Klimakrise weltweit und Klimanotstand in Konstanz: Michael Breuninger wollte der Umwelt Gutes tun und gleichzeitig Geld sparen. Deshalb kaufte er sich im Frühling 2020 ein Balkonkraftwerk. Dass er sich damit viel Ärger einhandeln würde, ahnte er damals nicht.

Nun, fast drei Jahre später, sind Breuninger und sein Anwalt Sascha Händle Vorreiter und kämpfen gerichtlich um die Genehmigung der Installation – auch gegen die Mehrheit der Eigentümergemeinschaft. Vor dem Amtsgericht kommen sie allerdings nicht zum Ziel.

Michael Breuninger und sein Anwalt Sascha Händle haben ordnerweise Unterlagen zum Thema Balkonkraftwerke zusammengestellt. Auch ...
Michael Breuninger und sein Anwalt Sascha Händle haben ordnerweise Unterlagen zum Thema Balkonkraftwerke zusammengestellt. Auch bundesweit ist Bewegung in dieser Sache. | Bild: Oliver Hanser

Und das wird schon in der ersten Minute der einstündigen Verhandlung klar. Wie dieser Termin ausgehen würde, macht Richter Stefan Schroth gleich zu Beginn deutlich: „Vielleicht schreiben Sie in der zweiten Instanz Rechtsgeschichte, aber bei mir nicht“, sagt er zu Michael Breuninger.

Das Problem ist: Ohne Zustimmung der Mehrheit der Eigentümer in seiner Hausgemeinschaft darf Michael Breuninger an seinem Balkon keine bauliche Veränderung vornehmen – auch wenn Balkonkraftwerke in Deutschland seit Mai 2018 erlaubt sind.

„Soll mein schlechter Geschmack darüber befinden, was schön ist und was nicht? Auch die Gerichte haben hier unterschiedliche Meinungen.“
Richter Stefan Schroth

Richter Schroth führt in einer sehr unterhaltsamen Sitzung aus: „Sie glauben gar nicht, was in Deutschland alles beantragt werden muss. Wenn alle Mieter eines Hauses grün-weiße Markisen haben und einer eine blau-weiße will, wird das aus optischen Gründen abgelehnt. Und das Hanseatische Oberlandesgericht, wohlgemerkt, hat entschieden, dass die rote Zipfelmütze eines Gartenzwergs im Grünen auffallend leuchtet und nicht im Garten einer Wohnungseigentumsanlage aufgestellt werden darf.“ Auch Katzenzäune, Lichterketten und Solarpaneele auf Balkonen seien gerichtlich schon kassiert worden.

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„Das Problem ist die optische Beurteilung“, meint Stefan Schroth. „Soll mein schlechter Geschmack darüber befinden, was schön ist und was nicht? Auch die Gerichte haben hier unterschiedliche Meinungen.“ Eindeutig sei jedoch, dass Balkonkraftwerke aus der Sicht einiger Eigentümer mit optischer Beeinträchtigung einhergehen. „Aber nicht, dass Sie mich falsch verstehen!“, so der Richter. „Klimaschutz ist super, das ist nicht das Thema.“

„Es ist schwer zu vermitteln, dass der Eigentümer keinen Anspruch haben soll, eine Photovoltaikanlage am Balkon anbringen zu dürfen.“
Anwalt Sascha Händle

Doch für Breuningers Anwalt Sascha Händle ist genau dies der springende Punkt: „In Anbetracht der politisch angestrebten Energiewende und dem Umstand, dass die Stadt Konstanz den Klimanotstand ausgerufen hat, ist es schwer zu vermitteln, dass der Eigentümer keinen Anspruch haben soll, eine Photovoltaikanlage am Balkon anbringen zu dürfen“, sagt Händle.

Er ist der Ansicht, dass sich über das Wohnungseigentumsgesetz durchaus ein Anspruch ergibt. Dabei beruft er sich auf einen Paragrafen, der jedem Eigentümer entsprechende bauliche Veränderungen zugesteht, die dem Einbruchschutz, der Barrierefreiheit, dem Anschluss an ein schnelles Kommunikationsnetz und dem Laden von Elektrofahrzeugen dienen. „Dieser Paragraf ist entsprechend dem genannten Hintergrund auszulegen und analog auch auf Balkonkraftwerke anzuwenden, da die Klimaschutzziele politisch gewollt sind“, findet Händle.

„In Anbetracht der politisch angestrebten Energiewende und dem Umstand, dass die Stadt Konstanz den Klimanotstand ausgerufen hat, ...
„In Anbetracht der politisch angestrebten Energiewende und dem Umstand, dass die Stadt Konstanz den Klimanotstand ausgerufen hat, ist es schwer zu vermitteln, dass der Eigentümer keinen Anspruch haben soll, eine Photovoltaikanlage am Balkon anbringen zu dürfen“, findet Anwalt Sascha Händle. | Bild: Kirsten Astor

Der Richter sieht dies anders: „Ihr Ansinnen ist absolut nachvollziehbar, aber diese Analogie zieht hier nicht“, so Stefan Schroth.

So sieht es auch Wolfgang Frick, Anwalt der Hausverwaltung im fraglichen Gebäude. Es entspinnt sich ein Fachgespräch zwischen den Anwälten beider Parteien. Sie diskutieren kontrovers über die Auslegung von Paragrafen und juristischen Kommentaren, über planwidrige (also vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte) Gesetzeslücken.

„Wenn ich auf meinem eigenen Garagendach eine Solaranlage installiere, muss ich niemanden fragen. Bei einer Eigentümergemeinschaft ...
„Wenn ich auf meinem eigenen Garagendach eine Solaranlage installiere, muss ich niemanden fragen. Bei einer Eigentümergemeinschaft liegt der Fall anders“, sagt Anwalt Wolfgang Frick. | Bild: Kirsten Astor

Rechtlich sind sie nicht einer Meinung, inhaltlich schon: Klimaschutz ist wichtig. „Das Wohnungseigentumsrecht hängt leider der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher“, meint Sascha Händle. Da sich eigentlich alle einig sind, dies nur nicht mit dem Gesetz zusammenpasst, schlägt Stefan Schroth einen Vergleich vor: „Wie wäre es, wenn Sie, Herr Breuninger, die Anlage noch zwei Jahre lang hängen lassen dürften und danach ohne Wenn und Aber verpflichtet werden, sie abzubauen?“

Über diesen Vorschlag denken beide Parteien nach. Doch recht schnell wird klar, was Schroth selbst andeutet: „Es könnte für beide Seiten blöd laufen, wenn sie zustimmen.“ Denn die Hausverwaltung, vertreten durch Geschäftsführerin Birgit Ruess, könnte sich den Ärger einiger Eigentümer zuziehen. Und Michael Breuninger müsste die PV-Anlage auch dann entfernen, wenn sich die Rechtsprechung in zwei Jahren zu seinen Gunsten geändert haben sollte.

Nachschlagewerk für Fachanwälte: Das Wohnungseigentumsgesetz steht auf einem Tisch im Verhandlungssaal des Konstanzer Amtsgerichts.
Nachschlagewerk für Fachanwälte: Das Wohnungseigentumsgesetz steht auf einem Tisch im Verhandlungssaal des Konstanzer Amtsgerichts. | Bild: Kirsten Astor

So überrascht es nicht, dass Birgit Ruess und Anwalt Wolfgang Frick schnell Nein zum Vergleich sagen. Stefan Schroth muss also ein Urteil fällen und verwehrt Michael Breuninger die nachträgliche Genehmigung für die Installation des Balkonkraftwerks. „Ich bin kein sturer Paragrafenreiter, aber ich traue mich auch nicht, das Gesetz so zu verbiegen, dass ich Ihnen Recht gebe“, begründet er. Sein schriftliches Urteil will er am 2. Februar vorlegen.

„Menschen in ähnlicher Lage warten darauf, dass wir weitermachen. Schließlich tut sich auch bundesweit was in dieser Sache.“
Michael Breuninger

Doch eine kleine Genugtuung erfährt Michael Breuninger trotzdem: Der Beschluss der Eigentümergemeinschaft, dass er die Anlage abbauen muss und rechtlich belangt wird, falls er es nicht tut, wird wegen formaler Fehler nicht anerkannt. So bleibt das Balkonkraftwerk erst einmal hängen.

Aufgeben will Michael Breuninger ohnehin noch nicht. Sein Anwalt und er ziehen in die nächste Instanz, vor das Landgericht Karlsruhe. „Viele Menschen in ähnlicher Lage warten darauf, dass wir weitermachen. Schließlich tut sich auch bundesweit was in dieser Sache“, so Breuninger. „Wir sind einfach noch zu früh dran.“