Nur mal ein paar Stichworte. Ausgangssperre. Inzidenzrate. Gasmangellage. Videokonferenz. Hamsterkäufe. Ukrainekrieg. Maskenpflicht. Grenzschließung. Notfalltreffpunkte. Impfzentrum. Home-Office. Thüga-Einstieg. Lockdown. Wer hatte vor fünf Jahren schon das Gefühl, dass das alles schon bald Realität werden könnte? Vermutlich kaum jemand; auch unter den 40 Frauen und Männern aus sieben politischen Gruppierungen, die am 26. Mai 2019 in den Konstanzer Gemeinderat gewählt wurden.
Kurze Zeit später mussten diese Menschen eine Verantwortung übernehmen, die sie kaum ermessen konnten, als sie abstrakt gelobten, in den kommenden fünf Jahren dem Wohl der Stadt zu dienen. Direkt nach der Fasnacht 2020 der erste Corona-Lockdown, zwei Jahre später der Angriff Russlands auf die Ukraine. Und in einer Welt, die nur noch aus Unsicherheiten zu bestehen schien und scheint, mussten diese 40 Ehrenamtlichen Entscheidungen von ungeahnter Tragweite treffen. Ohne dass sie jemand darauf wirklich vorbereitet hätte.
Sie sind der Querschnitt der Bürger
Stadträtinnen und Stadträte sind Laien. Sie vertreten als Querschnitt die Bürgerinnen und Bürger. Dabei müssen sie fein austarieren, dass sie viele Dinge eigentlich besser wissen müssen und zugleich in Richtung Basis dennoch gut geerdet bleiben. Dafür, dass das in fünf herausfordernden Jahren gut gelungen ist, gebührt allen 40 Männern und Frauen des nun abtretenden Gemeinderats Dank und Anerkennung.
Aber auch die Stadtverwaltung als Gegenüber des Gemeinderats hat großen Respekt verdient: Der Rat kann immer nur so gut arbeiten, wie er von den Ämtern mitgenommen wird. Und das hat im Großen und Ganzen gut geklappt, auch unter massiv erschwerten Bedingungen.
Es gibt aber auch einen Wermutstropfen. Gerade von den jungen Stadträtinnen und Stadträten, die 2019 erstmals gewählt wurden, treten einige nicht erneut an. Sie haben festgestellt, dass das Ehrenamt sie überfordert. Das mag im Einzelfall immer auch persönliche Gründe haben, doch das Problem ist strukturell.
Wer in den Gemeinderat gewählt wird, ist im Schnitt zwei Abende pro Woche gebunden, muss auf viel Freizeit verzichten, verbringt ganze Tage in Klausuren und liest über die fünf Jahre statt des einen oder anderen guten Buchs zehntausende Seiten Sitzungsvorlagen.
Arbeitslast muss im Rahmen bleiben
Es wäre schön, wenn der neue Gemeinderat dieses Alarmsignal ernst nehmen und an einem alten Dilemma arbeiten würde: Auf der einen Seite sollen Sitzungen und Unterlagen nicht ausufern – auf der anderen Seite wollen es die Volksvertreter oft doch ganz genau wissen, und irgendwie am Ende fast jeder doch zu fast allem auch etwas sagen.
Hier einen guten Mittelweg zu finden, dürfte entscheidend dafür sein, die Neulinge im Gemeinderat bei der Stange zu halten und die Arbeitslast in einem vernünftigen Rahmen zu halten. Denn das Schlimmste, was passieren könnte, ist, dass die Demokratie von innen heraus ausgehöhlt wird, durch Stress, Überforderung, Resignation.
Und hat er nun gut gearbeitet, dieser Konstanzer Gemeinderat der Periode 2019-2024? Ja, das hat er. Nicht immer, und nicht alle Stadträtinnen und Stadträte waren mit gleichem Engagement und gleicher Sachkunde am Werk – wie es halt so ist in einer Gruppe.
In der Summe aber hat der Gemeinderat einen großen Anteil daran, dass Konstanz doch ganz gut durch Jahre gekommen ist, deren Herausforderungen niemand erwarten konnte. Was an großen strategischen Themen auf der Strecke blieb, ist der Anforderung des ständigen Ad-Hoc-Managements geschuldet.
Gespart wurde seit 2019 nur wenig
Doch es steht auch etwas auf der Soll-Seite. Bei der Kontrolle über die städtischen Finanzen hat der Gemeinderat keinen guten Job gemacht. Ja, nicht alles war absehbar, und manche Entscheidung war einer Zwangslage geschuldet. Trotzdem ist die 15-Millionen-Euro-Finanzlücke ein Problem, das der alte Gemeinderat einfach auf die Zukunft verschoben hat.
Was um so bitterer ist, als dass Bürger und Unternehmen über teils massive Steuererhöhungen ihren Beitrag bringen – das Sparen innerhalb der Verwaltung dagegen nicht durchsetzt wird. Im Gegenteil: Es kommen immer wieder neue Ausgaben dazu für Aufgaben, die allenfalls Kür sind.
Dennoch: Wer den Konstanzer Gemeinderat seit langem begleitet, kann das ständige Draufhauen auf „den Stadtrat“ oder „die Kommunalpolitik“ – sei es an der Fasnacht, am Stammtisch oder auf Facebook – schwer nachvollziehen und manchmal auch kaum ertragen. Es geht hier um 40 Menschen, die ein Engagement bringen, um das sich fast alle anderen drücken würden.
Ein Wunsch bleibt dennoch offen: Es gab Zeiten, da sah sich der Gemeinderat mehr als Kontrollorgan für das Verwaltungshandeln. Da wurden Beschlüsse gefasst und nachgehalten, da wurde zögerliches Handeln in den Ämtern erkannt, markiert und oft abgestellt.
Vollstrecker oder Gegenüber der Verwaltung?
Zuletzt schien dieser kritische Diskurs etwas in den Hintergrund getreten zu sein – der Gemeinderat als Organ der Stadt sah sich weniger als Gegenüber der Verwaltung und mehr in einer vollziehenden Rolle. Das mag dem urmenschlichen Harmoniebedürfnis und auch dem Politikverständnis von OB Uli Burchardt eher entgegenkommen, birgt aber erhebliche demokratische Risiken. Sichtbar wird dies nicht in Sachentscheidungen, sondern in strategischen Fragen. Hier der Verwaltung und der Bürgermeister-Riege das Feld nicht ganz allein zu überlassen, wäre ein gutes Ziel für den neuen Gemeinderat.
Wer diese ebenso anspruchsvolle und wie schöne Aufgabe übertragen bekommt, entscheiden am Sonntag die Bürgerinnen und Bürger. Mögen sie alle ihr Recht ausüben und einen tatkräftigen und kompetenten Gemeinderat wählen. Denn wer weiß, was für Herausforderungen, die wir heute noch nicht einmal kennen, in den nächsten fünf Jahren auf die Stadt zukommen.