Es ist ein Fall, der in vielerlei Hinsicht schockiert. Zum einen ist da die Brutalität der Täter, mit der sie einen 18-Jährigen in dessen eigenem Schlafzimmer bedroht und zusammengeschlagen haben. Zum anderen die Emotions- und Reuelosigkeit des Haupttäters, einst bester Freund des Opfers.
Und es ist auch ein Fall, der zeigt, dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer das Gleiche sind. Denn ins Gefängnis muss vorerst keiner der beiden Angeklagten. Einer von ihnen kann sich sogar mit einer unplausiblen, aber nicht widerlegbaren Aussage herausreden. „Sehr unbefriedigend“, wird Richter Franz Klaiber sein Urteil im Konstanzer Jugendschöffengericht später kommentieren.
Mit Sturmhauben ins Schlafzimmer des Opfers
Laut Anklage von Staatsanwältin Morgental sollen die beiden Männer, ein inzwischen 19-Jähriger aus Engen und ein 21-Jähriger aus Tengen, in einer Augustnacht 2022 einen 18 Jahre alten Orsinger zusammengeschlagen haben. Das Motiv? Rache. Eine geplante Abreibung, weil das Opfer wenige Monate zuvor mit der Ex-Freundin des 19-jährigen Angeklagten zusammen gekommen war, nachdem sie ihn mit diesem bereits betrogen hatte.
Mit Sturmhauben und einer Schreckschusspistole im Gepäck machten sie sich daher mitten in der Nacht auf zu dessen Elternhaus, stiegen über eine eingeschlagene Balkontüre ein und stürmten in das Schlafzimmer des jungen Mannes, beschreibt Morgental. Dort entdeckten sie ihn mitsamt seiner Freundin im Bett. Während einer der Täter die Frau mit der Pistole bedroht habe, soll der andere das Opfer zweimal ins Gesicht geschlagen haben.
Anschließend sollen die beiden ihm auch noch mit der Pistole auf den Kopf geschlagen haben, ehe sie die Flucht ergriffen. Die Anklage lautete daher auf gefährliche Körperverletzung, Bedrohung, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.
Gibt es einen dritten, unbekannten Täter?
Die beiden Angeklagten räumten diesen Ablauf vor Gericht weitgehend ein – bis auf ein Detail, das die Verurteilung erschwerte und Richter Franz Klaiber mehrfach ärgerte. Denn der 19-jährige, von der Trennung gekränkte Angeklagte sagte aus, sein Mitangeklagter sei gar nicht an den Schlägen beteiligt gewesen. Dieser habe ihn und eine weitere Person lediglich zum Tatort gefahren.
Um wen es sich bei diesem Unbekannten handelt, wollen die beiden Angeklagten jedoch nicht verraten. Zu groß sei die Angst – obwohl sie von diesem eigentlich noch nie bedroht worden seien.

Als Motiv schilderte der 19-Jährige, er sei durch Betrug und Trennung emotional derart am Boden gewesen, dass er in eine Abwärtsspirale inklusive Kokainmissbrauch und falschen Freunden geraten sei. Irgendwann sei alles zu viel geworden. In der Tatnacht sei man rumgefahren, habe geraucht und Kokain konsumiert – „ein Abend wie jeder andere Abend auch“, erklärte er vor Gericht. Das Kokain habe schließlich die Hemmschwelle gesenkt.
Der 21-jährige Mitangeklagte bestätigte vor Gericht, er habe die beiden anderen Männer zwar die ganze Nacht samt Sturmhauben und Waffe an Bord von Engen über Gottmadingen und Stockach nach Orsingen gefahren, von der geplanten Tat jedoch nichts gewusst. Man habe ihm nur gesagt, in Orsingen müsse man „noch etwas klären“.
Es war eine insgesamt wenig plausible Schilderung, die die beiden Angeklagten vor Gericht präsentierten und der Richter Franz Klaiber wenig Glauben schenkte. Mehrfach ermahnte er die beiden, die Wahrheit zu sagen. Bei der Polizei hatte der 19-Jährige nämlich keinen dritten Täter erwähnt.
Opfer ist bis heute in Psychotherapie
Der Geschädigte schilderte vor Gericht vor allem die Folgen des Überfalls. Ein Zahn sei so beschädigt, dass dieser noch absterben könne. Zudem habe er monatelang vor Angst nicht mehr alleine schlafen können. Er befinde sich bis heute in einer Traumatherapie, was die beiden Angeklagten, wegen mehrerer Drogen- und Verkehrsdelikte vorbestraft, emotionslos zur Kenntnis nahmen.
Das Problem: Es fehlten die Beweise, um den dritten Beteiligten zu finden und dem 21-jährigen Angeklagten ein Mitwissen oder gar Mitmachen an der Tat nachweisen zu können. Denn der Geschädigte und dessen Freundin hatten lediglich einen der Täter, den 19-jährigen Ex-Freund, eindeutig beschreiben können.
Staatsanwältin fordert fast zwei Jahre Haft
Staatsanwältin Morgental sah die Vorwürfe gegen beide Angeklagten dennoch als bestätigt an. Alle Autoinsassen hätten gewusst, was geplant war. „Es ist unplausibel, dass Sie die ganze Nacht zusammen herumfahren, aber nicht darüber sprechen, was Sie vorhaben“, sagte sie. Morgental forderte daher eine Verurteilung für den 19-Jährigen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung.
Es handle sich um „eine massive Tat mit besonderer Schuld“, wie sie sie noch nie erlebt habe. „Sie müssen lernen, wie es sich anfühlt, eingesperrt zu sein“, sagte sie zu dem 19-Jährigen. Sein Mittäter sei wegen der Beihilfe zu sechs Monaten auf Bewährung zu verurteilen.
Anwalt Tobias Glaenz, der Verteidiger des 19-Jährigen, sprach hingegen von einer verminderten Schuldfähigkeit wegen des Drogenkonsums. Er forderte eine Jugendstrafe auf Bewährung. Sylvester Krämer, der Anwalt des vermeintlichen Fluchtwagenfahrers, wies in einem emotionalen Vortrag darauf hin, dass es keine Rolle spiele, wie unwahrscheinlich eine Aussage ist. Entscheidend sei lediglich, ob es handfeste Beweise für das Gegenteil gebe. „Und die gibt es nicht. Niemand kann meinem Mandanten ein Mitwissen nachweisen“, forderte er einen Freispruch.
Ist das Urteil zu milde?
Richter Franz Klaiber folgte Krämer und sprach den 21-Jährigen frei. „Ihre Aussage ist völlig unglaubhaft, aber eben möglich“, begründete Klaiber. Den 19-Jährigen verurteilte er wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten – mit einer aufgeschobenen Bewährung. Er habe sich damit schwer getan, da dieser lange nicht straffällig war, im vergangenen Jahr jedoch mehrfach. Mit Gewalt fiel er bisher nie auf, diese Tat sei aber „schlimm“ und sein Verhalten vor Gericht „menschlich schwach“.
So hat dieser nun fünf Monate Zeit, Auflagen zu erfüllen. Schafft er dies, gilt eine zweijährige Bewährung – wenn nicht, wird die Haftstrafe fällig. Zu den Auflagen gehören regelmäßige Drogentests, ein Anti-Gewalt-Training sowie 1000 Euro Schmerzensgeld an das Opfer.
Ob dem 19-Jährigen die Haftstrafe wirklich erspart bleibt, scheint unwahrscheinlich. So bezweifelte Richter Klaiber mehrfach die Nüchternheit des jungen Mannes. Zudem werde laut Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen ihn ermittelt.