Thomas Giesinger schließt sein E-Bike mit einer Kette an einem Baum am Radweg im Streuhau ab. An seinem Hemd ist das Zeichen des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschlands (BUND) eingestickt, ein mit schwarzer Naht eingefasster stilisierter Baum. Hier im südwestlichen Areal des Herzen-Geländes plant Investor Bernd Schuler auf etwa 25 000 Quadratmetern sein Feriendorf mit Hotelkomplex und Restaurantbetrieb, das überplante Gebiet umfasst 60 000 Quadratmeter.

Bild 1: Die Naturschützer ringen mit dem geplanten Feriendorf im Herzen in Radolfzell
Bild: Müller, Cornelia

Bevor es zu Fuß hinunter auf die als Biotop geschützte große Wiese hinter dem Bora-Hotel Richtung Bodenseereiter geht, hält das Vorstandsmitglied des BUND-Ortsverbands Radolfzell kurz an und versucht seine grundsätzliche Position zu diesem Projekt darzulegen. Das ist nicht ganz einfach, denn Giesinger treiben mehrere Aspekte um. Er pendelt zwischen dem engagierten Naturschützer und dem Verbandsvertreter, der sich an den gegebenen politischen Umständen orientiert.

„Wir können nicht Beifall klatschen“

Als Giesinger auf der Feuchtwiese steht und den ringsherum gewachsenen Wald betrachtet, stellt er fest: „Man kann von einem Naturschützer nicht verlangen, dass wir daneben stehen und für dieses Bauprojekt Beifall klatschen.“ Was Natur leisten kann, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, ist auf dieser Fläche eindrucksvoll zu beobachten. Nach dem Krieg habe man Industriemüll hier in den See gekippt, „und den See damit verkleinert“, berichtet Giesinger. Nachdem die Ablagerungen in den Sechziger Jahren gestoppt worden sind, ist im wahrsten Sinn des Wortes Gras darüber gewachsen und sind Bäume in die Höhe geschossen.

Der „Große Wiesenknopf“ (Sanguisorba officinalis) hat sich auf der Wiese im Streuhau angesiedelt.
Der „Große Wiesenknopf“ (Sanguisorba officinalis) hat sich auf der Wiese im Streuhau angesiedelt. | Bild: Becker, Georg

Die „Schutte“ von einst ist heute ein Naturschauspiel, jetzt plant der Mensch, das Gelände zurückzuerobern. Die Naturschützer wissen, dass kein Quadratmeter in diesem Gebiet einen Naturschutz- oder einen Natura-2000-Status hat. Das ändert nichts an der Einschätzung von BUND und Naturschutzbund (Nabu) in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zur Erweiterung der Hotelanlage im Herzen – hier auch Streuhau genannt, sie halten fest: „Das Gebiet zwischen Bora-Sauna und Bodenseereiter vor dem Naturschutzgebiet Radolfzeller Aachried ist das für die Natur wertvollste Gebiet in Radolfzell – wenn nicht im Landkreis.“

Zwischen Fund und Realo

Giesinger streicht sich die Haare aus der Stirn und seufzt: „Wenn ich ein Fundi wäre, müsste ich wie ein Löwe gegen alles kämpfen, was da kommen soll.“ Giesinger lässt außen vor, ob er ein radikaler Naturschützer, also Fundamentalist, ist oder ob er zu Kompromissen neigt. Er beschreibt seinen Zwiespalt: „Als Realo muss ich die Gemeinderatsbeschlüsse zur Kenntnis nehmen, dass hier etwas passieren soll – und zwar seit OB Schmidts Zeiten.“ Drei Mal haben sich bereits Gemeinderat und Stadtverwaltung für diesen Standort als Ferienanlage ausgesprochen.

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Im Mai hat der Ausschuss, Planung, Umwelt und Technik dies bekräftigt und die Aufstellung des Bebauungsplans „Erweiterung Hotelanlage im Herzen“ mit zehn Ja-Stimmen und zwei Gegenstimmen beschlossen. Das Projekt gilt für Radolfzell als so genanntes Schlüsselprojekt und trägt den Namen „Reizvolles Seeufer“. Dabei hat die Stadt durchaus den Naturschutzgedanken im Sinn. Bisher gilt die Fläche um den Bodenseereiter als Sonderbaufläche für Fremdenverkehr, Erholung und Sport. Diese Fläche soll mit dem Streuhau getauscht werden, damit ein geschützter Puffer zum Fauna-Flora-Habitat-Gebiet „Radolfzeller Aach“ entsteht, das zum Natura-2000-Netzwerk gehört.

Naturschutz für den Bodenseereiter im Tausch

Diesen Aspekt des Plans begrüßt der Naturschützer ausdrücklich. Und doch sagt Giesinger: „Am besten wäre es, wenn nichts kommt.“ Für diese Sichtweise führt der BUND gleich mehrere Argumente an. Etwa: „Die Planung widerspricht dem Bodenseeleitbild, das eine bestmögliche Erhaltung der ufernahen Grünflächen fordert“. Oder: „Hätte man mit den Kriterien Hochwassergefahr, Altlasten, Waldausgleich, Parkplatz-Situation, Entfernung von Autobahn und Bahnhof sowie Lärmbelästigung den schlechtesten Standort in Radolfzell gesucht, man wäre genau hier gelandet.“ Zudem gehörten die Wasserflächen zwischen dem bestehenden Bora-Gelände und dem Hafen in Moos zu den „wertvollsten Wasservogel-Rastplätzen“ im Land.

Will einen Abstieg in Sachen Naturschutz einen Abstieg in die Dritte Liga verhindern: BUND-Vertreter Thomas Giesinger.
Will einen Abstieg in Sachen Naturschutz einen Abstieg in die Dritte Liga verhindern: BUND-Vertreter Thomas Giesinger. | Bild: Becker, Georg

BUND und Nabu hätten einen oder mehrere andere kleine Standorte an der Uferlinie zwischen Strandcafé und Bora-Hotel für möglich gehalten, vielleicht „mit einem anderen Hotel-Konzept“. Doch die Naturschützer beugen sich der Macht des politischen Willens und würdigen in ihrer Stellungnahme das, „was bei der Entwicklung des Konzepts für Natur- und Umweltschutz bereits erreicht wurde“. Denn das räumt Thomas Giesinger beim Gespräch im Streuhau ein: „Bisher hat der Investor jede Kröte geschluckt.“

Geht es nach der Stellungnahme der Naturschutzverbände, kommen weitere Kröten dazu. BUND und Nabu haben auf über drei DIN-A-4-Seiten Forderungen erhoben. Dazu zählen:

  • Die Verordnung für das Landschaftsschutzgebiet zum Aachried müsse vor der ersten Baugenehmigung in Kraft treten. Es müsse gewährleistet sein, dass die nicht für die Nutzung vorgesehenen Flächen unberührt bleiben.
  • Nach Ansicht von BUND und Nabu wäre ein Bootsbetrieb egal ob mit Motor, Segel oder Ruder in dieser Anlage „eine Katastrophe für das Vogelrastgebiet Mooser Bucht und Radolfzeller Aach„. Deshalb solle die Stadt vertraglich festlegen, dass das Anlegen von Motorbooten westlich des Yachthafens für alle Zeiten untersagt bleibt. Zudem solle eine Obergrenze für alle anlandenden Boote zwischen THW und Surfclub festgelegt werden.
  • Der Bodenseereiter dürfe erst dann abgerissen werden, wenn die Rauchschwalben von dort in einen neu zu bauenden Stall umgezogen seien. Das werde ein paar Jahre brauchen.

Abstieg in die Dritte Liga verhindern

Das ist nur ein Auszug aus dem Forderungskatalog. Bleibt die Frage, ob die Naturschützer mit diesen Bedingungen das Projekt nicht doch noch verhindern. „Sehen Sie“, sagt Thomas Giesinger und zeigt am Ufer unter den Bäumen auf die Bucht zwischen Aach und Moos: „Mit diesem Tourismusprojekt steigen wir in Sachen Naturschutz von der Bundesliga in die Zweite Liga ab. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass es keinen Abstieg in die Dritte Liga gibt.“