Seit Anfang Januar befindet sich Markus Nabholz in Rente – nach einer 45jährigen Tätigkeit im Pflegeberuf. Über die Anforderungen sowie die gesellschaftliche Wertschätzung der Berufsgruppe wird nicht erst seit Corona diskutiert, allerdings hat die Pandemie das Bewusstsein für die Bedeutung der Pflege geschärft. In einer subjektiven Bilanz geht er auf den Wandel in einzelnen Bereichen nach einer Werteskala von eins bis zehn Punkten (eher schlecht bis eher gut) ein.
- Ausbildung damals und heute: Sie ist nach Wahrnehmung von Markus Nabholz nicht schlechter und nicht besser als früher – nur anders. Er vergibt sieben bis acht Punkte, was für eine relativ hohe Qualität spricht. Der Unterschied liegt laut Markus Nabholz in der Akademisierung: Früher sei es mehr auf die Praxis angekommen, heute gebe es andere Ausbildungsschwerpunkte – insbesondere in der Psychologie. Rücksichtnahmen beispielsweise auf die Besonderheiten von Religionszugehörigkeiten von Patienten seien früher selbstverständlich gewesen, heute würden sie geschult. Was er beim Vergleich des Berufseinstiegs damals und heute außerdem feststellt: Früher hatte der Aspekt der Berufung einen höheren Stellenwert.
- Ausstattung: Sie ist heutzutage deutlich besser (acht Punkte) als früher (drei Punkte). Den Pflegern stünden heute diverse Hilfsmittel zur Verfügung wie etwa Kran-Vorrichtungen, auch das Wissen über Techniken der Hilfen sei deutlich umfassender. Die Erleichterungen würden allerdings vielfach durch den Personalmangel beziehungsweise die im Vergleich zu früher höhere Zahl an Patienten pro Pfleger kompensiert. Beispiel: Zu Beginn seines beruflichen Werdegangs war Markus Nabholz in einer Nachtschicht für 30 Patienten zuständig, heute seien es 60 bis 70. Hinzu kommen deutlich längere Wege, weil die Krankenhausbauten architektonisch früher an anderen Parametern ausgerichtet waren. „Manche der Schwestern und Pfleger“, sagt Markus Nabholz, „kommen deshalb mit Tretroller zur Arbeit.“
- Verhältnis von Arzt und Pfleger: Es wird gefrotzelt und daran hat sich nichts geändert. Unter Pflegern kursiert laut Markus Nabholz zum Beispiel folgender Spruch: „Der Pflegeberuf könnte so schön sein, wenn es keine Ärzte gäbe.“ Tatsächlich aber bewege man sich heutzutage weit mehr als früher auf Augenhöhe, man wisse um die gegenseitige Abhängigkeit und arbeite im Team. Bei der Bewertung vergibt er deshalb sieben bis acht Punkte. Was sich jedoch geändert hat: Markus Nabholz hat früher Dienste verrichtet, bei denen man heutzutage mit einem Fuß im Gefängnis stünde – etwa wenn er Kontrastmittel spritzte. Dabei habe zum Beispiel die Gefahr einer allergischen Reaktion bestanden, doch da er darum wusste und ihm klar war, wie er seinerseits im Ernstfall damit umzugehen hätte, sei das kein Problem gewesen. Den Unterschied fasst er so zusammen: „Es ging früher darum, was man kann und was nicht. Heute ist entscheidend, wer zuständig ist.“
- Pfleger und Patient: Die Wertschätzung ist nach Einschätzung von Markus Nabholz früher höher gewesen. Dankbare Patienten gebe es noch immer, aber die Zahl von Beleidigungen bis hin zu Handgreiflichkeiten sei aber deutlich gestiegen. „Bei Wartezeiten in der Notaufnahme beispielsweise wurde früher mal rumgemault, heutzutage reagieren viele Menschen regelrecht aggressiv – und das macht auch vor Ärzten nicht Halt.“ Im Alltag sei eine Mentalität spürbar, bei der sich jeder selbst der Nächste sei. Und so sieht das konkret aus: Ein Patient hat Schmerzen, ihm soll ein Schmerzmittel verabreicht werden. Der Patient lehnt das aus prinzipiellen Erwägungen ab. Auf die Frage, wie man ihm ansonsten helfen könne, antwortet der Patient: „Woher soll ich denn das wissen, Sie sind doch vom Fach!“
- Medizinische Versorgung und Politik: Markus Nabholz spricht von einem gestörten Verhältnis und vergibt aktuell gerade noch drei Punkte – wobei er keine Unterschiede bei der Parteizugehörigkeit der Politiker macht. „Die Marktöffnung in der gewählten Form war falsch“, so seine Bilanz. Sie habe dazu geführt, dass rentable Bereiche des Gesundheitssystems verstärkt im Privatklinikbereich angesiedelt seien, während die öffentlichen Kliniken im Prinzip eine Infrastruktur für alle Bereiche vorzuhalten haben. Bitter reagiert Markus Nabholz auf die Zusicherungen aus der Politik, wonach es stets um das hehre Gut der Gesundheit ginge. In Wirklichkeit gebe es längst ein Ungleichgewicht zwischen Verwaltung und Medizin. „Es kann nicht sein, dass die Verwaltung sagt, was der Mediziner zu tun hat und letztlich bestimmt, welche Operationen gemacht werden und welche nicht.“ Das Missverhältnis ergibt sich für Markus Nabholz auch aus der Personalstärke und dem Raumbedarf für die Verwaltung. 1973 – bei der Einweihung des Konstanzer Krankenhauses – habe es vier oder fünf Büros mit acht, neun Verwaltungsangestellten gegeben. Heute sei die Verwaltung in einem dreistöckigen Gebäude untergebracht, hinzu kämen noch Räume im Klinik-Trakt.
- Corona und die Pflege: Die Pandemie bringt nach Einschätzung von Markus Nabholz auch die Klinik in Konstanz an ihre Kapazitätsgrenzen, im Vergleich zu anderen Häusern schneide man aber (noch) vergleichsweise gut ab. Das Pflegepersonal sei gleichwohl extrem gefordert. „Was viele Menschen nicht wissen: Ein Corona-Verdachtsfall erfordert vom Pflegepersonal erst einmal genauso viel Aufwand wie ein Infizierter.“ Zumal die psychische Belastung sei extrem hoch, da man stets mit einer Eigeninfektion und in der Folge mit der Ansteckung etwa von Familienangehörigen rechnen müsse. Sehr gute Noten gibt es von Markus Nabholz für die zivilgesellschaftliche Reaktion: Die Klatscher auf den Balkonen empfindet er zwar als eher peinlich, sehr gut kommen dagegen Blumen, Eis oder spontane Pizza-Anlieferungen an.