Der Chemie-Unfall im Konstanzer Industriegebiet am Freitag, 12. Januar, war offenbar folgenschwerer als zunächst angenommen. Die Polizei bezifferte die Zahl der Verletzten in einer Meldung kurz vor Mittag auf 18, wobei die Schwere nicht weiter ausgeführt wurde. Am Nachmittag war sogar von 25 Personen die Rede. Das betroffene Unternehmen Agrana gab die Zahl dagegen am Abend mit 18 an. Alle Personen seien wohlauf.
Die Betroffenen haben laut Feuerwehr Atemwegsreizungen erlitten und seien in umliegende Krankenhäuser gebracht worden. Den ganzen Vormittag waren Rettungsfahrzeuge im Einsatz zu sehen. Erst gegen 12 Uhr beruhigte sich die Situation. Laut Feuerwehr war die Lage kurzfristig sogar „lebensbedrohlich“, was Agrana allerdings anders darstellt.
Etwas klarer ist inzwischen auch der Hergang. Nach dem vorläufigen Stand der Ermittlungen waren laut Polizei am Vorabend in einem Container zwei Chemikalien gemischt worden. In der Pressemitteilung bestätigt das Präsidium auch, dass es sich bei einer davon um Salpetersäure handelte. Das Gemisch sollte demnach als Reinigungsmittel für Kessel dienen. „Aus bislang nicht bekannten Gründen kam es zu einem Temperaturanstieg und damit zu einem Überdruck, wodurch das Gas austrat und sich im Gebäude verteilte“, so die Polizei weiter.

Der Pressesprecher der Konstanzer Feuerwehr, Fabian Daltoe, hatte das Gefäß als Ein-Kubikmeter-Behälter bezeichnet. Solche Kunststoffbehälter werden mit der Bezeichnung IBC-Container in der Industrie häufig eingesetzt. Sie sind für den Transport mit einem Gabelstapler geeignet, und genau so konnten die Mitarbeiter der Firma das betroffene Gefäß auch aus dem Gebäude bringen. Damit verhinderten sie eine weitere Ausbreitung des rauchenden und ätzendes Gases im Gebäude.
Der Vorfall ereignete sich auf dem Betriebsgelände der Firma Agrana – viele kennen das Lebensmittelunternehmen noch unter dem alten Namen Deutsch-Schweizerische Früchtverarbeitung. Dort werden zum Beispiel Fruchtzubereitungen für Joghurts hergestellt und marmeladenähnliche Produkte gekocht. Nach eigenen Angaben gehört das zu dem österreichischen Nahrungsmittelkonzern gehörende Werk „die Molkerei-, Eiscreme-, Backwaren- und Süßwarenindustrie mit Zubereitungen und Fruchtzubereitungen.“ Außerdem werden demnach würzige Zubereitungen mit Gemüse, Kräutern, Fisch und Fleisch hergestellt.
Agrana-Sprecher: Es bestand keine Lebensgefahr
Am Abend gab Unternehmenssprecher Markus Simak eine Erklärung ab, in der er den Hergang des Unfalls bestätigte. Er betonte: „Durch rasches Reagieren der Mitarbeiter vor Ort wurde die Rettungskette sofort in Gang gesetzt. Der Container wurde von der Feuerwehr fachgerecht gesichert und entsorgt.“ Demnach „bestand zu keiner Zeit Lebensgefahr oder Gefahr für die Umwelt.“
Der Agrana-Sprecher erklärte weiter: Alle Mitarbeiter der Frühschicht (18 Personen) wurden vor Ort medizinisch untersucht.“ Für 16 von ihnen habe rasch Entwarnung gegeben werden können. Doch „zwei Mitarbeiter wurden vorsorglich zur weiteren Untersuchung in das Krankenhaus Konstanz eingewiesen und bleiben zur Sicherheit über Nacht dort. Sie sind wohlauf.“ Agrana bedauere den Vorfall sehr, und man hoffe, dass die zwei Kollegen am Samstag das Krankenhaus wieder verlassen könnten.

Straße war lange gesperrt
Die Feuerwehr war ab den frühen Morgenstunden mit einem Großaufgebot im Einsatz. Die Byk-Gulden-Straße war während des Einsatzes zwischen Kreisel Riedstraße und der Einmündung der Lilienthalstraße bis zum frühen Abend in beide Richtungen gesperrt. Für die Bergung des Containers war laut Polizei eine Spezialfirma angefordert worden.

Unter dem Alarm-Stichwort „Massenanfall von Verletzten“ wurden zahlreiche Rettungswagen von Rotem Kreuz und Maltesern auf dem und rund um das Firmengelände zusammengezogen. Die Mitarbeiter wurden in einem nicht betroffenen Raum auf dem Gelände betreut. Feuerwehrleute waren in Chemikalien-Schutzanzügen im Einsatz, weil die chemische Reaktion auch über eine Stunde nach Auslösen nicht abgeklungen war. Vor Ort waren rund zwölf Feuerwehrfahrzeuge, etliche Rettungswagen sowie Polizeiautos. Eine Gefahr für die Bevölkerung oder umliegende Gebäude habe nicht bestanden, so Feuerwehrsprecher Daltoe weiter.

Am Nachmittag kam zusätzlich die Feuerwehr Singen mit zwei Fahrzeugen zur Unterstützung an die Einsatzstelle. Mit Spezialgerät, das nur die Singener Wehr hat, sollte sie die reagierende Chemikalie in neue Behälter umpumpen. Dort sollte sie mit einer Lösung neutralisiert werden. Der Konstanzer Feuerwehr-Sprecher Fabian Daltoe rechnete am Mittag damit, dass sich die restlichen Arbeiten bei dem Einsatz bis zum Freitagabend hinziehen dürften.
Die Abteilung „Gewerbe/Umwelt“ der Polizei hat die Ermittlungen zur Ursache des Gefahrgutaustritts aufgenommen. Diese dauerten am Freitagnachmittag noch an. Agrana sei dazu in enger Kooperation mit den zuständigen Behörden, so Firmensprecher Markus Simak.