Wieder muss Robin Schellinger ins Konstanzer Amtsgericht. Diesmal ist er spät dran und macht einen zerstreuten Eindruck. Sein Blick ist angespannt, sein Gang hektisch. Heute steht der Strafprozess gegen die beiden jungen Mittäter an, die den Konstanzer bei einem Angriff im April 2021 traktiert haben sollen. Dabei geht es um Schläge mit einer Metallstange und dem Einsatz von Pfefferspray.

Robin Schellinger tritt als Nebenkläger auf. In dem Prozess geht es um gefährliche Körperverletzung, wie auf dem Sitzungsaushang des Amtsgerichts zu lesen ist. In einem vorherigen Prozess wurde bereits über den Angriff mit Schwefelsäure durch den Hauptangeklagten geurteilt.

Robin Schellinger im April 2021 mit einem von vielen Gesichtsverbänden – noch vor der Operation.
Robin Schellinger im April 2021 mit einem von vielen Gesichtsverbänden – noch vor der Operation. | Bild: Robin Schellinger | SK-Archiv
So sah Schellingers Gesicht vier Tage nach dem Säure-Angriff aus.
So sah Schellingers Gesicht vier Tage nach dem Säure-Angriff aus. | Bild: Robin Schellinger | SK-Archiv

Neben der Attacke mit Säure hat Schellinger bei dem Angriff auch Pfefferspray ins Gesicht bekommen und wurde mit einer Metallstange geschlagen, dabei sei ihm nach seinen Angaben die Augenbraue geplatzt. Daraufhin habe er sich, bereits überschüttet mit Schwefelsäure, in Sicherheit bringen wollen. Doch als er zur Flucht ansetzen wollte, bekam er einen weiteren Schlag auf den Hinterkopf. Die Narben an seiner linken Gesichtshälfte und seinem Hinterkopf sind bis heute deutlich erkennbar.

Schellingers Kleidung am Tattag: Obwohl er mehrere Schichten trug, fraß sich die Säure bis auf die Haut durch – bis heute trägt er ...
Schellingers Kleidung am Tattag: Obwohl er mehrere Schichten trug, fraß sich die Säure bis auf die Haut durch – bis heute trägt er Narben davon. | Bild: Robin Schellinger

Die beiden Angeklagten sind laut Gericht Brüder, einer ist heute 20, der andere 17 Jahre alt. Der Prozess beginnt mit einer Überraschung: Die Öffentlichkeit wird von der Verhandlung ausgeschlossen. Auf Anfrage des SÜDKURIER erklärt der zuständige Richter Franz Klaiber, dass dieser Beschluss am instabilen psychischen Zustand des jüngeren Angeklagten lag. Eine öffentliche Verhandlung hätte so nur eine zusätzliche Belastung dargestellt.

Rund sieben Stunden wird die Verhandlung dauern. So viel sickert durch: Der ältere Bruder soll für den Angriff mit Pfefferspray und Metallstange verantwortlich sein, der jüngere der beiden soll zwar am Tattag dabei gewesen sein, wurde jedoch nicht selbst tätlich.

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Nach der Verhandlung bestätigt Richter Franz Klaiber auf Nachfrage, dass die beiden Angeklagten verwarnt und mit einem Schmerzensgeld belegt wurden. Nähere Angaben machte er nicht. Nach Informationen des SÜDKURIER liegt dieses im niedrigen vierstelligen Bereich und könne in festgelegten Raten monatlich an Schellinger gezahlt werden – und bei finanzieller Not der Angeklagten auch verlängert werden.

Anwalt: „Wir akzeptieren das Urteil“

Der Verteidiger des älteren Bruders, Henning Stutz, Konstanzer Fachanwalt für Strafrecht, scheint mit dem Urteil des Amtsgerichts Konstanz erst einmal zufrieden zu sein. Gegenüber dem SÜDKURIER gibt er an, dass er und sein Mandant auf Rechtsmittel verzichten wollen. „Wir akzeptieren das Urteil“, so Stutz weiter.

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Der Verteidiger präzisiert auch das genaue Strafmaß für seinen Mandanten. So wurde nach seinen Angaben der inzwischen 20-Jährige wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Er muss Schmerzensgeld in Höhe von 2400 Euro an das Opfer zahlen. Darüber hinaus gehen 1500 Euro Schmerzensgeld an einen anderen Nebenkläger, der ebenfalls Pfefferspray abbekommen hatte. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Verteidigerin des jüngeren Bruders, der nicht direkt an der Auseinandersetzung beteiligt war, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Opfer ist vom Urteil enttäuscht

Am Tag nach dem Prozess äußert sich Robin Schellinger: „Ich fühle mich als Opfer verarscht.“ Mit diesem Urteil, so erklärt er, habe man ihm gegenüber wenig Verständnis gezeigt. „Durch die Schläge auf den Hinterkopf hätte ich im Rollstuhl landen oder sogar sterben können“, sagt er. „Und der, der es mir zugefügt hat, war nicht mal einsichtig. Er hat mich nicht ein einziges Mal angesehen – das ist einfach traurig und zeigt seinen Charakter.“

Schellinger sitzt in einem Café in der Niederburg. Er ist aufgebracht, immer wieder rutscht er auf seinem Stuhl auf und ab. Über die Tat und deren Folgen zu sprechen, fällt ihm nicht besonders schwer – dennoch ist es ein sensibles Thema für ihn. Noch immer ist Schellinger deshalb in neurologischer Behandlung, auch kosmetische Eingriffe werden folgen. „Ich will irgendwann unbedingt wieder Haare haben“, erzählt er.

Robin Schellinger mit seiner Gesichtskompressionsmaske. Täglich muss er sie tragen, um seine Narben straffen zu können. Allein die ...
Robin Schellinger mit seiner Gesichtskompressionsmaske. Täglich muss er sie tragen, um seine Narben straffen zu können. Allein die Herstellung dieser Maske hat laut Schellinger rund 5000 Euro gekostet. | Bild: Jannik Höntsch

Noch immer träfen ihn täglich Blicke von Passanten, teils empfindet er diese als mitleidig, teils als verurteilend. Schellinger musste lernen, damit umzugehen. Heute klappt das besser, wie er sagt. Kurz nach dem Säureangriff war das anders. Damals seien teilweise Kinder weinend vor ihm weggerannt, weil sie sich vor seinem Gesicht fürchteten. „Das tat so weh, das hat mich echt mitgenommen“, sagt er. Ab Ende Juni begibt sich Schellinger in psychologische Behandlung.

Sein Schicksal endgültig zu akzeptieren, fällt ihm nicht so leicht, wie darüber zu sprechen. „Schon tausend Mal habe ich damit gehadert, warum dieser Angriff genau mich treffen musste“, sagt er. „Manchmal liege ich alleine in meinem Zimmer, dann rattert alles durch meinen Kopf. Ich träume davon, wie das passiert ist oder was sonst noch alles hätte passieren können.“ Zudem sei er ängstlicher geworden, so berichtet es sein Umfeld. Früher sei er ein ganz normaler Junge aus dem Pfeiferhölzle gewesen.

Er will nun endlich nach vorn blicken

All die Gerichtstermine sowie der Zivilprozess, der noch aussteht, und die medizinischen Behandlungen und Medienauftritte haben Schellingers Leben auf den Kopf gestellt. Trotzdem tritt er in den vergangenen Monaten immer wieder öffentlich auf. Der 22-Jährige will anderen mit seiner Geschichte Mut machen.

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Er möchte ein mediales Sprachrohr für Opfer von Säureangriffen sein. Eine Rolle, die er annimmt, sich aber nie selbst aussuchte. Dennoch wirkt er selbstbewusst, er will nach vorne schauen: Erst seine Ausbildung fertig machen, später mit seiner Freundin zusammenziehen. Und wenn alles gut läuft, dann will er dem noch ein Medizinstudium anschließen. Robin Schellinger will viel für seine Zukunft – und nur eines auf gar keinen Fall: aufgeben.