Der Mann, der einen anderen rettete und selbst zum Opfer wurde, nuschelt beim Interview. Kein Wunder angesichts mehrerer Platten und Schrauben am rechten Jochbein und Kiefer, frisch gerichteter und tamponierter Nase sowie der zahlreichen Schwellungen und Blutergüsse im Gesicht.

Marco Boxler hat seine Zivilcourage vom Sonntag, 23. Oktober, teuer bezahlt. Das komplette Ausmaß seiner Verletzungen ist trotz überstandener Operation bislang unklar. „Die Zähne müssen auch kontrolliert werden“, sagt er – und das ist die Übersetzung ins gut Verständliche, denn das Sprechen fällt ihm schwer. Momentan sei dafür alles noch zu dick.

Am Donnerstag durfte Marco Boxler das Krankenhaus verlassen. Nun erholt er sich von der Operation.
Am Donnerstag durfte Marco Boxler das Krankenhaus verlassen. Nun erholt er sich von der Operation. | Bild: Mona Milite

Der 33-jährige Softwareentwickler ist am Dienstag in der Praxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie direkt gegenüber dem Haupteingang des Konstanzer Klinikums unter Vollnarkose operiert und anschließend in das Krankenhaus verlegt worden. Donnerstagvormittag durfte er wieder heim.

Essen gestaltet sich schwierig

Dort liegt er jetzt auf dem Sofa, hofft, dass die Schmerztabletten wirken, hört Musik und hantiert mit dem Handy herum. Hunger hat er auch. Denn Essen in den benötigten Portionen zu sich zu nehmen, ist ein echtes Problem mit einem derart lädierten Schädel. Die Spaghetti im Krankenhaus, so berichtet er, habe er mehr oder weniger gelutscht.

Marco Boxler war am frühen Sonntagmorgen gegen 4 Uhr auf dem Heimweg, als er in der Einfahrt der Firma Unisto an der Max-Stromeyer-Straße im Oberlohn auf drei Schläger traf, die gerade auf einen am Boden liegenden wehrlosen Mann eintraten. Er sprach sie an, um sie zum Aufhören zu bewegen, und wurde selbst übel zusammengeschlagen. Das erste Opfer entkam.

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Verloren hat er den Glauben an die Menschheit trotz dieses Erlebnisses nicht. Der Zuspruch, den er danach von Freunden und Bekannten erhalten habe, sei herzergreifend gewesen, sagt er. Auch Leute, von denen er lange nichts mehr gehört hatte, meldeten sich bei ihm, um ihm rasche Genesung zu wünschen. Ebenso wie die Ringer-Kollegen vom KSV Wollmatingen und anderen Vereinen, etwa aus Gottmadingen und Stockach. Freundin Mona Milite ist davon ebenso gerührt wie ihr Marco: „Es hat Kraft gegeben, zu sehen, dass man so ein gutes Netzwerk hat.“

Arbeitgeber steht hinter ihm

Auch Probleme mit seinem Arbeitgeber muss Boxler nicht befürchten. Am Montag hätte er bei der Sybit GmbH in Radolfzell den ersten vollen Arbeitstag nach seinem mehrmonatigen Ausfall wegen einer Bandscheiben-Operation absolvieren sollen. Stattdessen muss die Firma vorerst weiter auf ihn verzichten. Reaktion des Unternehmens? Es schickte einen Präsentkorb samt Karte mit Besserungswünschen.

„Gute Besserung“, steht auf der Karte im Präsentkorb, den Boxlers Arbeitgeber ihm gesendet hat.
„Gute Besserung“, steht auf der Karte im Präsentkorb, den Boxlers Arbeitgeber ihm gesendet hat. | Bild: Mona Milite

Unterdessen sucht die Polizei nach den Schuldigen. Laut Katrin Rosenthal, Sprecherin des Polizeipräsidiums Konstanz, haben sich nach dem SÜDKURIER-Beitrag über den Fall in dieser Woche mehrere Zeugen gemeldet. Deren Aussagen würden nun ausgewertet. „Die Kollegen sind dran. Näheres können wir vermutlich nächste Woche sagen“, so Rosenthal.

Ausführlich mit Marco Boxler gesprochen haben die Ermittler bislang nicht. „Ging ja wegen der Verletzungen auch schlecht“, sagt er. Angekündigt worden sei ihm die Befragung allerdings. Und auch das erste Opfer des Schlägertrios wird er wohl demnächst persönlich kennenlernen, wie Mona Milite berichtet. Die Mutter des Mannes aus Singen sei total dankbar. „Sobald es Marco besser geht, werden wir ein Treffen zwischen den Beiden organisieren.“

Heute würde er es anders machen

Würde sich Boxler nach den Erfahrungen der Nacht auf Sonntag heute anders verhalten, wenn er in derselben Situation wäre? Darüber hat er in den vergangenen Tagen viel nachgedacht. Die Antwort lautet: Wahrscheinlich ja. Aber dass er wieder helfen würde, das steht für ihn fest.

„Ich würde aber wohl nicht mehr so nahe herangehen, sondern die Situation von etwas weiter weg mit dem Smartphone filmen, auf mich aufmerksam machen und so die Täter dazu bringen, von ihrem Opfer abzulassen und wegzurennen. Denn Beweise sind das Letzte, was solche Leute wollen“, sagt Marco Boxler.

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Wie es nun weitergeht? Der Wollmatinger hofft, dass ihm bald nicht mehr schwummrig beim Herumlaufen wird, der Besuch beim Zahnarzt einigermaßen glimpflich verläuft, die Nase so zusammenwächst, dass kein zusätzlicher kosmetischer Eingriff nötig wird, und Schrauben und Platten in seinem Kopf bald wieder entfernt werden können.

Theoretisch könnten die Teile nach Auskunft der Ärzte zwar drin bleiben, praktisch stehen sie aber Marco Boxlers großem Traum im Weg. „Nach der Operation wegen der Bandscheibe und der Reha wollte ich unbedingt als Ringer auf die Matte zurückkehren, um mich als Aktiver richtig zu verabschieden.“

Marco Boxler (oben) vor fast genau einem Jahr in einem Kampf gegen einen Freiburger Ringer. Seitdem hat er mit einer ...
Marco Boxler (oben) vor fast genau einem Jahr in einem Kampf gegen einen Freiburger Ringer. Seitdem hat er mit einer Bandscheiben-Operation und der Gesichts-OP nach seinem mutigen Einsatz eine Menge mitgemacht. | Bild: Peter Pisa | SK-Archiv

Das gestaltet sich nun deutlich zeitaufwändiger und schwieriger als gedacht. Aber selbst seine sportlichen Kontrahenten dürften ihm die Daumen dafür drücken, dass es noch klappt.