Hubert Böttcher drückt vorsichtig eine dunkelrote Traube zwischen den Fingern, bis ein Tropfen Saft herausläuft. Den streicht er auf ein Gerät und hält es sich dann vor ein Auge. Eine blaue Skala zeigt sofort die Zahl 90 an.

Ein Tropfen Traubensaft reicht dem Refraktometer, um den Zuckergehalt zu messen. Er wird in der Maßeinheit Grad Oechsle angegeben, nach ...
Ein Tropfen Traubensaft reicht dem Refraktometer, um den Zuckergehalt zu messen. Er wird in der Maßeinheit Grad Oechsle angegeben, nach ihrem Erfinder Ferdinand Oechsle. | Bild: Kirsten Astor

„Das Refraktometer misst das Mostgewicht beziehungsweise den Zuckergehalt der Traube“, erklärt Böttcher, einer der beiden Pächter der Konstanzer Spitalkellerei. Je höher diese Zahl, desto größer wird später der Alkoholgehalt des Weines.

Einige Früchte bleiben hängen

Der Winzer steht bei blauem Himmel in den Weinreben unterhalb des Bismarckturms. Die Weinlese hat begonnen, die Helfer aus Polen und Rumänien arbeiten sich fleißig von Rebstock zu Rebstock und schneiden die reifen Trauben ab. Dennoch bleiben einige Früchte hängen. Warum? „Die wachsen an so genannten Geiztrieben“, erklärt der Pächter. Das sind Seitentriebe, deren Trauben dichter aneinander kleben und später reifen.

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Das Refraktometer zeigt bei diesen Trauben nur ein Mostgewicht von 70 an. „Sie haben auch viel mehr Säure und sind deshalb für unseren Wein nicht geeignet“, so Böttcher. Trotzdem werden irgendwann auch diese Früchte geerntet: „Die in der Nähe wohnenden Kleingärtner holen sich die Trauben zum Saftmachen.“

Sorin Boscor, Gheorghe Ciorogar, Arpad Fekete und Ödön Fekete (von links) aus Rumänien gehören zu den Lesehelfern, die für die ...
Sorin Boscor, Gheorghe Ciorogar, Arpad Fekete und Ödön Fekete (von links) aus Rumänien gehören zu den Lesehelfern, die für die Spitalkellerei Konstanz derzeit die Trauben von den Reben schneiden. | Bild: Kirsten Astor

Hubert Böttcher blickt über die vielen voll hängenden Rebstöcke. „In diesem Jahr hatten wir im Sommer die meisten Sonnenstunden seit der Aufzeichnung, sogar mehr als im Supersommer 2003“, sagt er. „Das schafft eine gewisse Grundqualität für den Wein.“ Doch entscheidend für dessen Güte sei auch die Zeit der Lese: Da findet die Reife statt. „Leider hat uns das Wetter in den vergangenen zwei Wochen etwas im Stich gelassen, wir hatten viel Niederschlag.“

Hubert Böttcher, einer der beiden Pächter der Spitalkellerei Konstanz.
Hubert Böttcher, einer der beiden Pächter der Spitalkellerei Konstanz. | Bild: Kirsten Astor

Böttchers Fazit für den diesjährigen Jahrgang: „Wir erwarten einen sehr guten Ertrag. Und der Müller-Thurgau, der schon im Keller verarbeitet wurde, stellt sich sehr fruchtig dar. Auch der Säuregehalt ist harmonisch.“ Erstmals komme auch ein nennenswerter Ertrag der Sorte Sauvignon Blanc zusammen, dessen Reben vor drei bis vier Jahren am Bismarckturm gepflanzt wurden.

Die Spitalkellerei erwartet in diesem Jahr rund 140.000 Liter Wein aus ihren 22 Hektar Anbaugebiet in Konstanz und Meersburg. „Es wird ganz gut hinkommen, dass der letztjährige Wein zur Neige geht, wenn ab März 2023 der neue Jahrgang in den Verkauf kommt“, meint Böttcher.

Apropos Verkauf: Die beiden Pächter Hubert Böttcher und Stephan Düringer konnten endlich eine Idee umsetzen, die sie schon vor einigen Jahren hatten: Der Verkaufsraum in der Brückengasse wurde komplett renoviert. Investiert hat die Spitalstiftung dafür eine sechsstellige Summe. „Früher gab es dort eine Heraklithdecke und einen Industrieboden, auf den eine Theke gestellt wurde. Wir haben nun einen Eichenholzmassivboden und eine Decke aus Fichtenholz, auch die Möbel sind neu“, sagt Böttcher.

Zweites Leben für alte Fässer

Handwerksbetriebe aus der Region machten aus ehemals drei Räumen einen großen, außerdem entstand ein neuer Besprechungstisch. „Die Präsentationstische haben jetzt Rollen, sodass sie bei Bedarf an die Seite geschoben werden und auch Weinproben im Verkaufsraum stattfinden können.“

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Ursprünglich waren die Umbauarbeiten auf zwei Monate ausgelegt, gedauert haben sie rund fünf Monate. „Auf dem Bau kommt es ja immer zu Überraschungen“, sagt Hubert Böttcher lachend. Besonders schön findet er, dass einige alte Weinfässer ein zweites Leben erhielten: Aus den vom Rotwein gefärbten Dauben, also Holzplanken, entstand eine Art Regal, in dem Weinflaschen präsentiert werden.

Ende des Jahres betreiben Böttcher und Düringer das Weingut schon seit 20 Jahren. Und sie wollen in die Verlängerung gehen: Zehn weitere Jahre wären ihr Wunsch, der Pachtvertrag mit der Spitalstiftung ist in Vorbereitung. Dann soll auch endlich Biowein angebaut werden, wie die Stiftung es schon vor drei Jahren angekündigt hatte.

Diese Trauben sind schon geerntet, aber die Weinlese fängt gerade erst an. Es gibt noch viel Arbeit.
Diese Trauben sind schon geerntet, aber die Weinlese fängt gerade erst an. Es gibt noch viel Arbeit. | Bild: Kirsten Astor

„Wir würden aber nicht komplett auf Biowein umstellen, sondern wahrscheinlich erstmal mit Grau- und Spätburgunder auf den Flächen im Sierenmoos beginnen“, sagt Hubert Böttcher. Denn die klimatischen Bedingungen seien nicht einfach für den Bioweinanbau. Hohe Luftfeuchtigkeit und zunehmend hohe Temperaturen begünstigten den Pilzbefall der Rebstöcke.

Die Angst vor dem Totalausfall

„Letztes Jahr war das massiv, da hatten Demeter-Betriebe einen Totalausfall ihrer Ernte“, sagt der Pächter. Die Spitalkellerei habe mit konventionellen Mitteln einen Teil des Ertrags retten können. Seit Mitte 2019 verzichtet sie auf den Unkrautvernichter Glyphosat und testete auf einem Teilgebiet den rein biologischen Pflanzenschutz.

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„Da riefen dann verunsicherte Anwohner an und fragten, warum wir so oft in die Reben fahren“, sagt Böttcher. In diesem Jahr erledigt sich das Problem fast von selbst: Die Trockenheit verhinderte weitgehend den Pilzbefall.