Die Baugenossenschaft Familienheim Bodensee (BFB) mit Sitz in Radolfzell legte kürzlich im Milchwerk ihren Geschäftsbericht für das Jahr 2021 vor. In einem wiederum von der Pandemie geprägten Jahr sei es der Genossenschaft in einem schwierigen Umfeld gelungen, das Geschäftsjahr 2021 erfolgreich zu gestalten und dieses mit einem erfreulich guten Ergebnis abzuschließen, so der Vorsitzende im Aufsichtsrat, Bernhard Hertrich.
Die Baugenossenschaft zeigte sich bei der Mitgliederversammlung im vergangenen Geschäftsjahr krisenfest. Mit Weitsicht bereitet sich der Vorstand auch auf kommende Krisen im Bau- und Energiesektor sowie der Wirtschaft und der Finanzwelt vor.
Doch der Dreh- und Angelpunkt jeglichen Bemühens für die Schaffung günstigen Wohnraums hänge mit jeder politischen Ebene zusammen, angefangen in den Rathäusern und den Baubehörden bis hin zum Gesetzgeber. Marco Bächle vom Vorstand der BFB formuliert seinen Wunsch an die Politik so: „Wir würden gerne bauen. Machen Sie es uns doch bitte einfach einfacher.“
Weiter Radius ist ein Vorteil
Eines wurde in der Versammlung vor allem sichtbar: Für den Neubau und die Sanierung von bezahlbarem Wohnraum bedarf es neben strategischem Handeln auch eine Vertrauensbasis sowohl in die Handwerksbetriebe wie in die Partner im Bausektor.
Da die Wohnungen der BFB und ihre Liegenschaften in einem weiten Radius von ihrer Geschäftsstelle gestreut liegen, hat die Baugenossenschaft den Vorteil nicht nur an einem Standort zu bauen, so Bächle: Sie könne somit in ihren Bautätigkeiten ausweichen – vorausgesetzt, dass die Baugenossenschaft an allen Standorten ausreichend viele Handwerksbetriebe antrifft, die auch in den angespannten Zeiten Aufträge für die Genossenschaft ausführen und diese auch in akzeptablen Preisrahmen bleiben.
Durch vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Firmen habe die Genossenschaft für jede Gewerke eine ausreichende Zahl an Betrieben gefunden, so Bächle. Auch habe Familienheim Bodensee von ihren Partnerbetrieben bei der Materialbeschaffung keine ungerechtfertigten Teuerungszuschläge erhalten. Trotz der Krise mit ihren Lieferengpässen hätten sich die an den Projekten assoziierten Unternehmen an die getroffenen Rahmenvereinbarungen gehalten. Sie hätten die aktuelle Krisensituation nicht ausgenutzt und keine ungerechtfertigten Preisaufschläge gemacht.
Zusammenarbeit mit regionalen Partnern zahlt sich aus
Das Fazit aus dem fairen Umgang regionaler Partner lässt sich im Geschäftsbericht ablesen: Neubauten und Sanierungen konnten trotz Krise termingerecht fertiggestellt werden. Und auch die berechneten Kostenrahmen konnten nahezu eingehalten werden. Das Problem um den Bau von bezahlbarem Wohnraum liegt an einer anderen Stelle.
Licht ins Dunkel brachte erneut Bächle: Bestehende Verordnungen werden nicht weniger, sondern umfangreicher. Selbst die Genehmigungszeiten, auch für kleine Maßnahmen, dauern fünf Monate und länger. Bauen wird nicht einfacher, lautet sein Resümee. Schnell wurde in der Analyse deutlich, dass es berechtigte Gründe für das Vertrauen in die Geschäftspartner, aber weniger in die Politik gibt.
Realität statt Wunschdenken
Bächle plädiert für eine Politik, die sich an der Realität orientiert statt an einem Wunschdenken. Für den Bau von 400.000 Wohnungen im Jahr benötige man 80 Milliarden Euro an Investitionen – jährlich.
Angesichts der Gestehungskosten, also den Kosten für die Produktion eines Wirtschaftsguts, ergebe sich aktuell ein Gewinn für die Investoren in Höhe von einem Prozent, rechnet der kaufmännische Vorstand der BFB, Stefan Andelfinger, das Vorhaben der Regierung vor – bei einer aktuellen Inflationsrate von acht Prozent und mit Mietpreisen in Höhe von 18 Euro pro Quadratmeter.
Aufgrund dieser Faktoren hätten nicht wenige seiner Kollegen in der Baubranche die Neubautätigkeiten bei bezahlbarem Wohnraum eingestellt.
Ein Weckruf an die Politik
Stefan Andelfinger sieht für bezahlbaren Wohnraum dunkle Zeiten aufkommen. Wohnungsbau und Modernisierung seien für die Wohnungsunternehmen absolut unkalkulierbar geworden, zitiert er den Präsidenten des Gesamtverbandes der deutschen Wohnungswirtschaft, Axel Gedaschko.
Jener identifizierte eine andere Ursache als Krisentreiber für die Bauwirtschaft als die Pandemie und den Krieg: Viele Probleme seien hausgemacht und seien ein Weckruf an die Politik. Die Regierung müsse die dramatische Lage bei Bau und Modernisierung erkennen und schnell wirksame Rahmenbedingungen schaffen, heißt es im Zitat weiter.
Viele Bauprojekte werden jetzt abgesagt
Andelfinger fütterte diese Mutmaßung mit Zahlen der Immobilienwirtschaft aus einer bundesweiten Umfrage unter 3000 sozial orientierten Wohnungsunternehmen: Zwei Drittel müssen ihre Neubauprojekte zurückstellen. Fast ein Viertel sehe sich gezwungen den geplanten Bau neuer Mehrfamilienhäuser komplett aufzugeben.
Zwei Drittel legen ihren klimaschonenden und altersgerechten Umbau ihrer Wohnungen auf Eis. 13 Prozent müssten den Umbau aus betriebswirtschaftlichen Gründen ganz aufgeben. Somit wurde jedes achte Projekt abgesagt.
Aktuell gebe es in Deutschland auch einen Bauüberhang von knapp 850.000 Wohnungen, die zwar genehmigt, aber noch nicht fertig gestellt seien. Das sei der höchste Stand seit 1996 und hänge nicht nur mit den explosionsartig gestiegenen Preisen, dem Fachkräftemangel oder den gestörten Lieferketten zusammen, sondern vor allem mit den immer neuen und restriktiven Maßnahmen zum Klimaschutz, die ein unglaublicher Preistreiber seien, so Andelfinger.
Sein Resümee lautet: „Bezahlbarer Wohnraum, wie es sich die Bürokraten vorstellen, ist für eine breite Schicht der Bevölkerung in Verbindung mit einer Klimaneutralität oder Passivausstattung nicht realisierbar. Zumindest nicht ohne staatliche Hilfen.“