Dieser Satz in einer Glosse über die Radolfzeller Klimakrise hat Sigrid Distler aufhorchen lassen: „Siegfried Lehmann von der Freien Grünen Liste, der einst in den Siebzigern zu den Gründern der AG Teestube in Radolfzell gehörte, hat das Wort von der ‚Klimakrise Radolfzell aktiv‘ erfunden.“ Sigrid Distler lebt heute bei Paderborn, die SÜDKURIER-Ausgabe Radolfzell liest sie online. Und mit der Arbeitsgemeinschaft (AG) Teestube kennt sie sich aus. Also schrieb Sigrid Distler im Sommer nach Erscheinen der Glosse: „Es hat mich schon etwas bewegt, dass sich jemand an die AG Teestube erinnert. Als damalige Vorsitzende des Vereins möchte ich jedoch bemerken, dass Siegfried Lehmann weder ein Gründungs- noch sonstiges Mitglied war.“
Die Projektwoche im Haus der Jugend
Erinnerungen und Bilder können trügen. Nicht immer, wo ein Siegfried Lehmann drauf ist, schreitet er oder schritt er voran. Sigrid Distler schreibt: „Die AG Teestube wurde seiner Zeit aus dem Bedarf gegründet, Jugendlichen einen nicht-kommerziellen oder vereinsungebundenen Treffpunkt anzubieten, wo auch aus Altersgründen nur nichtalkoholische Getränke angeboten werden sollten.“ Die Teestube stufte das Lokal Leierkasten als kommerziell ein und im Haus der Jugend (HdJ) waren Mitgliedsvereine des Stadtjugendrings untergebracht. Allerdings fand die Teestube dann doch für eine Woche Unterschlupf im HdJ. So kam Lehmann aufs Foto, wie Sigrid Distler weiß: „Siegfried Lehmann nahm an der Projektwoche im HdJ teil, mit der wir der Stadt den tatsächlichen Bedarf belegen wollten und auch belegt haben.“
Sigrid Distler, heute 69, hieß 1974 noch Sigrid Grunow. Drei Monate, nachdem sie uns den Brief geschrieben hat, ist sie wieder einmal zu Besuch in Radolfzell. Sie erzählt von jenem Herbst, als die AG Teestube den Radolfzeller Jugendlichen beibrachte, dass Tee keine langweilige Kamille oder rote Hagebutte sein muss, sondern als „Lapsang Souchong“ oder „Earl Grey“ die Sehnsucht nach einer anderen Welt verbreiten kann. Teetrinken im HdJ hatte in dieser Woche im Oktober oder November 1974 eine politische Note in Radolfzell. Wann die Aktion genau lief, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, das Archiv liefert keine genauen Daten. Einige bastelten, viele spielten Schach und die ganz Fortschrittlichen wagten sich an Backgammon heran.

Die Tage der Teestube seien ein „voller Erfolg“ gewesen, erinnert sich Sigrid Distler: „Wir dachten, jetzt können wir weitermachen.“ Doch es gab einen Mitbewerber in Sachen freie und offene Jugendarbeit in Radolfzell, die Jugendzentrumsinitiative kämpfte für ein Haus in Selbstverwaltung. „Diese Gruppe wollte einen Alkoholausschank“, beschreibt Sigrid Distler den Unterschied. Bürgermeister Fritz Riester habe von beiden Gruppen verlangt, sich zusammenzutun. Sigrid Distler, die in Bielefeld ihre Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolviert hatte, und auf den Start des Anerkennungsjahres beim Jugendamt in Konstanz gewartet hatte, fühlte sich in der AG Teestube wohl: „Wir waren sehr sach- und zielorientiert, wir wollten einen festen Treffpunkt für die Jugendlichen.“ In der gemeinsamen Jugendzentrumsinitiative kam Sigrid Distler das Dazugehörigkeitsgefühl abhanden: „Da ist dann einer nach dem anderen aus unserer Gruppe weggeblieben.“
Unterschiedliche Erinnerungen
Hier unterscheiden sich die Erinnerungen. Uli Stier, der wie Sigrid Distler im Vorstand des Vereins AG Teestube war, erinnert sich an ein längeres Leben der Teestube. Es habe Konzerte auf der Bühne am See und immer wieder Aktionen im HdJ gegeben. Auch das Zusammengehen mit der Jugendzentrumsinitiative unterstützte Uli Stier: „Ich war dafür, dass man das zusammenschweißt.“ Die Mitglieder der Teestube seien die „Pragmatiker“ und die Mitglieder der Jugendzentrumsinitiative eher die „Dogmatiker“ gewesen.
Bei den Pragmatikern
Zu diesen Pragmatikern in der Teestube zählte auf jeden Fall auch der heutige Stadtrat der Freien Grünen Liste Siegfried Lehmann. Was Uli Stier bestätigt und Siegfried Lehmann auch so in Erinnerung hat: „Zu den Gründungsmitgliedern zählte ich nicht, aber ich habe da schon lange mitgemacht.
Ein jähes und unschönes Ende ihrer Bemühungen für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum war die Besetzung des alten Feuerwehrgerätehauses (heute Stadtwerke) im Sommer 1980. Mit dem von der Stadtverwaltung erzwungenen Abriss zerstob die Hoffnung im Schutt des denkmalgeschützten Gebäudes.