Nach der Rettungsaktion verliert sich seine Spur. Valon Kelmendi hat gerade sein Leben riskiert und damit dazu beigetragen, dass zwei schwer pflegebedürftige Menschen den Brand in der Konstanzer Hardtstraße überleben. Jetzt steht er vor dem Gebäude und fragt einen Feuerwehrmann, ob er noch irgendwie helfen könne. Der Mann verneint, also setzt sich Valon Kelmendi auf sein Rad. Er will seinen geplanten Tagesablauf fortsetzen und macht sich auf den Weg in ein Reichenauer Sportstudio.

Weit kommt er nicht. In der Brandenburgerstraße wird ihm übel, Schwindel befällt ihn, überall im Körper beginnt es zu kribbeln und der 31-Jährige muss sich übergeben. Was tun? Valon Kelmendi, gestützt aufs Rad, begibt sich zurück in die Hardtstraße, hofft hier auf Hilfe. „Alles hat sich gedreht“, erinnert sich Valon Kelmendi, „ich war wie betrunken.“ Zurück am Brandort versagt auch noch Stimme. Das Letzte, was er über die Lippen bringt, ist „Feuerwehr“. Eine Frau reagiert und bringt ihn zu einem der Helfer.

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Dieser erkennt Valon Kelmendi wieder, weil die beiden während des vorangegangenen Einsatzes für einen kurzen Moment Augenkontakt haben. Von Feuerwehrmännern gestützt wird Valon Kelmendi zu einem Krankenwagen gebracht. Er bekommt Sauerstoff und wird in die Klinik nach Singen gebracht, wo eine schwere Rauchvergiftung diagnostiziert wird. Zum Glück erholt sich der Verletzte schnell, am Abend kann er die Klinik wieder verlassen.

Zur Vorgeschichte

Rückblende: Am Tag des Brands am 9. April ebenso wie bei der Recherche an den beiden folgenden Tagen geben die Angaben von Zeugen und Helfern einige Rätsel auf. Erzählt wird vom selbstlosen Einsatz von Nachbarn und zufälligen Passanten, wobei sich eine Angabe skurril anhört. Sie stammt von Nikolaus Faller, ein Anwohner des Pflegeheims, der ebenfalls noch vor Eintreffen der Feuerwehr an der Rettung der Bewohner beteiligt ist.

„Da kam ein junger Mann aus dem Kosovo auf dem Fahrrad vorbei“, sagt er, „ist an der Fassade hoch und hat im obersten Stock ein Fenster aufgebrochen.“ Nikolaus Faller, der früher in der Feuerwehr aktiv war und deshalb über einige Branderfahrung verfügt, ist überzeugt, dass nur so das Leben der beiden noch in den Zimmern befindlichen Bewohner gerettet werden konnte. Wer dieser rätselhafte Mann aus dem Kosovo sei? Das weiß Nikolaus Faller nicht, aber seine Eltern leben angeblich irgendwo in der Nachbarstadt und sein Fahrrad stehe noch irgendwo rum.

Die im SÜDKURIER veröffentlichte Geschichte über den Brand und die Rettungsaktion wird in der Folge Gesprächsthema im Viertel, schließlich meldet sich eine Leserin. Sie wisse, um wen es sich bei diesem ominösen Mann auf dem Rad handle, und so kommt schließlich der Kontakt zustande. Tage später sitzt Valon Kelmendi auf der Terrasse seines Elternhauses in der Fürstenbergstraße und erzählt seine Geschichte.

„Man muss doch helfen“

Die gute Nachricht: Dem 31-Jährigen geht es gut, sowohl körperlich als auch seelisch. Das ist nicht selbstverständlich, dem Heimleiter Michael von Thile beispielsweise setzen die Gedanken an die Ängste der Bewohner noch Tage nach dem Unglück sichtlich zu. Valon Kelmendi dagegen geht vollkommen unaufgeregt mit dem Erlebnis um, und dass er ein Held und Lebensretter ist, kommt ihm nicht in den Sinn. „Was will man in so einer Situation denn machen?“, sagt er, „man muss doch helfen.“

Und dann erzählt er. Er lacht, als er hört, dass er in den ersten Hinweisen als junger Mann aus dem Kosovo, der auf dem Rad vorbeikommt, beschrieben wird. Wahr daran sei, dass er im Kosovo geboren ist, doch schon seit 1994 leben die Eltern nach Konstanz – Valon Kelmendi ist da vier Jahre alt. Er fühlt sich als Konstanzer durch und durch, weshalb der selbstständige Leiter einer Vertriebsagentur in Bonn voraussichtlich schon bald an den See zurückkehrt.

So selbstverständlich, wie Valon Kelmendi sagt, sind der Mut und die Selbstlosigkeit in einer Extremsituation wie beim Brand in der Hardtstraße freilich nicht. Brandgeruch nimmt schon bei der Annäherung auf das Gebäude wahr, am Ort erfährt er auf Nachfrage, dass sich im Haus bettlägrige Menschen befinden. Der Rest, sagt er, passiert rasend schnell und ohne Nachdenken.

Schwierige Rettungsaktion

Valon Kelmendi gelangt über eine Leiter zum obersten Stock, wirft sich hier gegen eine Balkontür zu einem Zimmer, in dem sich eine Frau befindet. Tatsächlich springt die Tür auf, ein Schwall heißen und tief schwarzen Rauchs trifft den 31-Jährigen wie eine Wand. Er bemerkt, dass am Boden in eine Höhe von 30 bis 40 Zentimeter der Rauch nicht ganz so dicht ist und versucht kriechend ins Zimmer zu gelangen. „Ich habe aber gemerkt, dass ich keine Chance habe“, berichtet er, „und ich dachte nur: Ich bete für die Frau.“ Immerhin, durch die Tür zieht der Rauch ab, die Frau kann wenig später von der Feuerwehr gerettet werden.

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Auf dem Rückweg versucht Valon Kelmendi vom Balkon des ersten Stocks erneut, ins Innere des Hauses zu gelangen. Das gelingt ihm, auch hier kann der Rauch durch die einsetzende Kaminwirkung abziehen. Zu sehen aber ist nichts, und so tritt Valon Kelmendi auch hier den Rückzug ab. Draußen auf dem Balkon bemerkt er eine Bewohnerin, die offensichtlich friert. Der Retter gibt ihr seine Jacke, dann wird sie von der Feuerwehr aus der Gefahrenzone gebracht.

Der Rest spielt sich wie beschrieben ab: Valon Kelmendi fragt, ob er noch irgendwie könne, dann will er mit dem Rad zum Sportstudio. An eines erinnert er sich dann allerdings doch noch sehr genau und es ist wichtig. Als er im Krankenwagen liegt, berichtet eine Sanitäterin, dass alle überlebt haben. Wenn er seine Gefühlslage während der Rettungsaktion beschreiben soll, dann ist das für ihn irgendwie ein Cocktail mit hohen Anteilen an Sorge und Enttäuschung über die begrenzten Möglichkeiten – auf der Liege aber, im benommenen Zustand, ist es pures Glück.