Herr Sigg, Angriffe auf die Polizei in Stuttgart, Rassismus-Vorwürfe gegen Polizisten in den USA. Wie schwer ist es in diesen Tagen, Polizist zu sein?

Das hängt vom persönlichen Empfinden ab und entscheidet am Ende jede Kollegin, jeder Kollege für sich. Wer sich für den Polizeiberuf entschieden und einige Zeit ausgeübt hat, kann mit Kritik an seiner Arbeit oder kontroversen Diskussionen darüber umgehen.

„Wir haben im weit überwiegenden Teil der Bevölkerung großen Rückhalt.“ Gerold Sigg, Leiter des Polizeipräsidiums Konstanz, ...
„Wir haben im weit überwiegenden Teil der Bevölkerung großen Rückhalt.“ Gerold Sigg, Leiter des Polizeipräsidiums Konstanz, blickt auf aktuelle Entwicklungen und erklärt, warum ihm ansteigende Temperaturen ein wenig Kopfschmerzen bereiten | Bild: Domgörgen, Franz

Das gilt auch für schwierige Einschreite-Situationen und schwierige Fälle der Lagebewältigung. Bei Verletzungen oder Belastungsstörungen stehen vielfältige Hilfsangebote bereit. Die Rassismus-Vorwürfe, das zeigen mir die internen Rückmeldungen, treffen die Kollegen aber besonders, weil sie pauschal unterstellend und damit ihre Arbeit bzw. einen ganz wesentlichen Teil des Staates diskreditieren. Ich habe für diese Art des Diskurses über die Arbeit der Polizei ebenfalls kein Verständnis.

Können Sie sich Szenen wie in Stuttgart oder in amerikanischen Städten auch in Konstanz vorstellen?

Wir gehen derzeit nicht davon aus, dass wir solche Szenen, wie sie sich in Stuttgart abgespielt haben, hier in Konstanz haben werden, weil wir diese Dimensionen nicht erreichen. Zudem sind die lokalen Verhältnisse anders. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es in wesentlich kleinerem Umfang doch passieren kann, dass eine Gruppe derartig Randale macht. Da kommt es auf verschiedene Einflussfaktoren an, die wir vor jedem Einsatz analysieren.

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Auch in Konstanz gab es zuletzt einige Probleme. Kaum ein Wochenende ohne Randale oder Angriffe auf Mitmenschen. Ist das nur dem Sommer geschuldet oder steckt da Ihrer Meinung mehr dahinter?

Übermäßiger Alkohol- und Drogenkonsum ist sehr häufig ein wesentlicher Faktor bei kritischen Einsatzlagen und immer wieder ein Katalysator, wenn es zur Eskalation einer Situation kommt. Insofern wirken diesbezüglich natürlich auch milde Temperaturen und Trinkgelage im Freien begünstigend. Oftmals hängt das aber auch mit Veranstaltungen zusammen, die den Anlass bilden, derzeit aber wegen der aktuellen Lage verboten sind. Wir beobachten sehr genau, wo derartige Problemstellungen entstehen könnten.

SPD-Chefin Saskia Esken sprach von einem Rassismus-Problem in der Deutschen Polizei, relativierte das dann später. Was sagen Sie dazu?

Eine solchermaßen pauschale Anschuldigung ist in meinen Augen nicht hilfreich, auch wenn sie nach einem Besuch bei der niedersächsischen Polizei relativiert worden ist. Verurteilenswerte Verhältnisse aus den USA einfach auf die Verhältnisse in Deutschland zu projizieren und strukturell vergleichbare Zustände abzuleiten, ist nach meinem Dafürhalten wenig überzeugend.

Nach meinen eigenen langjährigen Erfahrungen haben wir bei der Polizei Baden-Württemberg dieses unterstellte latente, strukturelle Rassismus-Problem nicht. Nichtdestotrotz werden wir die Straf- und Disziplinarverfahren aus den letzten fünf Jahren in dieser Hinsicht prüfen.

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Wie genau sieht das aus?

Bekannt werdende Einzelfälle werden aufgegriffen und nicht verschwiegen. Das wäre ansonsten auch der falsche Ansatz. Recht und Gesetz sind der Maßstab unseres Handelns. Wir brauchen weiterhin das Vertrauen der Bürger und die Bürger das Vertrauen in uns. Unsere Fehlerkultur gewährleistet meines Erachtens, dass bekannt werdende Einzelfälle nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Mir ist an dieser Stelle ganz wichtig zu sagen, dass die aktuelle Rassismus-Diskussion nicht zu Verunsicherungen bei meinen Kollegen führen darf. Es wäre niemandem geholfen, wenn sie deshalb in ihrem Auftrag zögerlich oder ihn gar vernachlässigen würden.

Ihre Kollegen berichten, dass sich auch die Menschen in Konstanz der Polizei gegenüber etwas forscher verhalten würden. Wie reagieren Sie darauf?

Forsch ist hier noch sehr zurückhaltend ausgedrückt. Wir beobachten seit Jahren ein zunehmendes Aggressionspotential gegenüber unseren Kollegen. In vielen Städten und Regionen steigen die Zahlen von Gewalt gegen Polizeibeamte. Im Landkreis Konstanz bleiben die Zahlen allerdings weitgehend konstant.

Für das Jahr 2019 haben wir 181 Delikte gezählt, bei einem Mittelwert von 172 Fällen in den letzten fünf Jahren. Wir verfolgen weiterhin unsere Deeskalationsstrategie. Zudem wurden landesweit 2019 ja auch Body-Cams eingeführt, die unter anderem auch dem Schutz der Polizeibeamten dienen sollen.

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Menschen zeigen eine gewisse Corona-Müdigkeit. Wie sind die Erfahrungen der Polizei damit? Fällt es zunehmend schwerer, auf die Verordnungen hinzuweisen?

Die Corona-Pandemie ist auch eine neue Erfahrung für uns. Der Shut-Down und die daraus resultierenden Abstandregelungen waren anfangs noch relativ einfach zu überwachen. Die Lockerungen und mehrmalige Anpassungen der Regeln in kürzester Zeit waren allerdings schwierig zu vermitteln und zu kontrollieren. Dennoch gab es teilweise 20 bis 30 Verstöße täglich, die wir zur Anzeige brachten.

Die Akzeptanz der Regeln ist immer noch sehr hoch. Insbesondere bei den Geschäftsbetrieben und öffentlichen Verkehrsmitteln wird sehr auf Distanz, Hygieneregeln und das Tragen eines Mundschutzes geachtet. Wenn die Temperaturmarke jedoch gegen 30 Grad klettert, ist in der Tat zu befürchten, dass die Abstände insbesondere an Badeplätzen und belebten Punkten in den Innenstädten nicht eingehalten werden können.

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Fühlen Sie sich und Ihre Arbeit überhaupt noch Wert geschätzt?

Ohne Zweifel ja. Wir haben im weit überwiegenden Teil der Bevölkerung großen Rückhalt. Gerade aktuell erreichen uns fast täglich Mails und Beiträge in den sozialen Medien, die uns in unserer Auffassung bestärken.

Bei allen derzeitigen Gegebenheiten lassen wir unseren gesetzlichen Auftrag und unsere berufliche Selbstverpflichtung nicht außer Acht. Wir verstecken uns nicht hinter Problemen, sondern wir ziehen unsere Schlüsse daraus und setzen sie um. Für die meisten bei uns ist der Polizeiberuf nach wie vor eine Berufung und nicht einfach nur ein Beruf.

Was muss passieren, um das Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei wieder zu verbessern?

Ich denke, wir müssen uns zunächst das, was gerade im Gange ist, genau anschauen. Zu sagen, das Verhältnis zwischen den Bürgern und der Polizei müsse verbessert werden, wäre zu kurz gesprungen. Wir dürfen nichts problematisieren, was nicht ist. Umfragen bescheinigen der Polizei wiederkehrend sehr hohe Zustimmungs- und Zufriedenheitswerte.

Es geht meines Erachtens um die Frage, wie wir mit einer Entwicklung, die sich in zunehmender Respektlosigkeit und Gewalt gegenüber der Polizei äußert, umgehen müssen. Nachdem ähnliche Erfahrungen auch die Hilfs- und Rettungsdienste machen, ist es prüfenswert, ob diese Einrichtungen für bestimmte Bevölkerungsteile nicht stellvertretend für den Staat als solchen Adressaten dieser Entwicklung sein könnten.

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