Es ist eine lange Zeit, die Sebastian Jung mit dem Radolfzeller Krankenhaus verbindet. 117 Jahre lang steht das Gebäude bereits auf der Mettnau, „und ich persönlich durfte ein gutes Viertel davon begleiten“, erklärt er. 1995 begann er seine Karriere im Klinikum als Assistenzarzt, später wurde er Oberarzt, mittlerweile ist er Chefarzt der Inneren Medizin.

Wie eng die Verbindung zu der Klinik ist, deren Betrieb am 30. Juni eingestellt wird, zeigt sich aber nicht nur in den vielen Arbeitsjahren. Oder daran, dass er einst sogar eine ausgediente Geburtswanne aus dem Krankenhaus mit nach Hause nahm, um sie als Planschbecken zu benutzen. Sondern auch, weil er jede Ecke des Hauses kennt. „Er ist der Papa des Hauses, hat sich für alles engagiert und interessiert“, betont auch Pflegedienstleiterin Claudia Keller.

Anekdoten von der Mettnau

Das wird bei einem Rundgang anlässlich der Schließung durch das Krankenhaus unter anderem daran deutlich, dass Sebastian Jung nicht nur über medizinische Details berichtet. Sondern auch so manche Anekdote zur Dekoration erzählen kann. Dass so vielen Bilder die Wände des Krankenhauses schmücken, habe man so zum Beispiel Gunter Langbein zu verdanken, erzählt der Chefarzt. Langbein sei nicht nur von 1984 bis 2009 Chefarzt der Inneren Medizin gewesen, sondern auch Vorsitzender des Kunstvereins.

Das könnte Sie auch interessieren

Und noch etwas weiß Sebastian Jung zu den Bildern zu berichten: Diese seien nämlich nicht wahllos im Krankenhaus verteilt, sondern nach Themen oder Künstlern sortiert. Unter anderem gibt es so zum Beispiel einen Flur, der Frauen in der Kunst und einen anderen, der Bruno Epple gewidmet ist.

Diese Fachärzte gab es sonst an keiner Klinik im Landkreis

Und Sebastian Jung erinnert sich noch an seine Anfangszeit im Radolfzeller Krankenhaus auf der Mettnau. Gleich zu Beginn habe ihm Gunter Langbein ein Geschenk angekündigt. „Das war die neue Intensivstation“, erzählt Jung. Diese wurde am 5. Juni 1995 eröffnet. Die damalige Situation sei im Vergleich zur heutigen, in der verschiedene Stationen schon nach und nach geschlossen wurden und bald endgültig die Türen der Klinik zu gehen, „völlig anders“ gewesen. Die Bedeutung des zu der Zeit noch eigenständigen Radolfzeller Klinikums im Landkreis sei damals wesentlich größer gewesen. Alleine die Innere Abteilung war auf fünf Stationen vertreten, insgesamt seien es am Krankenhaus neun Stationen gewesen.

Mit Gunter Langbein habe es in Radolfzell den ersten Gastroenterologen in der Region an einem Krankenhaus gegeben. Und auch der erste Kardiologe, der erste Pneumologe und der erste Diabetologe hätten am Krankenhaus gearbeitet. „Es gab weder in Singen, noch in Konstanz diese Fachärzte im Krankenhaus“, so Jung. Außerdem habe es zu seiner Anfangszeit noch ein riesiges Labor im Radolfzeller Krankenhaus gegeben, das auch Untersuchungen und Auswertungen für niedergelassene Ärzte und die Mettnauklinik übernommen habe.

Als Patienten in den Fluren untergebracht wurden

Aber auch in anderer Hinsicht sei damals vieles anders gewesen. Früher hätten die Teams in den Stationen zum Beispiel noch getrennter voneinander gearbeitet. Heute arbeite man stationsübergreifend, das hilft laut Claudia Keller auch bei Personalengpässen. Und bevor die neuen Bäder 2006 in die Patientenzimmer der Allgemeinversicherten eingebaut wurden, habe es im Radolfzeller Krankenhaus überall Dreibettzimmer gegeben. „Einschieben bedeutete damals, dass es Vierbettzimmer wurden“, erklärt Sebastian Jung. Und nicht nur das: Habe auch das für die Patienten nicht gereicht, seien einige Betten in den Fluren in Nischen abgestellt worden.

Das könnte Sie auch interessieren

Ein Szenario, das heute überhaupt nicht mehr vorstellbar oder zumutbar ist, wie Claudia Keller betont. Aber warum war das früher so? Wie Claudia Keller und Sebastian Jung erzählen, hat das verschiedene Gründe. Zum einen seien die Belegungszahlen im Krankenhaus höher gewesen – denn das Radolfzeller Krankenhaus habe ein größeres Einzugsgebiet gehabt als jetzt und außerdem habe man damals schließlich auch noch das „komplette medizinische Spektrum abgedeckt“, so Jung. „Da gab es die Konzentrierung auf Spezialgebiete bei Kliniken noch weniger. Die Chirurgen waren noch viel mehr Allrounder.“ Und: „Damals haben Leute noch gesagt, wir fahren in den Urlaub, könnt ihr die Oma nehmen? Das sind Sachen, die gehen heute gar nicht mehr und das ist auch gut so“, ergänzt Claudia Keller.

Blick in einen Flur in der Inneren Abteilung, in der Sebastian Jung von Anfang an eingesetzt wurde. In den Nischen an den Rändern des ...
Blick in einen Flur in der Inneren Abteilung, in der Sebastian Jung von Anfang an eingesetzt wurde. In den Nischen an den Rändern des Flures seien früher Patientenbetten abgestellt worden, wenn die Zimmer bereits voll waren. | Bild: Marinovic, Laura

Zum anderen seien die Liegezeiten von Patienten im Krankenhaus früher aber auch länger gewesen. Mittlerweile seien Grenzen für die Dauer von Krankenhausaufenthalten vorgeschrieben.

Zusammenarbeit mit Singen und Konstanz war früher schon eng

Nachdem das Management des Radolfzeller Krankenhauses von 1997 bis Ende 2001 vorübergehend der Gesundheitskonzern Helios übernommen hatte, sei 2003 die Fusion mit dem Hegau-Klinikum Singen realisiert worden. Ende 2012 sei es schließlich zur Gründung des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN) und damit dem Zusammenschluss der Kliniken in Singen, Radolfzell, Engen, Stühlingen und Konstanz gekommen.

Das könnte Sie auch interessieren

Allerdings sei die Zusammenarbeit mit den Kliniken in Singen und Konstanz auch zuvor schon eng gewesen, erinnert sich Sebastian Jung. Wenn es in Radolfzell keine freien Plätze mehr gegeben habe, seien Patienten damals schon an andere Kliniken überwiesen worden.

Und heute? Heute ist alles anders

Die heutige Situation ist meilenweit von der entfernt, die Sebastian Jung zu seiner Anfangszeit am Klinikum erlebte. 2016 etwa wurde das Schwesternwohnheim am Krankenhaus abgerissen, 2017 wurde die Geburtenabteilung geschlossen, im August 2022 die stationäre Chirurgie. In wenigen Wochen ist das Krankenhaus endgültig Geschichte – 680 Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung. Dass das Krankenhaus immer weiter an Bedeutung verlor, sei schade, aber es sei politisch eben nicht mehr gewollt, kleinere Krankenhäuser zu halten, so Jung.

Hier ist schon niemand mehr: Diese Station wurde bereits im Zusammenhang mit der Schließung der stationären Chirurgie im August 2022 ...
Hier ist schon niemand mehr: Diese Station wurde bereits im Zusammenhang mit der Schließung der stationären Chirurgie im August 2022 geschlossen. | Bild: Marinovic, Laura

Ab Juli wird er als Chefarzt eine Abteilung für allgemeine Innere Medizin am Krankenhaus in Singen leiten, ein Teil seines Teams begleite ihn dabei. Auf seinen Abschied von Radolfzell blickt er mit gemischten Gefühlen. „Wehmütig bin ich auf jeden Fall“, sagt Sebastian Jung. „Es gibt viele Dinge, die man mit Herzblut aufgebaut hat“, etwa den Arbeitskreis Ethik. Auch werde er enge Kontakte vermissen, nicht nur zu Kollegen – einen Großteil der regelmäßigen Patienten kenne er nach all den Jahren ebenfalls gut. „Und natürlich sind es auch die Räume.“ Dennoch sei er bei seiner Probearbeit am Singener Klinikum bereits freundlich empfangen worden.