In Schienen hängt der Dorfsegen schief. Es geht um eine Besenwirtschaft und um Anwohner, die sich von dem Betrieb in ihrer Nachtruhe gestört fühlen. Für mehrere Anwohner steht fest: Die Besenwirtschaft ist ein Ärgernis. Denn ein landwirtschaftlicher Betrieb sowie die Besenwirtschaft samt angrenzende Wohnhäuser liegen laut Bebauungsplan in einem reinen Wohngebiet im Schiener Baugebiet Bruderhof.
Doch das Problem ist vertrackt: Denn der Bebauungsplan Bruderhof – auf den sich die Anwohner beziehen – kränkelt bereits seit seiner Gestaltung Mitte der 1960er Jahre. Dies möchte die Verwaltung von Öhningen heilen. Doch die Heilung geht möglicherweise zu Ungunsten der sich belästigt fühlenden Anwohner und ist mitunter delikat. Denn der Besitzer vom Grundstück und Betreiber der Besenwirtschaft ist der Ortsvorsteher. Der Nachbar sehe in der Veränderung des Bebauungsplanes daher eine nachträgliche Legalisierung – zumal es für den Betrieb der Besenwirtschaft keine Genehmigung seitens der Verwaltung gebe.
Ist das Baugebiet ein Wohngebiet oder nicht?
Der Dreh- und Angelpunkt ist die Antwort auf folgende Frage: Ist das Baugebiet Bruderhof überhaupt ein reines Wohngebiet? Geht es nach dem, vom Landratsamt Konstanz am 30. Oktober 1970 als rechtsverbindlich dokumentierten Bebauungsplan, dann müsste diese Frage mit Ja beantwortet werden.
Denkwürdig ist hingegen, dass in dem vom Landkreis gebilligten Bebauungsplan auch eine mit Punkten gekennzeichnete Fläche ausgewiesen wurde, von der es heißt: Abgrenzung unterschiedlicher Nutzung. Und genau auf dieser Fläche stehen die ehemalige Schule, der landwirtschaftliche Betrieb und die Besenwirtschaft (zeitweise samt eines Elektrobetriebs) sowie die hinzu gekommenen Wohnhäuser in unmittelbarer Nachbarschaft.
Durch die Bebauung ist diese Teilfläche faktisch kein „reines Wohngebiet“. Sie mutet eher einem allgemeinen Wohngebiet an. Ein Umstand, den die Verwaltung bereinigt sehen möchte, indem sie die Teilfläche aus dem Bebauungsplan herausnehmen möchte.
Änderung des Planes könnte die Lage verschärfen, fürchten die Nachbarn
Bereits im Oktober 2022 stellte die Verwaltung dem Gemeinderat von Öhningen einen Änderungsentwurf samt Ergebnisse der öffentlichen Beteiligung vor. Anwohner sahen in der Änderung die Möglichkeit für gewerbliche Nutzungen sowie eine vollwertige Gastronomie anstelle der bestehenden Besenwirtschaft – also eine Verschärfung der Situation.
Der Gemeinderat sollte über die Abwägungsentscheidungen befinden. Er beauftragte jedoch den Planer für weitere Vorschläge, die nun in Schienen vor 90 Bürgern vorgestellt wurden – mit dem Ziel, den potentiellen Bebauungsplan öffentlich zu erörtern, Anregungen und Bedenken aus der Bürgerschaft aufzunehmen um dann erneut in das Verfahren und vor den Gemeinderat zu treten, so Bürgermeister Andreas Schmid.
Gebiet hat sich anders entwickelt als es der Bebauungsplan vorgesehen hatte
Stadtplaner Ekkehard Böhler stellte im Planungsgebiet Abweichungen bei der baulichen Entwicklung fest. Was heute zu sehen sei, würde in Teilen überhaupt nicht dem entsprechen, was der Bebauungsplan ursprünglich wollte. Zum Beispiel wurden Baugrenzen einfach überbaut. Die Schule sei zwar Bestandteil vom Ur-Bebauungsplan gewesen und der landwirtschaftliche Betrieb sei existent. Jener sei jedoch – anders, als damals angenommen – nicht untergegangen.
Beide Nutzungen widersprächen somit einem reinen Wohngebiet. Mit den vermischten Grundstückflächen lägen zudem planwidrige Zustände vor. Böhler fixierte im Bebauungsplan Bruderhof die Baubegrenzungen neu, fügte Grünflächen als Abstandsgrenzen und Pufferzone für das reine Wohngebiet sowie Verkehrsflächen ein. Für die herausgenommene Teilfläche sollen die örtlichen Bauvorschriften entfallen. Seiner Ansicht nach müsse die Teilfläche aus dem Bebauungsplan herausgenommen werden, da man sie keinem reinen Wohnbereich zuordnen könne.
Aus Sicht des Anwalts der Gemeinde habe der aktuelle Bebauungsplan einen Grad von Funktionslosigkeit erreicht: Die ursprünglichen Planungsziele seien dort nicht mehr erreichbar, erläuterte Wolfgang Frick. Der herausgenommene Teilbereich könnte als nicht-überplanter Innenbereich und künftig als allgemeines Wohngebiet gelten. Ein Gewerbe würde dort nicht zulässig sein, so Frick.
Durch den Bestandsschutz würde hingegen die landwirtschaftliche Nutzung erhalten bleiben – solange sie nicht aufgegeben werde. Gaststätten, die dem Ortsteil dienen, könnten in einem allgemeinen Wohngebiet planungsrechtlich zulässig sein, wobei es bauordnungsrechtliche Bestimmungen geben würde. Der neue Bebauungsplan gebe keine Auskunft über eine Besenwirtschaft, sondern nur über eine Gaststätte, so der Anwalt. Würde der Gemeindeverwaltung die Anmeldung einer Besenwirtschaft vorliegen, so müsse sie diese weiterleiten, präzisierte Bürgermeister Andreas Schmid. Doch es läge kein Antrag bei der Gemeinde vor.
Man dachte, der landwirtschaftliche Betrieb würde aufgegeben werden
Ein Bürger sieht in der Herausnahme einen logischen Schritt, der einen Fehler aus den 1960er Jahren beheben würde. Ein weiterer zeigte sich besorgt, dass die ehemalige Schule nicht mehr als Haus der Vereine genutzt werden könnte. Als soziale Einrichtung könnte das Schulgebäude weiterhin bestehen bleiben – auch in einem allgemeinen Wohngebiet, so Rechtsanwalt Frick.
Das Problem sei deshalb entstanden, weil man damals davon ausgegangen sei, dass der landwirtschaftliche Betrieb aufgegeben wird. Der ursprüngliche Planansatz in der Urfassung sei völlig verfehlt gewesen, schätzt Frick die Lage ein. Dass man dachte, dass der landwirtschaftliche Betrieb innert zehn Jahre aufgeben werde, sei eigentlich der planerische Kardinalfehler gewesen.