Georg Leisten

„Wie läuft‘s eigentlich so mit dem Foltern von Niggern, Dixon?“ – „‚Foltern von Farbigen‘ heißt das heutzutage!“ Die Szene aus dem oscargekrönten Spielfilm „Three Billboards outside Ebbing, Missouri“, in der die robuste Mutter eines ermordeten Mädchens den dümmlichen Officer Jason Dixon provoziert, mag zynisch klingen, aber sie bringt eine bitterböse US-amerikanische Realität auf den Punkt: Obwohl das Land auf dem Papier schon vor langer Zeit die Rassentrennung abgeschafft hat, bleibt sie in der Praxis bestehen.

Cops sind keine Tatort-Ermittler

Vielerorts gelten Afroamerikaner immer noch als Menschen zweiter Klasse. Insbesondere bei Polizei und Justiz, also dort, wo eigentlich alle gleich sein müssten. Die Ereignisse von Minneapolis, wo der Schwarze George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz ums Leben kam, lösten die schwersten Unruhen in den USA seit Jahrzehnten aus. Nun wurde in Atlanta erneut ein Schwarzer von Polizisten getötet.

Gewiss, polizeiliches Fehlverhalten kommt auch in Deutschland vor. Man denke nur an die nebulöse Rolle der Ermittlungsbehörden im NSU-Skandal. Dennoch ist der Bad Cop, der gewalttätige, rassistische und korrupte Gesetzeshüter jenseits des Atlantiks eine wesentlich tiefer im kulturellen Unterbewusstsein verankerte Figur. Das lehrt nicht zuletzt ein Vergleich deutscher Kriminalfilme und -serien mit amerikanischen.

Vom emotional unterkühlten Oberinspektor Derrick über Tatort-Veteranen wie Ballauf/Schenk oder Lena Odenthal bis zu den Jung-Kommissaren der diversen Vorabend-Sokos – wer hierzulande Gangster jagt, mag ein paar Ecken und Kanten besitzen, verhält sich aber doch meist so, wie man es von einem pflichttreuen Beamten erwartet. Ein Freund und Helfer, auf den sich auch die Schwachen (zumindest auf der Mattscheibe) stets verlassen dürfen.

Musterbeispiel des guten Polizisten: Schauspieler Horst Tappert als Oberinspektor Stephan Derrick 1993.
Musterbeispiel des guten Polizisten: Schauspieler Horst Tappert als Oberinspektor Stephan Derrick 1993. | Bild: Istvan Bajzat

Anders dagegen in den USA. Hier bildete der Drecksack-Cop schon immer einen festen Bestandteil des Krimigenres. Angefangen bei einem Klassiker wie Raymond Chandler. Nicht selten sind es Polizistenfäuste, die dem Privatdetektiv Philip Marlowe die traditionelle Halt-dich-da-raus-Botschaft überbringen.

Bereits im Trenchcoat-Kosmos der 1930er- und 40er-Jahre sind Polizeireviere zu Zweigstellen eines korrupten Gesamtsystems verkommen. Gegen dessen großräumig vernetzte Machenschaften fallen die kleinen unsauberen Tricks von Marlowe moralisch kaum ins Gewicht. Amerika hat das Vertrauen in sein Rechtssystem offenbar schon vor langer Zeit aufgegeben. Auch das gehört zur Erklärung für die Ladenplünderungen und die Barrikadenbrände der aktuellen Krawalle dazu.

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Überblickt man die amerikanische Spielfilmproduktion seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sind fast alle besseren US-Thriller Sittengemälde aus einem innerlich zerfressenen Justizwesen. Dessen Führungskräfte (Polizeichefs und Staatsanwälte) werden in vielen Staaten auf Zeit gewählt, weshalb es sich für sie auszahlt, Sicherheitspolitik im Sinne der weißen Eliten zu betreiben.

Polizisten mit einem unterschwelligen Hass gegen Minderheiten sind da willkommene Männer fürs Grobe, die bei internen Ermittlungen zuverlässig auf Gnade hoffen dürfen. Auch gegen den Peiniger von Floyd blieben frühere Anzeigen wegen dienstlicher Vergehen offenbar folgenlos.

Breitbeiniger Provinzbulle

Im Topos des Bad Cop hat Hollywood einen gesellschaftlichen Phänotyp zur Kenntlichkeit entstellt. Seine klischeehafteste Ausprägung ist der breitbeinige Provinzbulle aus dem mittleren Westen. An der Brust blitzt der Stern, an der Hüfte baumelt wie ein zweites Gemächt die Revolvertasche. Ein etwas differenzierterer Typus des Bad Cop bevölkert das in den 80ern entstandene Genre des Neo-Noir: der urbane Detective mit ausgebeultem Jackett und schmierigen Haaren.

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Oft ist er ein durch Liebesfrust oder Midlife Crisis gebrochener Typ, der sich das beschlagnahmte Kokain in die eigene Nase zieht. Mustergültig verkörpert der großartige Harvey Keitel in Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ diese Variante. Der düstere Film aus dem Jahr 1992 ist eine psychologische Milieustudie darüber, wie ein kriminelles Umfeld auf diejenigen abzufärben droht, die sich als angebliche Ordnungshüter darin bewegen.

Härter als in Alteuropa

Denn machen wir uns nichts vor: Der Bullenjob zwischen Los Angeles und Manhattan ist noch ein bisschen härter als in Alteuropa. Dank lascher Waffengesetze könnte jeder kontrollierte Autofahrer ein vollautomatisches Mordwerkzeug auf dem Beifahrersitz liegen haben. Dieser bedrohliche Alltag schweißt Polizisten zu einer Gefahrengemeinschaft zusammen. Ihr Denken verläuft in Freund-Feind-Kategorien, orientiert sich an Männlichkeitsidealen von Härte und körperlicher Stärke, wie der Sozialwissenschaftler und Ex-Polizist Rafael Behr in seinem Buch „Cop Culture“ beobachtet.

Maskuliner Ehrenkodex

Auch James Ellroy, der Krimiautor, den viele für den besten seiner Generation halten, schildert in seinem später von Brian de Palma verfilmten Roman „Die schwarze Dahlie“ diesen polizeilichen Initiationsweg. Aus dem maskulinen Ehrenkodex resultiert unter anderem eine Art Schweigegelübde gegenüber den Schweinereien der Kollegen.

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Die wenigen Aufrechten geraten durch diese Konstellation in einen tragischen Konflikt zwischen Gruppendruck und eigenem Gewissen. Darauf basieren die Plots vieler Cop-Filme, etwa das New-Orleans-Epos „The Big Easy“ oder „Cop Land“ mit Sylvester Stallone und Robert de Niro. Während die bösen Bullen zumindest in diesen Werken der filmpoetischen Gerechtigkeit nicht entgehen, kommen sie in der Wirklichkeit nur allzu oft ungeschoren davon.

Kurzer Prozess mit der 44er-Magnum

Amerikas weiße Männerseele will gar keine anderen Polizisten. Das begründete den (häufig kopierten) Erfolg von „Dirty Harry“, der den Bad Cop so radikal wie nie zuvor heroisiert hat. Inspektor Harry Callahan alias Clint Eastwood kümmert sich einen Scheißdreck um die Rechte der Angeklagten. Stattdessen macht er kurzen Prozess mit der 44er-Magnum. Im Gegenzug erscheinen die bremsenden Vorgesetzten als linksliberale Weicheier, die Law and Order den Bach runtergehen lassen. Dass die in den 70ern begonnene Reihe um den Terminator-Cop mit dem Aufstieg des amerikanischen Neokonservativismus zusammenfällt, ist kein Zufall.

Und da der amtierende US-Präsident meist sehr genau weiß, welche Trivialmythen seinen Wählern gefallen, hat er nach Floyds Tod ebenfalls die 44er gezückt und den Protestierenden mit Erschießungen, Bluthunden und Militäreinsatz gedroht. Dirty Harry ist zurück.