wertgeschätzt und die Eltern bekämen eine Ahnung, was es online treibe.

Eltern sollen gutes Verhalten vorleben

Mütter und Väter sollen, so der Pädagoge, Kindern zeigen und vorleben, welche Aktivitäten man offline erleben könne. Risiken und Gefahren des Cybermobbings sollten regelmäßig angesprochen werden. So bekomme das Kind das Gefühl: Meine Mutter oder mein Vater kennt sich aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass es im Mobbingfall dann Rat bei den Eltern suche, wachse so, sagt Scherzer.

Das könnte Sie auch interessieren

Gut sei es, Mediennutzungszeiten festzulegen. Wichtig: Auch das eigene Nutzungsverhalten reflektieren. „Kinder ahmen Eltern nach!“, sagt Scherzer. Wer selbst ständig auf das Smartphone starre, habe es schwer, vom Nachwuchs zu verlangen, Smartphone-freie Zeiten einzulegen.

Zum Schluss lobt er die Ellenrieder-Schüler. Das eingerahmte Zertifikat „Wir alle gegen Cybermobbing„ übergibt er an die Schüler. Schulsozialarbeiterin Beate Link, die die Projekttage mitorganisiert hat, ist sehr zufrieden: „Wir wollen diese Projekttage gegen Cybermobbing beibehalten, je mehr Kinder und Lehrer geschult werden, desto besser.“

Weitere Infos unterhttp://www.bündnis-gegen-cybermobbing.de