Nach dem Polizeieinsatz, der bei vielen Konstanzern in der Nacht zum Freitag, 13. September, Angst und Schrecken ausgelöst hatte, werden Ablauf und Hintergründe deutlicher. Recherchen des SÜDKURIER und Informationen der Polizei ermöglichen es inzwischen, die Großfahndung grob nachzuvollziehen.
Auch wenn der 18-Jährige am Freitagmorgen in der Nähe des Konstanzer Krankenhauses festgenommen und dann in eine psychiatrische Spezialklinik gebracht wurde, sind die Ermittlungen noch lange nicht abgeschlossen. Unter anderem suchen die Ermittler noch nach einer Schusswaffe. Denn sie gehen davon aus, dass er diese tatsächlich bei sich trug. Am späten Freitagnachmittag konnte die Polizei dann tatsächlich mitteilen, dass die Waffe gefunden worden sei – es war laut einer Pressemitteilung eine Pfefferspray-Pistole zur Tierabwehr, die aber einer herkömmlichen Schusswaffe ähnlich sehe.
Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem beispiellosen Einsatz in Konstanz und Kreuzlingen.
Wer ist der junge Mann, nach dem gesucht wurde?
Gesucht wurde nach einem 18 Jahre alten Mann. Nach Angaben der Kantonspolizei Thurgau handelt es sich um einen deutschen Staatsbürger, der in einem Nachbarkanton des Thurgau lebt. Er war auch der deutschen Kriminalpolizei bereits vor der Großfahndung in der Nacht von Donnerstag auf Freitag bekannt. Die „Thurgauer Zeitung“ sprach mit einem Konstanzer Hotel-Mitarbeiter, der den 18-Jährigen nach eigenen Angaben selbst gesehen hat und festgestellt haben will, dass er offensichtlich unter Drogeneinfluss stand.
Was hat er getan, damit die Polizei eine riesige Fahndung auslöste?
Die Polizei erhielt, so eine Pressemitteilung vom Freitagnachmittag, Hinweise auf zwei Vorfälle, bei denen von dem Mann eine Bedrohung ausging. Danach hat der 18-Jährige zunächst einen Angestellten in Münsterlingen im Thurgau bedroht und ihm eine Waffe vorgehalten. Zu einer ähnlichen Situation kam es dann in einem Hotel am Konstanzer Seerhein, nach SÜDKURIER-Informationen soll es sich dabei um 47 Grad gehandelt haben.

Dort hatte der Mann schon zuvor übernachtet. Als er sich am Donnerstag erneut einbuchen wollte, verweigerte ihm dies ein Mitarbeiter. Dabei kam es zum Streit und einer neuerlichen Bedrohung mit einer Waffe. Anschließend flüchtete der 18-Jährige mit einem E-Scooter in Richtung Schänzlebrücke.
Wie wusste die Polizei, nach wem sie suchen musste?
Die Polizei wusste von Anfang an, nach wem sie fahnden muss. Tatjana Deggelmann, Sprecherin des Konstanzer Polizeipräsidiums, bestätigte, dass die Personalien und auch die Handynummer von der Kantonspolizei Thurgau an die Beamten in Konstanz weitergegeben wurden. Diese konnten dann schnell herausfinden, dass der Gesuchte kein unbeschriebenes Blatt ist. Die Thurgauer Polizei hatte sich ans Konstanzer Präsidium gewandt, weil sie den Täter früh auf der deutschen Seite vermuteten.
Warum gab es mehrere Telefonate, aber keine Festnahme?
Verhandlungsspezialisten der Kantonspolizei Thurgau konnten mit dem Flüchtigen mehrfach telefonieren, wie deutsche und Schweizer Polizei übereinstimmend erklären. Sie erreichten ihn auf dem Handy, konnten ihn aber nicht genau orten. Dies liegt an der Größe der Funkzellen, hieß es. Wenn er außerdem im Schweizer Netz war, war er mit einer Basisstation verbunden, die gar nicht in Konstanz lag. Dass die Polizei auch auf dem Verhandlungsweg versucht, Personen von mutmaßlich geplanten Taten abzuhalten, ist ein übliches Vorgehen, so die Konstanzer Polizei-Sprecherin.
Wie kam es letztlich zu der Festnahme?
In der Nacht wurde in sozialen Medien mehrfach die Behauptung aufgestellt, der Mann sei festgenommen worden. Unter anderem kursierte ein Video, das scheinbar vor dem Konstanzer Bürgerbüro aufgenommen wurde und eine Festnahme zeigen soll. Die Polizei erklärte dazu, das Video sei nicht in dieser Nacht gemacht worden.

Auch ein weiteres Video, das angeblich die Festnahme zeigen sollte, kursierte. Es wurde ebenfalls als nicht echt ermittelt. Die tatsächliche Festnahme erfolgte in der Nähe des Konstanzer Krankenhauses, und zwar erst am Freitagmorgen. Grundlage war ein Hinweis aus dem Umfeld des Gesuchten, so die Polizei. Daraufhin hätten Einsatzkräfte in der Nähe der Klinik gesucht und den Mann angetroffen. Eine Waffe hatte er zu dem Zeitpunkt nicht oder nicht mehr bei sich.
War der Polizeieinsatz angemessen?
Dazu gibt die Polizei vorerst keine Bewertung ab. Tatsächlich war eine große Zahl von Kräften aus Deutschland und aus der Schweiz im Einsatz. Manche wurden auch extra nach Konstanz entsandt. Ein Hubschrauber kreiste mehrere Stunden über dem Stadtgebiet. Wenn zwei sehr ähnliche Aussagen vorliegen und auch eine Schusswaffe erwähnt sei, sei die Entscheidung für einen großen Einsatz generell naheliegend, sagte die Konstanzer Polizei-Sprecherin. Wenn sich dann zeige, dass die Lage weniger gefährlich ist als zunächst angenommen, sei es normal, den Einsatz zu verkleinern.
Was hat die Fahndung in Konstanz und bei den Konstanzern ausgelöst?
Auf Diensten wie Facebook und WhatsApp wurden von Donnerstagabend bis Freitagmorgen in großer Zahl Gerüchte und Mutmaßungen geteilt worden. In einigen sozialen Netzwerken war auch von einem möglichen Amoklauf die Rede. Entsprechend groß war die Angst unter vielen Konstanzern. In mehreren Lokalen versperrten Wirte oder Mitarbeiter Türen und Fenster, teils schalteten sie nach Angaben von Augenzeugen auch das Licht aus. Auch wurden Gäste gebeten, nicht auf die Straße zu gehen. In der Nacht und am Freitag war die Großfahndung in Konstanz und Umgebung das Gesprächsthema Nummer eins.
Wie gehen die Ermittlungen weiter?
Um den Fall kümmern sich nun das zur Kriminalpolizeidirektion Rottweil gehörende Kriminalkommissariat Konstanz sowie die Kantonspolizei Thurgau. Sie arbeiten nicht nur den Einsatz im Detail auf, sondern versuchen auch die Vorkommnisse in Münsterlingen und an der Konstanzer Hotel-Rezeption zu klären. Außerdem wurde vorrangig nach der Waffe gesucht, von der die Polizei annimmt, dass sie der junge Mann tatsächlich mit sich führte.
Eine Waffe wurde laut Polizei inzwischen gefunden. Das Konstanzer Präsidium teilte dazu mit, es sei „nach weiteren Ermittlungen gelungen, die mutmaßlich mitgeführte Waffe zu finden. Im Bereich des Bahnhofs in Konstanz hatte der Heranwachsende die Waffe hinter einem Stromkasten deponiert.“ Es handle sich dabei um eine Pfefferspraypistole, die erlaubnisfrei zur Tierabwehr erlangt werden könne. Dass die Bedrohten sie für gefährlich hielten, ist laut Polizei mehr als nachvollziehbar: „Sie sieht auf den ersten Blick einer herkömmlichen Schusswaffe ähnlich.“