Wenn Anne Pesaro aus ihrem Eisladen in der Zollernstraße schaut, sieht sie auf einen Bauzaun. Dahinter liegt das in Teilen abgebrannte Jugendstilgebäude, Arbeiter bauen ein Gerüst auf. Vor ihrer Eisdiele bleiben immer wieder Neugierige stehen, fotografieren das Stadlerhaus. „Das ist wie an der Berliner Mauer, ich könnte Eintritt verlangen“, sagt Anne Pesaro und lacht.
Der Humor ist der Eiskünstlerin von Anelu nicht abhandengekommen, obwohl sie durch die Baustelle deutliche Einschränkungen spürt. Wo bisher Menschen in meterlangen Schlangen auf eine Kugel Eis warteten, ist jetzt kaum noch ein Durchkommen.

Der schmale Durchgang zwischen Bauzaun und Läden wird allerdings rege genutzt: Konstanzer und Touristen drücken sich aneinander vorbei, teilweise fahren sogar Radfahrer durch. Das Nachsehen haben die kleinen Läden und die Gastronomie. Zum Bummeln und Verweilen ist hier kaum noch Platz.
„Wenn jemand im Weg steht, sage ich scherzhaft: ‚Zwei Minuten Gucken kostet 1,70 Euro oder ein Eis‘“, erzählt Anne Pesaro. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: „Ich habe Umsatzverluste durch den Brand. Das kostet uns alle hier viele Nerven.“

Dennoch betont sie: „Die Fortschritte auf der Baustelle sind supertoll, ein fettes Lob an den Architekten Christoph Bauer und seine Frau Renate, die ihren Urlaub verschoben haben. Und an die vielen Handwerker, die eigentlich in den Handwerkerferien wären und hier alles geben.“
Die Eismacherin lobt auch die „berühmte Gemeinschaft in der Zollernstraße“, die sie als recht neu ansässige Inhaberin jetzt selbst erlebt. „Wir sind in fantastischem Austausch, alle helfen einander.“
In der Zollernstraße guckt jeder nach jedem
Das bestätigt Anja Kozima von Deinlers Ledermanufaktur. „Hier guckt jeder nach jedem. Der Charme der Zollernstraße war vor dem Brand schon einzigartig, so ruhig und schnuckelig“, sagt sie. „Jetzt dominieren Baulärm und Brandgeruch. Und in unseren Laden kommen die Leute manchmal nur, weil sie dann einen besseren Winkel zum Fotografieren des Brandhauses haben.“
Bislang dominiere der Schadentourismus. Doch auch Anja Kozima freut sich, dass „ratzfatz alles stabilisiert wurde, damit wir arbeiten können“. Die Täschnerin hofft, „dass im Herbst mehr Kunden hereinschauen, wenn Hotel und Guter Hirte wieder öffnen dürfen.“

Das Hotel am Fischmarkt von Tamara Unterwerner und ihrem Sohn Sebastian liegt direkt neben dem Stadlerhaus. Die Feuerwehr schlug beim Löschen eine Tür ein, Spuren des Einsatzes sind auch im Büro und auf der Hotelterrasse sichtbar.
Am Donnerstag nach der Brandnacht ging Tamara noch davon aus, dass sie bald wieder öffnen könne. Inzwischen weiß sie es besser. „Uns wurde schnell klar, dass noch einige Wochen lang Schutt abgetragen werden muss“, sagt sie nun. „Sobald wir ins Haus dürfen, müssen wir den Schaden begutachten lassen.“

Für sie sei es „ein komisches Gefühl, in der Luft zu hängen und nicht zu wissen, wann wir wieder loslegen können“. Ihr Sohn Sebastian Unterwerner hat vor allem mit der Rückabwicklung der Buchungen viel Arbeit. „Bisher mussten wir über 200 Reservierungen stornieren“, sagt er.
„Viele Gäste reagieren verständnisvoll, drängen jedoch auf eine schnelle Rückerstattung der bezahlten Kosten. Allerdings ist das nicht so leicht zu realisieren“, sagt der 29-Jährige. Erst mussten sie ein neues Büro anmieten und nun kämpfen sie mit dem „höchst inkompetenten Kundenservice“ so mancher Buchungsplattform.
Während manche Gäste sehr rührend reagieren und sich nach dem Befinden der Gastgeber erkundigen, seien andere verärgert, weil ihre Urlaubspläne durcheinandergebracht wurden, so Unterwerner. Er und seine Mutter hoffen nun, dass sie bald zum Alltag zurückkehren können. „Wir vermissen unsere Gäste und die schönen Gespräche“, sagen die beiden.
Als Pächter und als Anwohner betroffen
Direkt neben dem Hotel liegt die Weinstube „Zum Guten Hirten“. Die Tür ist geschlossen, davor stapeln sich Möbel und Baumaterialien. „Ich weiß derzeit nicht, wie es weitergeht“, sagt Pächter Hubertus Reiber, der nicht nur als Gastronom betroffen ist, sondern auch als Anwohner der Zollernstraße 10.
„In dieser Woche wird die extrem gefährdete Brandschutzmauer abgebaut. Wenn das gelingt, würde ich gern zum 1. September 2024 wieder öffnen. Wenn sie einstürzt, könnten größere Schäden entstehen“, so Reiber.

Auch Reiber hofft, dass trotz der Großbaustelle viele Gäste wiederkommen. „Bislang war der Sommer sehr verregnet und schwierig für alle Gastronomen. Vielleicht können wir noch ein bisschen was vom Septembergeschäft mitnehmen.“ Dankbar ist er darüber, dass der Bauzaun zumindest vor seinem Lokal bald abgebaut wird.
„Dann kann ich meine Terrasse öffnen“, sagt er. Als Zeichen seiner Dankbarkeit will der Gastronom ein Straßenfest für alle Händler und Helfer organisieren, sobald er wieder bewirten darf.

Kaffee trinken direkt neben der Baustelle
Ein paar Meter weiter sitzen schon Gäste auf der Straße. Vor dem Café Dolce Vita sind ein paar Tische zwischen rot-weißen Baken aufgebaut, direkt neben der Baustelle. Ein Schild mit einem aufgemalten Herz verkündet: „Wir haben geöffnet!“
An einem dieser Tische haben Solveig und Bent Sörensen Platz genommen, jahrzehntelange Inhaber des gleichnamigen Möbelhauses. Sie trinken Kaffee mit Blick auf das Gebäude, mit dem sie so lange so eng verbunden sind. „Es schmerzt, dass es knallt“, sagt Bent Sörensen. „Natürlich hinterlässt der Brand Spuren. Ich war 44 Jahre lang da drin, meine Frau 33 Jahre.“

Nun sind die Gedanken des Paares bei ihren drei Nachfolgerinnen, die das Möbelhaus übernahmen. Ihnen wünschen sie viel Kraft für die kommende Zeit. Dann blickt Bent Sörensen auf die Baustelle und sagt anerkennend: „Gigantisch, was Feuerwehr und Rettungskräfte geleistet haben und wie es dort jetzt vorangeht. Es sieht aus, als wäre der Wiederaufbau monatelang geplant gewesen.“