Nur damit es klar ist: Brandschutz ist wichtig. Wer ein Gebäude betreibt und dort auch Verantwortung für Besucherinnen und Besucher übernimmt, muss für die Sicherheit geradestehen. Die Konstanzer Stadtverwaltung nimmt das ernst, der Gemeinderat nimmt das auch ernst.
Fürs Theater haben die Volksvertreter inmitten der größten finanziellen Krise seit Jahrzehnten über eine halbe Million Euro für Sofortmaßnahmen freigegeben. Und niemand stellt in Frage (oder traut sich das zu äußern), dass zusätzlich auch die kleine Werkstattbühne für gerade einmal 99 Zuschauer auf jeden Fall ertüchtigt werden muss.
Worüber aber niemand spricht, das ist der gesellschaftliche Brandschutz. Und der ist: auch wichtig. Und die Diskussion darüber ist: noch wichtiger. Es kostete nicht viel mehr als einen Federstrich, das Bodensee-Stadion ab sofort und ohne Perspektive auf Rückkehr zur Normalität für Großveranstaltungen zu sperren. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die inhaltlichen und technischen Planungen für das Gute-Zeit-Festival schon weitgehend abgeschlossen waren.
Hätte die gleiche Stadtverwaltung ähnlich handstreichartig den Münsterplatz für das Open-Air-Theater blockiert? Oder Klein-Venedig für das – sicherheitstechnisch seit langem kritische – Oktoberfest? Vielleicht ja, vielleicht nein – was bleibt, ist der Eindruck, dass die kulturellen Interessen der Generation unter 30 wenig Rückhalt genießen. Es ist, am Rande bemerkt, die Altersgruppe, die durch Corona auf besonders viel verzichten musste.

Tote Hosen, DJ-Musik, Campus-Festival: Ja, das alles ist Kultur
Denn, um auch das mal klarzustellen: Ein Campus-Festival, ein Tote-Hosen-Konzert oder die Live-DJ-Auftritte beim Gute-Zeit-Festival sind Teil des Kulturangebots dieser Stadt. Und zwar unabhängig davon, dass sie erfolgreich sind und in Summe nicht nur keine Subventionen kosten, sondern Geld in die Stadt zurückspielen.
Es gibt – ausdrücklich: in Teilen – der Konstanzer Kulturszene eine Haltung, dass nur jene Dinge das Prädikat Kultur verdient haben, die so wenige Menschen interessieren, dass sie ohne öffentliches Geld erst gar nicht zu machen wären. Was auch wirtschaftlich erfolgreich ist, so diese Denkweise, kann künstlerisch nicht hochwertig sein. Weil es, uuaaahh, die Massen begeistert und man nicht schön unter sich bleiben kann.
Warum subventionieren wir nur das, was sich Hochkultur nennt?
Dieser fatal verengte Kulturbegriff zeigt sich in der Debatte ums Asisi-Panorama ebenso wie in der Wahrnehmung von Popmusik-Festivals, die vielen Künstlern eine Bühne geben, mit denen die selbsterklärte Kulturszene nicht einmal ansatzweise bereit ist, sich auseinanderzusetzen.
Die bittere Diagnose muss wohl lauten: Als Kultur darf in Konstanz nur gelten, was Geld in der Gesellschaft von unten nach oben und von jung nach alt verteilt. Die studentischen Gäste des Campus-Festivals sollen ruhig 130 Euro für ihre Karte zahlen, sie haben es ja offensichtlich – Hauptsache, Theater und Philharmonie bleiben erschwinglich. Dort wird jede Karte, je nachdem wie man es rechnet, mit 25, 50 oder noch mehr Euro subventioniert.

Denn ja, es geht ums Geld, und das Mantra „man darf A nicht gegen B aufrechnen“ wird kein bisschen wahrer durch stumpfe Wiederholung. Es ist nicht mehr als die Ausflucht politischer Feiglinge. Denn natürlich müssen Gemeinderat und Verwaltung A und B und übrigens auch noch C, D, E gegeneinander priorisieren, weil nur eine bestimmte Menge Geld da ist.
Das Theater bekommt den Brandschutz, das Stadion wartet seit zehn Jahren auf die Sanierung. So ist das eben. Wenigstens sollte man dann aber auch mal schauen, wo das Geld herkommt. Konstanz bekommt vom Land knapp 3,5 Millionen Euro pro Jahr als sogenannten Lastenausgleich (was für ein Begriff!) für die Studenten, investiert aber nur einen Bruchteil des 20-Millionen-Kulturetats in Angebot an dieses junge Publikum.
Brahms und Büchner – fein. Was tun wir für die, die andere Interessen haben?
Und nun komme keiner und sage, dass doch auch Schüler und Studenten Brahms und Büchner genießen können. Können sie ja, und manche tun es gerne und ausgiebig, aber es die Stadtgesellschaft hat kein Recht, Menschen in ihrem Kulturbegriff zu erziehen oder ihnen Angebote vorzuenthalten, die ihren Interessen nun mal besser entsprechen.
Und spätestens hier kommt der gesellschaftliche Brandschutz ins Spiel. Er funktioniert wie der bauliche: klares Ziel formulieren, dann alle Schwachstellen offenlegen, auch unter Schmerzen mögliche Krisenherde benennen und schließlich Gegenmaßnahmen einleiten – wenn es sein muss, unter Verzicht auf andere liebgewordene Dinge.
Was passiert, wenn der gesellschaftliche Brandschutz versagt, ist derzeit rund ums Bodensee-Stadion zu besichtigen. Längst haben sich Gerüchte festgesetzt, die Sperrung sei ein abgekartetes Spiel, weil sich nach dem Campus-Festival mal wieder die Theater- und Konzertgänger aus dem Musikerviertel über den Lärm und die vielen jungen Menschen direkt jenseits ihrer gepflegten Vorgarten-Hecken an der richtigen Stelle beschwert hätten.
Um es klar zu benennen: Es gibt aktuell keinerlei Beweise für derlei Geraune. Doch es ist ein weit über den konkreten Fall hinausweisendes Problem, dass viele Menschen es glauben und einer (ihrer?) Stadtverwaltung und einem (ihrem?) Gemeinderat solches Handeln zutrauen. Wenn es so weit gekommen ist, brennt es lichterloh. Und die Biedermänner sehen nicht Flammen und riechen nicht Rauch. Wenn ihnen aber der Qualm in den Augen brennt, ist es für weitsichtiges Handeln zu spät.