Acht Frauen gehen langsam auf die Zollernstraße zu. Eine von ihnen möchte die Brandstelle nicht sehen, sie stellt sich mit dem Rücken zum Haus Nummer 10. „Ich kann auch nicht darüber reden“, sagt sie, die viele Jahre lang in dem Jugendstilhaus lebte, mit Tränen in den Augen.

Auch die anderen sieben gehören zu den Bewohnern, die bis vor einer guten Woche in dem Haus lebten, das in der Nacht auf Donnerstag, 25. Juli, teilweise ausbrannte. Eine von ihnen ist die 78-jährige Viola Telge, deren Wohnung weit oben lag.

„Wenn mich meine Nachbarin von unten nicht mit Nachdruck aus der Wohnung gezogen hätte, wäre es für mich vielleicht zu spät gewesen“, sagt sie. „Ich habe den Ernst der Lage nicht erkannt.“ Dies ist nur eines der Beispiele für den unglaublichen Zusammenhalt der Hausgemeinschaft, auch über Generationen hinweg.

Die Zollernstraße ist wieder für Fußgänger freigegeben. Viele Bürger und Touristen schauen sich die Stelle an, aber auch viele ehemalige ...
Die Zollernstraße ist wieder für Fußgänger freigegeben. Viele Bürger und Touristen schauen sich die Stelle an, aber auch viele ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner zieht es immer wieder hierher zurück. So sagt Michaela Schmidt: „Ich drehe jeden Tag hierher eine Runde.“ | Bild: Kirsten Astor

„Am Mittwochabend vor dem Brand saßen viele von uns noch zusammen vor dem Haus“, erzählt die ehemalige Bewohnerin Michaela Schmidt. Viola Telge ergänzt: „Ohne diese helfende Hausgemeinschaft hätte ich schon längst ausziehen müssen. Ich habe 44 Jahre lang dort gewohnt.“ Übergangsweise ist sie in einer Wohnung untergebracht, die die Stadtverwaltung ihr besorgte. Viele andere Betroffene sind bei Freunden und Bekannten untergekommen.

Sie alle wollen noch zwei Dinge loswerden: Erstens in großes Dankeschön an die Einsatzkräfte und weitere Helfer, die eigene Hausverwaltung, ihren Vermieter Christian Stadler und die Konstanzer. „Diese Hilfsbereitschaft berührt mich sehr“, sagt Michaela Schmidt.

Coni Heger ergänzt: „Besonderen Dank dem jungen Mann aus der Nachbarschaft, der uns durch unermüdliches Klingeln aus dem Schlaf geholt hat. Ohne ihn wären wir sicher nicht heil aus dem Haus gekommen. Leider kennen wir seinen Namen nicht.“

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Und zweitens möchten sie ihre Enttäuschung zum Ausdruck bringen. „Die Verwaltung hat viel für uns getan, aber es wäre eine schöne Geste gewesen, wenn Oberbürgermeister Uli Burchardt persönlich uns ins Rathaus eingeladen hätte“, sagt eine Betroffene.

Klavier, Laptop, alles verbrannt

Während Michaela Schmidts Wohnung noch steht (allerdings existiert ihr Treppenhaus nicht mehr), ist das ehemalige Zuhause von Ina Keller zerstört. Als sie in der Brandnacht kurz vor halb zwei Uhr aufwachte, konnte sie die Geräusche und Gerüche zuerst nicht einordnen.

„Da Weinfest war, wusste ich nicht, ob es damit zusammenhängt“, erzählt die 39-Jährige, die seit neun Jahren im dritten Stock wohnte. „Doch als Bürger bei uns klingelten und sagten, es komme Rauch aus dem Innenhof, habe ich meine Mitbewohnerin geschnappt und wir sind auf die Straße gerannt. Da war das Treppenhaus schon sehr verraucht, kurz später kam die Feuerwehr.“

Die Feuerwehr versuchte alles, um das Feuer in der Zollernstraße zu löschen, doch immer wieder glimmten Glutnester auf. Der Einsatz ...
Die Feuerwehr versuchte alles, um das Feuer in der Zollernstraße zu löschen, doch immer wieder glimmten Glutnester auf. Der Einsatz dauerte letztlich viereinhalb Tage lang. | Bild: Feuerwehr Konstanz

„Feuer war anfangs nicht zu sehen, deshalb dachte ich, dass das sicher gut ausgehen würde.“ Wie sehr Ina Keller sich täuschen sollte, wurde ihr kurz später klar, als immer mehr Feuerwehrleute und ein Hubschrauber kamen. „Zuerst habe ich mich geärgert, dass ich vor dem Rausrennen nur mein Handy geschnappt habe. Aber dann überwog die Erleichterung darüber, dass niemandem etwas passiert ist.“

Unter anderem gingen ihr Klavier, der Laptop und die professionelle Fotoausrüstung der Fotografin in Flammen auf. Doch auch Ina Keller spricht von der großen Welle der Hilfsbereitschaft: „Es ist schön, dass uns viele Menschen sehr zugewandt sind.“

Das Ausmaß der Zerstörung wird erst aus der Luft sichtbar.
Das Ausmaß der Zerstörung wird erst aus der Luft sichtbar. | Bild: Drohneneinheit Landkreis Konstanz

„Unsere Welt steht Kopf, aber wir sind noch da“

Als Nadja Griehl in jener Nacht zur Brandstelle kam, bot sich ihr bereits ein anderer Anblick. Griehl ist eine der drei Geschäftsführerinnen von Bent Sörensen und war mit ihren Kolleginnen Anja Jehle und Birte Hübner kurz nach vier Uhr vor Ort.

Die Geschäftsführerinnen vermuteten sofort, „dass es was Größeres ist“. Nadja Griehl sagt: „Dann kam der Schock dazu.“ Ihr Geschäft, das sie erst vor einem Jahr vom Ehepaar Solveig und Bent Sörensen übernommen hatten, existiert so nicht mehr.

(Archivbild) Vor einem Jahr, im August 2023, strahlten Birte Hübner (rechts), Anja Jehle (Mitte) und Nadja Griehl (Zweite von links), ...
(Archivbild) Vor einem Jahr, im August 2023, strahlten Birte Hübner (rechts), Anja Jehle (Mitte) und Nadja Griehl (Zweite von links), denn sie hatten gerade das Einrichtungshaus in der Zollernstraße von Bent und Solveig Sörensen übernommen. Hier saßen sie im Innenhof, der durch das Feuer zerstört wurde. | Bild: Scherrer, Aurelia | SK-Archiv

„Im Hinterhaus, das abgerissen werden musste, war unsere größte Möbelausstellung“, sagt Nadja Griehl. Nun sind die drei Frauen im Gespräch mit den Versicherungen, um den verlorenen Wert zu ermitteln, der auf 1000 Quadratmetern Verkaufsfläche stand.

„Wir kamen sehr schnell mit Laptop und Telefon in einem kleinen Büro unter und können laufende Aufträge abwickeln“, betont Griehl. „Aber wir freuen uns auch über neue Aufträge“, so die 39-Jährige. Am Bauzaun haben sie ein Schild mit der Aufschrift aufgehängt: „Unsere Welt steht Kopf, aber wir sind noch da!“

„Unsere Welt steht Kopf, aber wir sind noch da!“, schreiben die Geschäftsführerinnen des Möbelhauses Bent Sörensen auf einem Schild am ...
„Unsere Welt steht Kopf, aber wir sind noch da!“, schreiben die Geschäftsführerinnen des Möbelhauses Bent Sörensen auf einem Schild am Bauzaun vor dem Haus an der Zollernstraße 10. Darauf bedanken sie sich auch für den großen Zuspruch der Konstanzer. | Bild: Kirsten Astor

Wie es mit den Verkaufsflächen weitergeht, wissen die drei Kolleginnen noch nicht. „Zu gegebener Zeit werden wir bestimmt eine gute Idee haben“, sagt Nadja Griehl. „Jetzt ist erstmal wichtig, dass wir nicht den Kopf verlieren.“

Auch sie betont den guten Zusammenhalt in der Zollernstraße. „Wir bekommen außerdem viele tolle Mails, das hilft uns emotional sehr. In einer stand, es sei zwar ein Haus zerstört worden, aber keine Träume.“

Hausbesitzer will in die Zukunft blicken

Christian Stadler möchte ebenfalls nicht den Mut verlieren. Das größte Glück ist für den Hauseigentümer, dass es den Bewohnern und Hilfskräften den Umständen entsprechend gut gehe. „Außerdem können wir froh sein, dass die Fassade noch steht und die Brandwand gehalten hat“, sagt der 52-Jährige.

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Seit dem Brand ist der Leiter des Stadler-Verlags täglich vor Ort, viel geschlafen hat er nicht. Christian Stadler sagt: „Wir haben im Moment nur Fragen, keine Antworten.“ So ist die genaue Schadenssumme noch nicht ermittelt, aber er stehe in Kontakt mit den Versicherungen. „Wenn das Gebäude wieder freigegeben ist, müssen wir feststellen, wie es innen aussieht. Das wird nochmal heftig.“

Besonders hart getroffen habe es seinen Vater Michael Stadler, Mitbesitzer des Hauses. „Er ist 87 Jahre alt und hat noch Erinnerungen an das Haus als Verlagsgebäude. Mein Vater sieht noch nicht den Wiederaufbau.“ Sein Sohn dagegen sagt: „Es muss weitergehen. Wir möchten das Gebäude wiederherstellen, in welcher Form auch immer.“

„Es muss irgendwie weitergehen. Wir möchten das Gebäude wiederherstellen, in welcher Form auch immer“, sagt Hauseigentümer Christian ...
„Es muss irgendwie weitergehen. Wir möchten das Gebäude wiederherstellen, in welcher Form auch immer“, sagt Hauseigentümer Christian Stadler. | Bild: Kirsten Astor

Auch er möchte ein riesiges Dankeschön an alle loswerden, die in irgendeiner Form geholfen haben. Die Gefühle überrollen ihn „in Wellenbewegungen“, sagt Stadler und ergänzt: „Es hilft aber zu sehen, wie verdammt viel wir in einer guten Woche schon geschafft haben.“