Herr Stöß, das fasnächtliche Brauchtum strotzt vor Symbolkraft. Wofür steht der Narrenbaum?
Der Narrenbaum gilt als Stammbaum aller Narren und wurde im 15. Jahrhundert geboren. Nach Werner Metzger ist er möglicherweise auf das „Blockziehen“ zurückzuführen, einem Brauch, der bereits für das 15. Jahrhundert urkundlich belegt ist. Dabei handelte es sich um einen Spottumzug, bei dem die unverheirateten Mädchen und die alten Jungfern einen Baumstamm durch die Straßen ziehen mussten, aus dem sich vielleicht ein Mann für sie schnitzen ließe. Da machen wir wohl seit Jahren etwas falsch. Bei uns ziehen meistens die Männer den Baum.
Heut zu Tage dient der Narrenbaum als Herrschaftssymbol der Narren und wird meistens an einem zentralen Platz des Ortes aufgestellt. Getreu dem Sprichwort „einen Baum aufstellen“ – sich bewusst den Regeln widersetzen – versinnbildlicht der Narrenbaum den Widerstand gegen (Staats-)Gewalt und (Rechts-)Ordnung. Denn während der Faschingszeit gilt die Narrenfreiheit und gesellschaftliche Regeln und Normen werden vom närrischen Volk außer Kraft gesetzt. Oder einfach der Stammbaum aller Narren.

Ihr Schneckenbürgler habt ja das Monster-Narrenbaumstellen erfunden. Warum eigentlich?
Weil wir es leid waren, ab Schmotzigen Dunschtig um 14 Uhr aus der Innenstadt wieder nach Petershausen zu ziehen, um dort vor den eigenen Mitgliedern und vielleicht 30 Zuschauern unseren Narrenbaum zu stellen. Außerdem war zu dieser Zeit am Fasnachtsfreitag absolut nichts los.
Verständlich, denn in der Innenstadt ist ja normalerweise am meisten los. Wann war die Premiere?
Die Premiere? Da muss ich doch mal überlegen. Also ich weiß, dass wir an der Fasnacht 2012 einen Jubiläumsorden 90 Jahre Schneckenburg hatten. Und auf diesem Orden war auch das Narrenbaumstellen erwähnt. Das könnte das 10-jährige gewesen sein. Also fand am Freitag, den 8. Februar 2002 das erste Monster-Nachtnarrenbaumstellen statt.
Normalerweise werden Narrenbäume am Schmotzige Dunschtig gestellt. Warum habt ihr euch den Toten-Freitag ausgesucht?
Du hast die Antwort ja schon in deiner Frage selbst gegeben. Weil der Freitag einfach tot war. Außerdem wären an einem anderen Tag nicht so viele Vereine verfügbar. Inzwischen trifft sich alles, was an der Konstanzer Fasnacht Rang und Namen hat beim Nachtumzug.
Die Schneckenbürgler haben sich immer gerühmt, den Größten zu stellen. Warum ist es so wichtig, den Längsten zu haben?
Oh je! Da hätte ich jetzt fast was politisch Unkorrektes geantwortet Das war eher eine Antwort auf das Geprahle der Stockacher Narren. Wir wussten, dass die aus Sicherheitsgründen keine so großen Bäume mehr stellen durften. Und so haben wir damals beschlossen, einen größeren zu stellen. Inzwischen sind wir da aber auch vernünftiger geworden. Das machte sogar in Stockach die Runde und im dritten Jahr war dann auch eine Abordnung des Hohen Grobgünstigen Narrengericht zu Stocken bei uns beim Narrenbaumstellen zum Nachmessen.
Habt Ihr den Schneeschreck nur gegründet, um einen weiteren Contest zu gewinnen, wenn es darum geht, wen an regnerischen Tagen der strengste Geruch umgibt?
Nun, als die Idee für den Schneeschreck entstanden ist waren wir uns einig, dass dieser drei Grundvoraussetzungen mitbringen musste. Erstens: Er muss hässlich sein und die Leute in Angst und Schrecken versetzten. Damit das nicht zu schlimm wurde haben wir uns für eine Holzmaske entschieden. Zweitens: Er muss richtig Krach machen und laut sein. Ich denke auch das haben wir geschafft. Und drittens: Er muss stinken. Auch das ging in Erfüllung. Durch die Verwendung von Heidschnuckenfellen und ständigem Tragen derselben.
So viele Riesentannen gibt es nicht. Wie kommt ihr zum längsten Baum?
Man nehme eine kleine Fichte, fällt sie im Wald, suche ungefähr 40 starke Männer, jeweils 20 an jedem Ende und zieht kräftig daran. Sollten die Männer nicht stark genug sein, fällt man halt einen großen und einen kleinen Baum.

Das heißt: Ihr mogelt! Was sind die Qualitätsmerkmale eines Baukasten-Baums?
Wir mogeln nicht immer. Es gibt auch Bäume, die an die 34 bis 35 Meter herankommen. Aber größere Bäume, die natürlich gewachsen sind, kann man kaum stellen. Die sind schlichtweg zu dick und zu schwer. Gut, es gäbe eine Möglichkeit. Mein Traum war es schon immer einen großen 42 Meterbaum mit dem Hubschrauber zu stellen. Ich hatte auch schon informell eine Anfrage beim Oberbürgermeister gestellt. Der hat mich, glaube ich, nicht ernst genommen, beziehungsweise war nicht sehr erfreut darüber.
Die Qualitätsmerkmale eines Baukasten-Baums: möglichst gerade und schlank gewachsen. Das obere Ende des ersten Baumes sollte leicht dicker oder gleich dick sein wie das untere Ende des zweiten Baumes. Und man sollte oben und unten nicht verwechseln. Sieht sonst komisch aus.
Wie viele starke Männer braucht es, um den Monsterbaum aufzurichten?
Das kommt auf die Größe an. Aber im Schnitt zwischen 35 und 40 Holzhauer aus Allensbach. Nach dem Trainingslager braucht es vielleicht nur noch 20.
Gab es dabei einmal eine brenzlige Situation?
Ja, leider mussten wir auch einmal eine heikle Situation überstehen. Das lässt sich beim Narrenbaumstellen nie zu 100 Prozent ausschließen. Es kann immer mal eine Schwalbe (Anm.d.Red.: Holzstangen zum Aufrichten des Narrenbaums) brechen oder sonst ein Fehler passieren. Darum ist es unverständlich, dass es immer wieder Zuschauer gibt, die beispielsweise durch die Absperrung laufen wollen, um sich Umwege zu sparen.
Uns ist im Jahr 2007 der Dolden abgebrochen. Ungefähr zwei Meter oberhalb der Stelle, an der der Baum zusammengestückelt war, brach der Baum. Gott sei Dank haben alle Sicherungsmaßnahmen funktioniert. Dank der Doldensicherung blieb das Stück am Stamm hängen und dadurch konnte vermieden werden, dass der Baum aus den Schwalben sprang. Mit Hilfe eines Krans, der immer zur Sicherheit vor Ort ist, konnten wir dann den reparierten und stark verkürzten Baum dennoch stellen.

Dass das Narrenbaumstellen mitsamt Umzug in diesem Jahr aufgrund der Corona-Verordnungen entfällt, ist klar. Stellt ihr wenigstens Corona-konform einen kleinen?
Nun, das erweist sich als sehr schwierig. Die Größe eines Baumes, der Corona-konform stellbar wäre, würde aus unserem Narrenbaumloch gar nicht rausschauen. Das ist einfach zu tief. Jedoch haben die Bürger von Petershausen uns geholfen, denn aktuell liegen genug Bäume auf dem Gottmannplatz herum. Sozusagen ein Bausatz. Wir müssen die nur noch zusammenzimmern
Was machen jetzt die Holzer, die wegen euch arbeitslos sind. Wie sieht die Schneckenburg-Soforthilfe aus?
Als erstes möchte ich mich bei der Allensbacher Holzhauergilde mal auf diesem Weg bedanken. Die Zusammenarbeit ist hervorragend. Wenn sie auch immer ein Stück vom Baum absägen. Aber das ist so Brauch. Wir haben die Holzer in ein Trainingslager geschickt. Wir werden unseren Jubiläumsbaum nun halt im nächsten Jahr stellen lassen. Und bis dorthin müssen sich die Jungs noch ein paar Muckis antrainieren. Wobei das jetzt schon kräftige Holzer sind. Sonst wäre die Aufgabe, solche Bäume zu stellen, gar nicht zu bewältigen.
Sollte 2022 wieder ein Narrenbaumstellen möglich sein: Mit was für einem Exemplar werdet ihr auftrumpfen, schließlich müsste ihr ja noch euer 100-jähriges Jubiläum nachfeiern?
Nun pro Jahr ein Meter. Es ist nur noch nicht raus, ob in der Höhe oder in der Breite. Das kommt natürlich auch auf die allgemeine Wetterlage an.
Wie sieht das Narrenbaumsetzen im Jahr 2050 aus?
Bis dorthin wird ein hydraulisch ausfahrbarer Narrenbaum gesetzt, auf dem ein Weihnachtsbaum gebunden wird. Richtige Narrenbäume sind dann, wenn es so weiter geht, im Wald gar nicht mehr zu finden. Die werden gar nicht mehr so alt.
Mit welchen Narrenbaumrekorden können die Schneckenbürgler auftrumpfen?
Wir setzen seit 1954 jedes Jahr einen Narrenbaum. Zusammen waren das 2252 Meter.
Ein schickes Rechenexempel. Wie lang war der längste Einzelbaum?
Wir hatten in einem Jahr einen Baum mit insgesamt 77 Meter. Die Holzhauer hatten 42 Meterstäbe an den Baum gebunden und der Baum selbst war 35 Meter lang. Im Ernst: Der längste Baum in unserer Geschichte hatte auf dem Umzugsweg noch 42 Meter. Dann sind auf dem Weg einige Meter verloren gegangen. Nein, dann wurde er am Loch von den Holzhauern um zwei Meter gekürzt. Grund war, dass die Holzer ein Jahr später, beim Jubiläum in Allensbach, einen 40 Meter-Baum setzen wollten.