Pro: Einen Teil zur Euphorie beitragen

Redakteur Timm Lechler ist überzeugt: „Eine der Kernaufgaben von Städten ist die Förderung von Kultur und Sport. Eine Heim-EM ist ...
Redakteur Timm Lechler ist überzeugt: „Eine der Kernaufgaben von Städten ist die Förderung von Kultur und Sport. Eine Heim-EM ist augenscheinlich beides, auch wenn das nicht jeder wahrhaben will.“ | Bild: SK

Die Bilder der Fußball-EM gehen um die Welt: So sind die schottischen Fans bereits jetzt die besten sportlichen Gäste, die Deutschland je hatte. Dann ist da ein Event-Saxophonist, der in den sozialen Netzwerken umjubelt auf den Fanmeilen zur Riesen-Party und gemeinsamer Glückseligkeit aufruft. Die Fanzonen selbst sind so gut besucht wie nie und die Einschaltquoten (25,6 Millionen Fans verfolgten das Duell mit der Schweiz, Public Viewings sind hier übrigens nicht eingerechnet) sprechen Bände. Die Begeisterung um die Nationalelf ist groß, nach Jahren sind wir sportlich wieder wer, endlich völlig losgelöst.

In Konstanz ist der Geist dieser EM leider nur selten richtig zu spüren. Das liegt wohl auch daran, dass das Rathaus – zugegebenermaßen wie viele andere Städte mit ähnlichen Voraussetzungen – auf ein eigens organisiertes Public Viewing verzichtet hat. Schauen sollen Fans das Fußballspektakel zu Hause, in Kneipen oder bei privaten Veranstaltern. Im Oberzentrum gibt es eigentlich nur ein einziges Angebot, das man als echtes Open-Air-Public-Viewing bezeichnen kann. Entsprechend überlaufen ist es auf Klein Venedig.

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Das ist schade, gerade weil es um ein seltenes Turnier im eigenen Land geht, das es zuletzt im Jahr 2006 gab. Es fühlt sich doch ein wenig nach neuem Sommermärchen an. Geradezu romantisch schwelgt da so mancher Bürger in Erinnerung. Da nur von Fanbespaßung zu sprechen, wird dem nicht gerecht. Da liegt eine Chance, zur Euphorie im Land beizutragen und gerade den jüngeren Menschen nach so vielen schwierigen Jahren etwas zurückzugeben.

Geeignete Flächen wären da gewesen, denkt man nur an das frisch teilsanierte Bodensee-Stadion oder eben Klein Venedig. Natürlich: Sicherheit, Planung und Logistik kosten Geld, und teilweise findet man einfach auch niemanden, der diese Arbeit noch übernehmen will. Doch andere Städte haben das offensichtlich geschafft. Und sicher hätte sich beispielsweise so mancher Konstanzer (Fußball-)Verein gerne bei einer Bewirtung engagiert, um seine Kasse aufzubessern. Dass auch Gastronomen auf ein entsprechendes Angebot aufgrund von Auflagen, Kosten und anderen Hürden verzichten, macht es nicht besser. Daraus lässt sich sehr wohl ableiten, dass die Gastronomie allein die Nachfrage nicht auffangen kann.

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Und noch etwas: Eine der Kernaufgaben von Städten ist die Förderung von Kultur und Sport. Eine Heim-EM ist augenscheinlich beides, auch wenn das nicht jeder wahrhaben will. Wer bei Kultur und Sport nur an Theater, Philharmonie oder Vereine denkt, geht fehl. Am Ende entscheiden die Menschen, was sie unter dieser Art von gesellschaftlicher Teilhabe verstehen. Und die haben deutlich entschieden: Dafür reicht ein Blick auf die Fanmeilen anderer großer und junger Städte.

Contra: Keine Aufgabe für die Stadt

Redakteur Jörg-Peter Rau meint: „Die Public Viewings soll mal schön die Gastronomie- und Eventbranche auf die Beine stellen. Der Erfolg ...
Redakteur Jörg-Peter Rau meint: „Die Public Viewings soll mal schön die Gastronomie- und Eventbranche auf die Beine stellen. Der Erfolg gibt ihnen dann im Zweifelsfall recht.“ | Bild: Rau, Jörg-Peter

Wer Fußball schauen will, soll Fußball schauen können. Zweifellos. Und wer Fußball schauen will, wird dafür auch Mittel und Wege finden. Auch daran herrscht kein Zweifel, wenn man sich die Rekord-Einschaltquoten für die EM-Spiele der deutschen Mannschaft ansieht. Von einem Versorgungsdefizit kann also keine Rede sein. Die Forderung, die Stadt solle mit Public Viewings zu Fanbespaßung beitragen, hat schon deshalb wenig Grundlage.

Wenn die Stadt, das Land oder Bund in Eigenregie tätig werden, sollten sie das dann tun, wenn die Bevölkerung sonst eine wichtige Dienstleistung nicht in Anspruch nehmen könnte. Das gilt für hoheitliche Aufgaben, kann aber auch Serviceleistungen umfassen. Sobald aber aus der Wirtschaft – immerhin der Grundlage unseres Wohlstands – so ein Angebot übernommen werden kann, hat der Staat zurückzutreten. Sonst würde er die freie Marktwirtschaft behindern. Auch dafür kann es im Einzelfall Gründe geben. Ein vermeintliches Menschenrecht auf Public Viewing gehört eher nicht dazu.

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Wer fordert, die Stadt solle bitteschön das Rudelgucken auf die Beine stellen, sollte mal einen Schritt weiter denken. Wollen wir wirklich, dass mit Steuergeldern bezahlte Verwaltungsmitarbeiter Großbildleinwände organisieren, Licht- und Tonanlagen betreiben, möglicherweise noch den Einlass kontrollieren, nur damit das Fußballspektakel besonders schön rüberkommt? Dass andere Aufgaben mangels Ressourcen liegen bleiben, nur weil halt viele Menschen Fußball schauen wollen (und, siehe oben, das ja auch können)?

Und nein, der Vergleich mit Theater oder Philharmonie greift hier nicht. In Kultureinrichtungen arbeiten Menschen mit einem öffentlichen Auftrag in einem Bereich, in dem sich die Privatwirtschaft nicht in der gesellschaftlich gewünschten Form engagieren kann. Deshalb hat sich die Gesellschaft, vertreten von gewählten Politikern, entschieden, eine Versorgungslücke mit öffentlichem Geld zu füllen. Das kann man kritisieren, sollte aber dabei bedenken, dass eine Fußball-EM, anders als eine Theaterinszenierung oder ein Philharmoniekonzert, auch ein riesiges Kommerzspektakel ist.

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Die Public Viewings soll mal schön die Gastronomie- und Eventbranche auf die Beine stellen. Der Erfolg gibt ihnen dann im Zweifelsfall recht. Was diese Unternehmen aber verdient haben, ist, dass eine öffentliche Verwaltung sie unterstützt und nicht noch gängelt. Hier hat die Stadt viele Möglichkeiten zu zeigen, dass sie ein Herz für Fußballfans hat und Teil einer Sache sein will, die ein weites Spektrum der Gesellschaft eint. Je besser sie das macht, desto mehr Unternehmen engagieren sich, desto mehr Wettbewerb gibt es, desto breiter ist das Angebot für die Fans. Das braucht‘s, und keine amtlich organisierte und finanzierte Fanmeile.