Wie treffen sich ein Neuropsychologe und ein Physiker? Unter Umständen gar nicht, schon aus Zeitgründen. Andreas Blessing und Philip Barth haben allerdings trotzdem Zeit zum Plaudern gefunden: bei einem Kindergeburtstag auf der Wiese bei St. Katharina, zu dem ihre Kinder vor etwa sechs Jahren eingeladen waren.

Die Väter stehen wohl etwas gelangweilt herum und suchen nach einer Beschäftigung. Sie kommen ins Gespräch und entdecken fasziniert viele Gemeinsamkeiten. Beide interessieren sich sehr für wissenschaftliche Themen, aber nicht nur an der Oberfläche. Sie wollen sie verstehen, auch wenn es nicht ihr Fachbereich ist.

„Wissenschaft findet zu oft im Elfenbeinturm statt“, sagt Andreas Blessing im Rückblick. Seine und Philip Barths Motivation ist es, Dinge zu verstehen, die oft nur unter Experten besprochen werden. Und, darüber nachzudenken. Dazu muss man in der Lage sein, kritisch zu denken.

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Aus dem Gespräch am Rande des Kindergeburtstags wird eine Verabredung zum weiteren Austausch. Und dann entscheiden die beiden Männer, dass sie weitere Menschen an ihren Debatten über den Menschen, sein Selbstbild, über Bildung, Naturwissenschaften und über das Denken an sich teilhaben lassen wollen. Sie besorgen sich die nötige technische Gerätschaft und gehen auf die Suche nach Gesprächspartnern, mit denen sie in der Tiefe über ihre Interessensgebiete sprechen können.

So kommen die Podcaster zu ihren Interviewpartnern

Das Ergebnis ist ein Podcast, der inzwischen seit sechs Jahren auf ihrer Internetseite in halbwegs regelmäßigen Abständen erscheint. Dort sind auch alle bisherigen Folgen archiviert. Zu ihren Gesprächspartnern finden die beiden Podcaster oft über ihre beruflichen Kontakte: Philip Barth, promovierter Physiker, arbeitet an der ETH Zürich, dort ist er für die Curriculumsentwicklung zuständig. Mit Wissenschaftlern aller Fachbereiche kommt er also ständig in Kontakt.

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Andreas Blessing ist Neuropsychologe mit eigener Praxis in Kreuzlingen und veröffentlicht wissenschaftliche Fachliteratur. Darüber ist er mit Kollegen im Bereich Psychologie im Austausch. Vor allem aber sind die Freunde neugierig, und wenn sie ein Thema fasziniert, finden sie schon Ansprechpartner.

Das kritische Denken allerdings ist eins ihrer Lieblingsthemen, es zieht sich wie ein roter Faden durch ihre publizistische Tätigkeit. Es handelt sich dabei, so die beiden Publizisten, um eine nur auf den ersten Blick einfache Übung. „Die erste Erkenntnis ist: das kritische Denken fängt bei uns selbst an“, sagt Philip Barth. Es sind also nicht immer die anderen, die Falschinformationen verbreiten können. Denn für jeden besteht die Gefahr, Denkfehler zu machen und an andere weiterzugeben.

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Ein beliebter Denkfehler sei der Bestätigungsfehler, erklärt Andreas Blessing. Man legt jemanden eine Statistik über Armut und Reichtum mit verschiedenen Parametern vor. „Jeder wird das aus ihr herauslesen, was ohnehin seiner Meinung entspricht“, sagt der Neuropsychologe. Wer also denkt, in Deutschland geht es ungerecht zu, wird die Daten über hohe Arbeitslosenzahlen und zunehmende Kinderarmut aus der Statistik lesen.

Ähnlich verhalte es sich mit dem „Cherry picking“, dass man also aus Daten vor allem das herauslese, was einem für die eigene Theorie gut passe, ergänzt Barth. Ein drittes Thema sei der „Anker-Effekt“: Barth erläutert ihn anhand des Immobilienmaklers, der ein Haus verkaufen will. Teile ihm der aktuelle Besitzer mit, dass er selbst es für eine Million Euro gekauft habe, so habe dies einen anderen Effekt als die Information, dass es für 500.000 Euro erworben wurde. Der Hausbesitzer setzt mit seiner Information also einen Anker.

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Vor der eigenen Haustür kehren

„Experten sind sehr gut darin, diese Denkfehler bei anderen zu erkennen“, sagt Philip Barth, „viel schwieriger aber ist es, sie bei sich selbst zu sehen.“ Was aber kann man dagegen tun, dass man immer wieder versucht, die eigene Meinung zu bestätigen? Das sei gar nicht so einfach und in der heutigen Zeit zunehmend unüblich. Hilfreich aber sei, gelegentlich einen Vortrag zu besuchen, der nicht der eigenen Meinung entspreche. „Nicht in der eigenen Blase bleiben, versuchen, die anderen Menschen zu verstehen und mit ihnen zu sprechen.“

Die beiden umtriebigen Wissenschaftsfans wollen es in der aktuellen Debatte um Fake News, Desinformation und Verschwörungskampagnen nicht bei punktuellen Informationshäppchen belassen. Deshalb haben sie jetzt auch ein Buch geschrieben. Es heißt „Kritisches Denken einfach erklärt“, soll aber möglichst einem breiteren Publikum zugänglich werden. Der Podcast sei schon oft recht anspruchsvoll, betonen beide.

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Im Buch aber hätten sie versucht, die Techniken des kritischen Denkens auf anschauliche Art und Weise darzustellen. „Es soll unterhaltsam und kurzweilig sein“, sagt Philip Barth, „wenn man es liest, sollte man auf die Idee kommen, die Methoden auch anzuwenden.“ Ohne Humor ist es den Autoren nicht vorstellbar, an das Thema heranzugehen, moralisieren wollen sie nicht.

Und wer und wie viele Menschen hören den Podcastern zu? Ganz genau wissen sie das nicht, aber immerhin: Über sechs Jahre haben sie 5000 Abonnenten gesammelt. „Viele davon sind interessierte Laien“, sagt Barth. Die ersten 40 bis 50 Folgen hätten sie im Drei-Wochen-Takt erstellt. Inzwischen geht die Produktion etwas langsamer.

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Verdienen wollen die beiden nichts an dem Projekt, auch nicht an dem Buch, das im Internet zugänglich gemacht werden soll. Wichtig ist ihnen ihr persönlicher Wissenszugewinn. Und wenn sie anderen ein wenig Lust aufs Mitdenken und Informieren über verschiedene Themen machen, freuen sie sich. „Aber die beiden Hauptpersonen, für die wir das machen, sind wir“, sagt Philipp Barth.